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    Maestro
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Maestro

    Hält leider nicht, was die Wucht der ersten 15 Minuten verspricht

    Von Björn Becher

    Schon seit vielen Jahren will Hollywood den berühmtesten aller US-amerikanischen Dirigenten mit einem opulenten Biopic ehren – wohl auch, weil Leonard Bernstein als Komponist (u.a. von „West Side Story“) eben auch für die Traumfabrik selbst eine ganz wichtige Rolle spielt: Ursprünglich sollte Steven Spielberg ein Drehbuch von seinem „Die Verlegerin“-Autor Josh Singer verfilmen, wobei seine Wahl für die Hauptrolle schnell auf „Hangover“-Star Bradley Cooper fiel. Doch aufgrund der zahlreichen anderen Projekte des vielbeschäftigten Regisseurs verzögerte sich das Biopic immer weiter – bis Spielberg schließlich Coopers umjubeltes Regiedebüt „A Star Is Born“ zu sehen bekam. Da der Schauspieler ohnehin bereits zahlreiche Ideen mit in das Projekt eingebracht hatte, war Spielberg schnell klar: Sein Hauptdarsteller muss den Film selbst inszenieren!

    Mit Steven Spielberg und Martin Scorsese als Produzenten im Schlepptau wurde „Maestro“ schließlich von Netflix finanziert: Das strukturell eher klassische Biopic ist ein Ritt durch die verschiedenen Stationen in der Karriere des legendären Musikgenies. Aber als eigentliche Attraktion entpuppt sich dabei immer mehr dessen Frau Felicia, selbst eine gefeierte Schauspielerin. Das ist ein echter Glücksfall: Denn selbst wenn der Film noch recht rasant und verspielt anfängt, werden irgendwann doch recht trocken verschiedene Wendepunkte im Leben des Paares abgeklappert – und dann ist es vor allem die famose Carey Mulligan, die für die Lichtblicke sorgt.

    Bradley Cooper spielt Bernstein – mit starker Maske – bis ins hohe Alter.

    Als der 25 Jahre alte Leonard Bernstein (Bradley Cooper) nach einem inzwischen sagenumwobenen Telefonanruf im Jahr 1943 kurzfristig für den erkrankten Bruno Walter einspringt und das New York Philharmonic Orchestra in der prestigeträchtigen Carnegie Hall dirigiert, scheint sein weiterer Karriereweg vorgezeichnet. Denn nach dem umjubelten und landesweit im Rundfunk übertragenen Konzert könnte er der erste amerikanische Dirigent von Weltrang werden – auch wenn er dafür womöglich seinen jüdischen Nachnamen aufgeben müsste.

    Aber Bernstein denkt gar nicht daran, diesem Pfad zu folgen – zumindest nicht ausschließlich: Ermuntert von der aus Chile stammenden Schauspielerin Felicia Montealegre Cohn (Carey Mulligan), in die er sich so Hals über Kopf verliebt, dass er sogar seine bisherige homosexuelle Beziehung aufgibt, setzt er an, alle verschiedenste Bereiche der Musik zu erobern. Er will nicht nur dirigieren, er will auch spielen, lehren und vor allem komponieren – und das noch querbeet vom Bühnenmusical bis zum Kinoscore. Schon bald ist Bernstein ein Star, doch in der anfangs so harmonischen Ehe zeigen sich schnell Risse – vor allem da Leonard seine Affären mit jungen Männern immer weniger verheimlicht…

    Es geht stark los

    Bradley Cooper inszeniert den Auftakt von „Maestro“ mit einer Wucht, die jener des Dirigenten Leonard Bernstein schon ziemlich nahekommt: Wenn der junge Musiker noch im Bett seines Partners den Anruf erhält, dass er als Dirigent einspringen soll, läuft er aufgelöst aus der Zimmertür und ist direkt in den Fluren der Carnegie Hall, wo er dann ohne sichtbaren Schnitt bald nicht mehr im Schlafanzug, sondern im Frack die Bühne betritt. So geht es weiter: Wo Felicia gerade noch in intimer Zweisamkeit die Textzeilen für ein neues Theaterstück mit Leonard probt, geht die Szene plötzlich vor jubelndem Publikum zu Ende. Sogar ihre Verbeugung gleitet nahtlos in eine des gefeierten Dirigenten über. Doch diese unglaubliche Rasanz hält „Maestro“ nicht durch, stattdessen weicht sie schließlich einem eher spröden Drama.

    „Maestro“ umfasst zwar Jahrzehnte im Leben des Paares, ist aber trotzdem kein verfilmter Wikipedia-Artikel: Cooper greift sich einzelne Stationen heraus und lässt diese teils kontextlos und ohne Jahreszahlen auf uns los. Da werden in Dialogen plötzlich Konflikte angesprochen, die vorher gar nicht groß ausgebreitet wurden. Da liegt es nahe, im Nachhinein noch mal zu googeln, was genau es etwa mit Felicias jahrelangem Verlöbnis mit einem Schauspieler noch vor ihrer Ehe mit Leonard auf sich hatte. Die fehlende Einordnung ist dabei gar nicht das Problem – ganz im Gegenteil: Gerade im Mittelteil fühlt sich „Maestro“ nämlich trotz der Auslassungen an wie ein sehr klassisches Biopic – und da wird’s dann auch mal ganz schön trocken. In langen Einstellungen werden die Konflikte des Paares (sie akzeptiert zwar seine Homosexualität, verlangt aber, dass er sie – vor allem vor den Kindern – verschweigt) geschildert. Der Schwung des Auftakts geht verloren.

    Bernstein ist als Dirigent voll in seinem Element – da kann er endlich er selbst sein, ohne sich ständig verstellen zu müssen.

    Mit Bradley Coopers in der englischen Originalfassung bisweilen anstrengenden Versuch, den ganz eigenen nasalen Sprachstil von Bernstein zu imitieren, läuft „Maestro“ zusätzlich Gefahr, sein Publikum zu ermüden. Zumal der Regisseur und Hauptdarsteller – vielleicht auch, weil Bernsteins drei Kinder das Projekt offiziell unterstützen – in der Darstellung der Affären seines Protagonisten ausgesprochen brav und bieder bleibt. Da sehen wir dann maximal, wie Bernstein auf dem Balkon im Opernhaus mit seinem aktuellen Geliebten Tommy (Gideon Glick) Händchen hält, während Felicia daneben sitzt und so tun muss, als würde sie von all dem nichts mitbekommen.

    Trotzdem ist „Maestro“ bis zum Schluss kein Ausfall: Das liegt zum einen an der starken Kameraarbeit von Matthew Libatique („Black Swan“). Das von den 1940ern bis in die 1980ern reichende Geschehen ist jeweils im Stil der aktuell porträtierten Ära inszeniert: So bietet „Maestro“ zu Beginn Schwarz-Weiß-Bilder im damals üblichen, sehr engen 1,33:1- Seitenverhältnis. Während es durch die Jahrzehnte geht, kommt nicht nur irgendwann Farbe hinzu, auch die genutzten Farbpaletten und Bildformate ändern sich immer wieder. Ohnehin sieht „Maestro“ einfach verdammt gut aus – von den famosen Sets und Kulissen bis hin zum starken Make-Up, das Cooper und Mulligan ihre Figuren selbst im hohen Alter erstaunlich glaubhaft verkörpern lässt.

    Die Musik und Carey Mulligan überragen alles

    Dass „Maestro“ sich auch verdammt gut anhört, liegt nahe: Cooper konnte auf das komplette Werk von Leonard Bernstein zurückgreifen, weshalb der bereits 1990 verstorbene Komponist nun posthum noch mal einen weiteren Musik-Credit erhält. Cooper setzt die Musik mit maximalem Effekt wirkungsvoll ein und lässt die teilweise gewaltigen Stücke in ihrer vollen Imposanz anschwellen. Er unterstreicht aber auch immer wieder die Vielfältigkeit des Schaffens, indem er nicht nur die klassischen Orchester-Scores nutzt, sondern immer wieder auch beschwingte Stücke (u.a. aus „West Side Story“) einsetzt, um Szenen aufzulockern.

    Das größte Highlight von „Maestro“ bleibt aber trotzdem Carey Mulligan, die selbst im bisweilen recht drögen Mittelteil brilliert. Ob als lebensfrohe, stoische, gebrochene, kämpfende oder sterbende Frau bleibt sie der emotionale Anker in diesem Ritt durch die Jahrzehnte. Auch die stärkste Szene des Films, die ohne viele Worte auskommt, gehört Felicia: Als Leonard mal wieder von allen gefeiert wird, rennt sie einfach aus dem Haus und springt in den Pool. Unter Wasser zeigt sich ihre ganze Isolation, findet sich aber auch ein Moment der Ruhe. Hier ist sie Felicia und nicht die Frau von Leonard Bernstein, die Journalisten fragen, was sie eigentlich so treibt, während ihr Mann doch so viele verschiedene Dinge beherrscht.

    Der ganz und gar nicht heimliche Star des Films: Carey Mulligan als Felicia Bernstein!

    Selbst wenn Leonard Bernstein deutlich mehr Leinwandzeit hat, ist „Maestro“ im Kern der Film von Felicia Bernstein: Während Bradley Cooper den berühmten Komponisten samt seiner Manierismen, seines wilden Dirigierstils und seiner nasalen Stimme vor allem kopiert, macht sich die für „An Education“ und „Promising Young Woman“ bereits zweifach oscarnominierte Carey Mulligan ihre Rolle vollkommen zu eigen. Es ist also kein Wunder, dass sowohl das Filmposter als auch die letzte Szene vor dem Abspann Felicias Rücken und nicht den ihres Mannes zeigen…

    Fazit: Nach einem berauschenden Auftakt stellt sich irgendwann doch eine gewisse Biopic-Ödnis ein. Zum Glück gibt es die herausragende Carey Mulligan, die selbst solchen Szenen regelmäßig Leben und Emotionen einhaucht.

    Wir haben „Maestro“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

     

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