Das überfällige Ende
Von Lars-Christian DanielsEine echte Erfolgsgeschichte ist aus dem Luzerner „Tatort“ in den vergangenen acht Jahren nicht geworden: Bereits der Auftakt „Tatort: Wunschdenken“, der es 2011 aufgrund „qualitativer Mängel“ und einer eilig anberaumten Nachsynchronisation erst mit monatelanger Verspätung ins Fernsehen schaffte, war ein Fehlstart par excellence – was auch am peinlichen Gastspiel von „CSI: Miami“-Darstellerin Sofia Milos lag, die als einmalige Co-Kommissarin völlig deplatziert wirkte. In den Jahren darauf wurde es kaum besser: Dank schwacher Folgen wie „Tatort: Hanglage mit Aussicht“ oder „Tatort: Zwischen zwei Welten“ rangiert die Schweiz in der Zuschauergunst weit unten – gelungene Ausnahmen wie der spannende „Tatort: Ihr werdet gerichtet“ oder der in nur einer Einstellung gedrehte „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ vermochten daran wenig zu ändern.
Ehe das Schweizer Fernsehen 2020 die Reset-Taste drückt und mit den neuen „Tatort“-Kommissarinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und Tessa Ott (Carol Schuler) einen Neustart in Zürich wagt, geben die Kommissare aus Luzern in Tom Gerbers „Tatort: Der Elefant im Raum“ nun noch ihre Abschiedsvorstellung – und gewissermaßen schließt sich nach acht verkorksten Jahren der Kreis. Denn der letzte Luzerner „Tatort“ ist genauso miserabel wie der erste – und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch der schwächste Sonntagskrimi des Jahres 2019.
Reto Flückiger wird beobachtet. (© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)
Hauptkommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) speist mit seiner Freundin Eveline Gasser (Brigitte Beyeler) in vornehmer Gesellschaft auf einem Schiff: Bei einem Dinner auf dem Vierwaldstättersee ist die gesamte Luzerner Elite versammelt – darunter auch die Unternehmer Planker Senior (Andrea Zogg) und Junior (Manuel Löwensberg) sowie die renommierte Journalistin Sonja Christen (Mona Petri). Doch es gibt Ärger: Kurz nachdem der stadtbekannte Kantonsrat Bernhard Ineichen (Martin Hug) wegen einer kritischen Rede unsanft aus dem Saal komplimentiert wird, fällt der Strom aus und eine Rauchbombe raubt den Gästen die Luft. Panik bricht aus. Als sich der Nebel wieder lichtet, haben sich die Gäste ins Freie retten können – nicht aber Kapitän Iten (Christoph Künzler), der an einer Rauchvergiftung stirbt. Wer steckt hinter dem Anschlag? Flückiger nimmt mit seiner erkältungsgeschwächten Kollegin Liz Ritschard (Delia Mayer) die Ermittlungen auf. Sie führen ihn zu Frédéric Roux (Fabian Krüger), der mit seiner Assistentin (Linda Gunst) das Newsportal „Veritas News“ betreibt und in Luzerns Elite und der Polizei ein Feindbild ausgemacht hat…
„Das ist ein arroganter Klugscheißer – ein typischer Journalist“, wettert Flückiger auf dem Revier, nachdem er zum ersten Mal vom gewieften Fake-News-Verfasser Roux ausmanövriert wurde – und allein dieser Wutausbruch macht deutlich, in welchen Sphären dieser Luzerner „Tatort“ über 90 Minuten unterwegs ist. Die Drehbuchautoren Felix Benesch und Mats Frey, die schon gemeinsam die Geschichte zum verkorksten „Tatort: Zwei Leben“ schrieben, werfen Journalisten (die im „Tatort“ ohnehin meist in ein sehr schlechtes Licht gerückt werden) und Verschwörungstheoretiker einfach in einen Topf: Wer über seinen Laptop ungeprüfte Halbwahrheiten, undifferenzierte Stimmungsmache oder Videos aus dubiosen Quellen im Netz verbreitet, ist für Benesch und Frey ein Journalist. Umgekehrt haben in diesem „Tatort“ alle für eine Pressekonferenz akkreditierten Medienvertreter auf ihrem (natürlich auf laut gestellten) Smartphone bimmelnde Push-Nachrichten von „Veritas News“ abonniert, um über die neuesten Pseudo-Leaks auch ja auf dem Laufenden zu bleiben.
In einer bissigen Satire auf die Schweizer Medienlandschaft hätte ein solcher Ansatz vielleicht funktioniert – was die Filmemacher ihre Figuren hier aber für billige Kapitalismuskritik und Halbwissen über die Pressefreiheit in die Welt posaunen lassen, ist abenteuerlich. So scheint die Luzerner Kripo zum Beispiel überhaupt kein Problem damit zu haben, dass Roux bei einer Hausdurchsuchung alle Aktivitäten der KTU live ins Netz streamt und den Beamten dabei mitten ins Gesicht filmt – das ist gerade in Zeiten „alternativer Fakten“ ärgerlich. Mit dem nervtötend überzeichneten „Veritas News“-Chef erweisen die Drehbuchautoren dem Zuschauer ohnehin einen Bärendienst: Nicht jeder Fake-News-Verbreiter tritt seiner Umwelt schließlich als so übertrieben arrogantes, selbstherrliches und manipulatives Arschloch gegenüber, wie es Roux in diesem Krimi tut – das ist Charakterzeichnung mit dem Vorschlaghammer und der Krimireihe nicht würdig.
Für die übrigen Verdächtigen gilt das Gleiche: Die völlig eindimensional angelegten Unternehmer Planker Junior und Senior sind seelenlose Klischees auf zwei Beinen, sacken fleißig Schmiergelder ein und machen damit natürlich irgendwelche miesen Waffengeschäfte – all das wird im 1106. „Tatort“ in kaum mehr als zehn Sätzen angerissen, spielt für die Geschichte aber im Grunde auch überhaupt keine Rolle. Viel interessanter ist doch, mit welchem Trick es der pfiffigen KTU-Chefin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) wohl gelingt, Zugriff auf den Laptop des tatverdächtigen Roux zu erhalten – es ist nur eine von unzähligen unfreiwillig komischen Szenen, die so unbeholfen arrangiert sind, dass man diesen „Tatort“ von Minute zu Minute weniger ernst nehmen kann.
Gefilmte Hausdurchsuchung? (© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)
Daran ändern auch die miserable Synchronisation des schwyzerdütschen O-Tons, die platten Dialoge und die fest im Ensemble verankerten Figuren nichts, an die man sich ja fast schon gewöhnt hat: Der ans Karikatureske grenzende Regierungsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) nervt pausenlos mit cholerischen Standpauken und einem aberwitzigen Verteidigungsreflex gegenüber jedem, der leise Kritik an den oberen Zehntausend übt – und den Kommissaren gelingt es trotz dieser bemüht konstruierten Reibungspunkte auch in ihrem letzten Fall nicht mehr, so etwas wie Profil zu entwickeln. Während wir über Ritschard seit 2011 im Grunde nur erfahren haben, dass sie lesbisch ist, hat Flückiger eine Schwäche für Boote – beides wird in der (zweifellos gut gemeinten) Schlussszene des Films noch ein letztes Mal aufgegriffen. So muss man nach acht Jahren und sechzehn Folgen ernüchtert resümieren: Zum Glück ist der Luzerner „Tatort“ Geschichte.
Fazit: Tom Gerbers „Tatort: Der Elefant im Raum“ ist ein zum Fremdschämen schlechter Krimi, der den Abschied der selten überzeugenden Luzerner Ermittler fast wie eine Erlösung erscheinen lässt.