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    Border
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Border
    Von Carsten Baumgardt

    Der inzwischen in Dänemark lebende Iraner Ali Abbasi zählt Arthouse-Legenden wie Luis Buñuel („Der diskrete Charme der Bourgeoisie“), Chantal Akerman („Jeanne Dielman“) und Federico Fellini („Das süße Leben“) zu seinen Vorbildern und dieser künstlerische Einfluss ist auch den eigenen Werken des Horrorspezialisten anzumerken. Schon in seinem Erstling „Shelley“ kombinierte Abbasi handfestes Genrekino mit vielfältigen (selbst-)reflexiven motivischen und thematischen Verweisen. Nach dem Schwangerschaftshorror mit „Frankenstein“-Echos legt der Regisseur nun erneut einen beziehungsreichen Genrefilm der etwas anderen Art vor. Die Basis für seinen Fantasy-Horror-Thriller „Border“ (Original: „Gräns“) bietet eine bekannte uralte Sage, was im Film erst so spät klar wird, dass sie hier nicht verraten werden soll. „ Border“ ist ein wilder Ritt, bei dem man als Betrachter lange nach Orientierung sucht – und wenn man sie schließlich bekommt, offenbart sich eine bis dahin kaum zu erahnende erzählerische Tiefe.

    Die zurückhaltende Tina (Eva Melander) ist eine Frau mit einer außergewöhnlichen Gabe: Die schwedische Grenzbeamtin besitzt einen fast schon übernatürlichen Geruchssinn. Sie kann Emotionen wie Scham, Schuld oder auch Angst tatsächlich riechen. Das macht sie an der Grenze zu einer wertvollen „Waffe“. Sie irrt sich nie und filtert gewissenhaft Menschen heraus, die Waren über die erlaubten Freimengen hinaus ins Land schmuggeln wollen. Nur bei einem Mann versagt ihr Instinkt: Vore (Eero Milonoff) hat wie Tina einen Chromosomenfehler, was zu einer gewissen Deformierung des Gesichts führt. Die Neugier aufeinander ist so groß, dass sich die beiden Außenseiter anfreunden – was Tinas Freund Roland (Jörgen Thorsson) nicht wirklich passt. Vore macht ihm unterschwellig Angst…

    Auf der Suche nach neuen Inspirationen im Horror-Genre wurde Abi Abbasi nach eigener Aussage in Schweden fündig – genauer gesagt beim Schriftsteller John Ajvide Lindqvist. Dessen Roman „So finster die Nacht“, der sowohl in seiner Heimat von Tomas Alfredson, als auch von Matt Reeves in den USA (als „Let Me In“) verfilmt wurde, hatte es Abbasi schwer angetan. Und so landete er bei Lindqvists Kurzgeschichte „Border“, die er für seinen zweiten Kinofilm adaptierte. Bis der Kern der Mär enthüllt ist, kratzt Abbasi scheinbar wüst mehrere Genres mit unterschiedlichen erzählerischen Tonlagen an. Mal ist sein Film humoristisches Märchen, mal beklemmender Krimi, mal tragische Romanze. Wohin das Ganze führen soll, bleibt rätselhaft und vage, bis sich all diese scheinbar disparaten Elemente als Teil einer geschickt gestellten erzählerischen Falle erweisen: Im letzten Akt tut sich unerwartet ein Abgrund auf, Genregrenzen werden gesprengt, der Film erreicht eine neue Komplexität und liefert jede Menge Denkanstöße.

    Es ist zunächst vor allem irritierend, wenn Tinas sensibel erzählte Suche nach sich selbst mit einem reißerischen Subplot um einen Kinderpornoring, vor dem schon Babys nicht mehr sicher sind, kontrastiert wird. Und dessen abstoßender Ton steht wiederum im scharfen Gegensatz zu den Anflügen von Humor, den der Einsatz von Tinas sensationell sensiblem Riechorgan durchaus mit sich bringt. Über weite Strecken des Films erschwert diese sehr heterogene Erzählweise das Mitfiebern, zumal zunächst wenig darauf hindeutet, dass ein großer Plan dahintersteckt. Aber sobald die erzählerische Katze aus dem Sack ist, fügen sich plötzlich die vielen losen Einzelteile der Geschichte auf wundersame Weise zusammen und sogar der Kinderpornoplot ergibt in dem neuen Kontext erschreckenden Sinn. Abbasi landet mit diesem Paukenschlag einen klaren Wirkungstreffer. Ein echter Schock!

    Dass die dramaturgischen Tricks und Kniffe am Ende so gut funktionieren und „Border“ sich vom Genrereißer zum existenziellen Drama aufschwingt, ist vor allem auch den Hauptdarstellern zu verdanken, die dem Film eine gewisse Beständigkeit geben. Eva Melander („Flocken“) leistet unter einer dicken prosthetischen Maske Großartiges – ebenso wie ihr Partner Eero Milonoff („Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“). Wie ein Tier zuckt sie leicht mit der Nase und schnüffelt, vermittelt mit kleinen Regungen feine Stimmungen. Es gibt das skeptische Schnüffeln, aber auch das wütende und das traurige. Ihr Pendant Vore wirkt unterdessen noch wesentlich animalischer, wovon sich Tina magisch angezogen fühlt. Er strahlt die Gefährlichkeit eines Serienkillers aus und außer Tina weichen alle Menschen in seinem Umfeld instinktiv vor ihm zurück – man wäre nicht überrascht, wenn die beiden in diesem ungewöhnlichen Film anfangen würden, gemeinsam den Mond anzuheulen.

    Fazit: Ali Abbasis twistreicher Mystery-Thriller „Border“ beginnt als surreal angehauchte Groteske und endet als abseitig-komplexer Horrortrip mit scharfen Ecken und Kanten. Ein erfrischender Mix!

    Wir haben „Border“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er in der Sektion Un Certain Regard gezeigt wurde.

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