Schwule Profifußballer im Kicker-Drama
Von Christoph PetersenAls Mats Hummels im Sommer 2017 in der Talkshow „Schulz & Böhmermann“ von Moderator Jan Böhmermann auf Homosexuelle im Profifußball angesprochen wurde, erwiderte der Weltmeister und FC-Bayern-Profi: „Ich glaube, dass einfach nur einer den Anfang machen muss. Aber ein wirklich großer Spieler.“ Das ist aber auch eineinhalb Jahre später noch immer nicht passiert – und es spricht auch nichts dafür, dass es in den kommenden Wochen oder Monaten soweit sein wird. Auch Thomas Hitzlsperger, der einzige prominentere offen homosexuelle Profifußballer aus Deutschland, hat sich schließlich erst nach seinem Karriereende geoutet. Homosexuelle haben auch heute noch an vielen Stellen mit Widerständen zu kämpfen – aber der Profifußball ist eine der wenigen Domänen, wo auch in offenen westlichen Gesellschaften Schwulsein „gar nicht geht“. In diese Kerbe schlägt nun auch der Schweizer Regisseur Marcel Gisler mit seinem im Kern zwar präzise beobachteten, an den Rändern aber bisweilen klischeehaften Drama „Mario“.
Mario (Max Hubacher, „Der Hauptmann“) spielt erfolgreich für die U-21-Mannschaft des BSC Young Boys. Wenn alles weiterhin wie geplant läuft, scheint ihm der Sprung in die Profimannschaft im nächsten Jahr kaum noch zu nehmen zu sein. Aber dann wechselt der offensichtlich noch talentiertere Leon (Aaron Altaras, „Die Unsichtbaren“) aus Hannover in das Team. Damit hat Mario allerdings nicht nur einen weiteren Konkurrenten an seiner Seite, gegen den er sich behaupten muss. Mario verliebt sich auch in den Neuzugang, mit dem er kurz darauf sogar in eine gemeinsame Spielerwohnung gesteckt wird. Aber eine öffentliche Liebesbeziehung würde wohl für die Profiträume beider Spieler das sofortige Aus bedeuten – und so tun Mario und Leon alles, um ihre Gefühle füreinander möglichst geheim zu halten. Aber während Mario seine wahren Emotionen immer tiefer in sich hineinfrisst, hält Leon den zunehmenden Druck des ständigen Lügenmüssens irgendwann einfach nicht mehr aus…
Das Drama von Marcel Gisler („Rosie“, „Electroboy“) überzeugt vor allem immer dann, wenn Mario und Leon allein mit sich und ihren Gefühlen sind, wenn sie für sich um ihre ganz eigene Form der Männlichkeit im Machoklischees zelebrierenden Fußballzirkus ringen. Das ist oft wunderbar präzise beobachtet, etwa wenn Mario sein erstes Tor nach dem ersten Kuss schießt. Denn nachdem der Torschütze jedem in der Mannschaft um den Hals gefallen ist, gerät er nur vor dem Flankengeber Leon plötzlich ins Stocken. Das ständige Hin und Her zwischen Profitraum und erster großer Liebe, Anziehung und Abstoßung spiegelt sich auch auf dem Platz wider – ohne dass die Spielszenen dabei allzu plakativ darauf ausgerichtet wären, einfach nur einen bestimmten Punkt zu unterstreichen. Auch folgt „Mario“ keinesfalls einer typischen RomCom-Dramaturgie mit märchenhaftem Happy End. Stattdessen bleibt Gisler seinen Figuren und seiner Thematik bis zum Schluss treu. Er erkennt konsequent und wertungsfrei an, was es bedeutet, es als homosexueller Sportler im Fußballgeschäft zu etwas bringen zu wollen.
Wie Gisler das ständige Ringen mit sich selbst von außen befeuert, ist hingegen weit weniger subtil, sondern derart mechanisch, dass es wiederholt an der Grenze zum Klischee kratzt. Dabei geht es gar nicht darum, dass jemand auf dem Platz plötzlich „Was für ein schwuler Schuss!“ ruft. Es geht darum, dass es in der fraglichen Szene ausschließlich darum geht, dass jemand auf dem Platz „Was für ein schwuler Schuss!“ ruft. Etwas Ähnliches gilt auch für die Figur des übermotivierten Vaters (Jürg Plüss) oder das Gespräch mit den Vereinsverantwortlichen, die mit ihrem angestrengten Streben nach politischer Korrektheit erst das ganze Maß ihrer Homophobie offenbaren. Und als Mario ein quälendes Fotoshooting mit seiner Fake-Freundin absolviert, muss die Journalistin natürlich noch einmal ganz deutlich betonen, dass sie ja von einer „Familienzeitung“ stamme. All diese Figuren und Situationen wären nur eben noch viel kraftvoller, wenn man ihnen nicht sofort ansehen würde, worauf Gisler und sein Co-Drehbuchautor Thomas Hess mit ihnen hinauswollen.
Eine gewisse Ambivalenz wird bei den Nebenfiguren so alleine Marios Spielerberater zugestanden: Peter Gehrling (Andreas Matti) ist ein hemdsärmeliger Fußball-Funktionär vom Lande, der völlig selbstverständlich und ohne jedes Fingerspitzengefühl sagt, dass „Drogen, Sex mit Minderjährigen und schwules Zeugs“ im Profigeschäft gar nicht gehen würden, der zugleich aber auch das Herz am rechten Fleck zu haben scheint und vor allem nach pragmatischen Lösungen strebt. Da weiß man nicht sofort (und eigentlich auch nicht am Ende), ob man ihn nun zu den Guten oder zu den Schlechten zählen soll. Spannend.
Fazit: Ein Film über ein brandheißes Thema mit zwei ganz starken Hauptdarstellern. Aber für den ganz großen Wurf reicht es trotzdem nicht, weil die Autoren an vielen Stellen doch lieber den offensichtlichen statt den subtileren Weg gehen, was dem Drama auch etwas von seiner emotionalen Durchschlagskraft kostet.
PS: Für deutsche Fußballfans außerdem interessant: Nach einem Wechsel zum FC St. Pauli spielt das letzte Drittel des Films zum Teil auch am Millerntor (und St. Pauli haut den KSC 1:0 weg).