Zu viel vorgenommen für 90 Minuten
Von Lars-Christian DanielsIn den Sonntagskrimis der ARD geht es im Dezember 2019 so international zu wie schon seit Jahren nicht mehr: Im überraschend schwachen „Tatort: Borowski und das Haus am Meer“ lösten die Kieler Kommissare den Fall am Ende in Dänemark, im humorvollen „Tatort: Väterchen Frost“ bekam es das Team aus Münster mit russischen und südafrikanischen Schwerverbrechern zu tun und auch im Brandenburger „Polizeiruf 110: Tod einer Journalistin“ wird am letzten Sonntag des Jahres einmal mehr jenseits der deutsch-polnischen Grenze ermittelt.
Die diesjährige Weihnachtsausgabe der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, die die ARD am 26. Dezember ins Quotenrennen gegen „Das Traumschiff“ mit seinem neuen Kapitän Florian Silbereisen schickt, bildet da keine Ausnahme: In „Tatort: One Way Ticket“ von Rupert Henning führt die Spur in einem Mordfall bis in die Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Dabei leidet der Film jedoch unter demselben Problem wie schon so viele politisch angehauchte Sonntagskrimis vor ihm: Für 90 Minuten „Tatort“ ist die ambitionierte Geschichte schlichtweg eine Nummer zu groß.
Die Komissare bekommen es mit einer ganzen Gruppe drogenschmuggelnder Rentner zu tun.
Timo Harbig (Jakob Spieler), der als Entwicklungsexperte einer NGO in München Hilfsprojekte für Afrika organisiert, wird vergiftet am Steuer seines Wagens aufgefunden. Die Bilder einer Überwachungskamera zeigen die Afrikanerin Numa Imani (Cynthia Micas), die sich nach seinem Tod vom Fahrzeug entfernt. Saß sie mit im Auto? Die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die bei ihren Ermittlungen von den Kommissaren Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) sowie von Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) unterstützt werden, erfahren von einem Schmugglerkartell, das mit Harbig in Kontakt stand und unauffällige deutsche Rentner wie Martin Endler (Siemen Rühaak) als Geld- und Drogenkuriere einsetzt…
Wer sich gegen „Das Traumschiff“ und für den 1114. „Tatort“ entschieden hat, der bekommt schon in den Anfangsminuten des Krimis einen Vorgeschmack darauf, wie sehr er – anders als beim seichten Parallelprogramm im ZDF – in den folgenden eineinhalb Stunden gefordert wird. Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning, der bereits drei „Tatort“-Folgen aus Wien inszeniert hat, wirft den Zuschauer mitten in die Geschichte hinein und springt zwischen drei verschiedenen Handlungsebenen hin und her. Während Batic, Leitmayr und der auffallend forsche Hammermann den Fundort der Leiche begutachten, landet Rentner Martin Endler im härtesten Knast Kenias und muss dort schnell ums nackte Überleben fürchten. Seine Schmugglerkollegin Uschi Drechsl (Ulrike Willenbacher) läuft derweil NGO-Mitarbeiterin Amelie Seitz (Theresa Hanich) in die Arme, die die Machenschaften der vermeintlich unbescholtenen Rentner ans Licht zu bringen droht.
Der unübersichtliche, aber durchaus mitreißende Auftakt dieser sperrigen Münchner „Tatort“-Folge steht exemplarisch für das komplexe Gesamtkonstrukt der Geschichte, die dem Zuschauer zum Ausklang der Feiertage viel Aufmerksamkeit abverlangt und nicht gerade ein „Krimi für Zwischendurch“ ist. Denn als wäre der Brückenschlag ins ferne Ostafrika für einen Sonntagskrimi nicht schon Herausforderung genug, verknüpfen die Filmemacher die Geschäfte des „Kibera-Kartells“ mit einem Crashkurs in Gift- und Pflanzenkunde und der „Hauptverwaltung Aufklärung“ des Ministeriums für Staatssicherheit: Die Substanz, mit der Harbig im Münchner Hier und Heute vergiftet wurde, stammt aus einem angolanischen Wolfsmilchgewächs und wurde einst in den Berliner Laboren der Stasi gewonnen. Klingt konstruiert? Keine Sorge, das ist es auch.
Mit dem Ausflug in die DDR-Historie haben die Filmemacher sich keinen Gefallen getan, denn vor allem das Thema Altersarmut, das allein schon genug Potenzial für eine ausführliche Aufarbeitung in einem 90-minütigen Krimidrama geboten hätte, kommt durch den unnötig kompliziert arrangierten Mordfall zu kurz. Was es heißt, sein Leben lang gearbeitet zu haben, um sich dann mit Blick auf den Münchner Mietspiegel bei der „Tafel“ anstellen und seine schmale Rente mit Drogenschmuggel aufbessern zu müssen, wird bei einem Verhör zwar kurz skizziert – näher beleuchtet wird aber nur das Schicksal des in Nairobi einsitzenden Endler. Die beängstigenden Sequenzen im afrikanischen Knast sind zugleich das Aufregendste an der dialoglastigen und nach klassischer „Tatort“-Dramaturgie ablaufenden Geschichte: Die obligatorische zweite Leiche wird nach einer knappen Stunde gefunden und am Ende bekommt natürlich jeder Bösewicht das, was er verdient.
Todesursache: Gift aus einem Stasi-Labor!
In einem Aspekt hebt sich der solide besetzte und routiniert inszenierte „Tatort: One Way Ticket“ aber von ähnlich gelagerten Politkrimis ab: Statt sich in den im „Tatort“ häufig zu beobachtenden 08/15-Grabenkämpfen mit übergeordneten Behörden zu verlieren, arbeitet die Kripo konstruktiv mit dem in Nairobi stationierten BKA-Verbindungsbeamten Rolf Hardt (Moritz von Treuenfels) zusammen. Reisestrapazen nach Kenia bleiben den Kommissaren im Übrigen erspart: Anders als ihre Kölner Kollegen Ballauf und Schenk, die im „Tatort: Blutdiamanten“ einen Edelsteinhändler in Belgien stellten und im „Tatort: Manila“ zur Zerschlagung eines Kinderprostitutionsrings nach Thailand flogen, ermitteln Batic und Leitmayr ausschließlich in ihrer Heimat. Alles andere hätte wohl auch endgültig den Rahmen gesprengt.
Fazit: Ordentlich inszenierter, aber überfrachteter „Tatort“, dessen komplexe Geschichte sich eben nur schwer ins übliche 90-Minuten-Korsett pressen lässt.