Endlich mal wieder ein richtig gutes Netflix-Original!
Von Michael MeynsIn Europa wird aktuell wieder viel darüber diskutiert, wie die exorbitanten Summen, die speziell Pay-TV-Sender für Fußballübertragungsrechte zu zahlen bereit sind, den Sport (negativ) verändert. Im US-amerikanischen Profisportarten geht es natürlich auch um das Geld, zugleich aber in den vergangenen Jahren auch immer mehr um Fragen des Rassismus: Gerade im Basketball sind die meisten Spieler zwar schwarz, die Teambesitzer aber weiß, was mitunter zu heiklen ethischen Verwicklungen führen kann. Genau darum geht es auch im neuen Film von Steven Soderbergh (oscarprämiert für „Traffic“), den der „Magic Mike“-Regisseur in nur zwei Wochen mit einem iPhone als Kamera abgedreht hat. Dementsprechend dicht und intensiv fühlt sich das Netflix-Sportdrama „High Flying Bird“ auch an. Hier wird zwar fast kein Basketball gespielt, sondern vor allem viel geredet, aber das mit einer Energie und Intelligenz, die einfach von der ersten Szene an mitreißt.
In der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA wird gestreikt und langsam bekommt die Firma des Spieleragenten Ray Burke (André Holland) echte Geldprobleme. Ray ist bekannt dafür, junge, aufstrebende Spieler unter Vertrag zu nehmen und ihnen bei ihren ersten Schritten in der NBA zu helfen. Einer seiner Klienten ist Erick Scott (Melvin Gregg), ein Rookie, der ebenfalls schon Probleme bekommt, seine Rechnungen zu bezahlen. Als Erick mit seinem zukünftigen Teamkollegen Jamero Umber (Justin Hurtt-Dunkley) in ein Twitter-Gefecht gerät und es zu einem Eins-gegen-Eins-Duell in einer Turnhalle kommt, wittert Ray seine Chance: Was wäre, wenn es eine neue Basketball-Liga gäbe; eine Liga, die unabhängig von Teambesitzern wie David Seton (Kyle MacLachlan) agieren könnte und in der Spiele via Internet gezeigt werden. Oder auf Netflix...
Das Drehbuch von Tarell Alvin McCraney (Oscar für die Story zu „Moonlight“) ist so dicht, so voll von Text und Subtexten, dass es kaum möglich ist, alle Details beim ersten Sehen wahrzunehmen. Aber das macht nichts, denn auch wenn man nicht immer ganz genau nachvollziehen kann, worüber die Spieleragenten, Manager und Teambesitzer hier genau streiten, ist die Grundtendenz doch unübersehbar: Die einen haben die Kontrolle, die anderen werden an der kurzen Leine gehalten. Dass die einen weiß und die anderen schwarz sind, muss da gar nicht groß erwähnt werden, das ist unübersehbar. Das McCraney und Soderbergh die Rassenthematik trotzdem nie explizit ausstellen, sondern sie einfach nur unterschwellig mitschwingen lassen, macht ihre Analyse der Strukturen des amerikanische Sports und damit auch der amerikanischen Gesellschaft nur noch überzeugender.
Es geht natürlich um sehr viel Geld, zugleich aber eben auch um Abhängigkeitsstrukturen, Macht und nicht zuletzt Kontrolle. Wie ein ehemaliger Profibasketballer, der nun Highschool-Kinder trainiert, an einer Stelle des Films erklärt: Schwarzen Spielern wurde vor allem deshalb das Mitspielen erlaubt, um sie unter Kontrolle zu halten. Statt eine schwarze Konkurrenzliga zur weißen Profiliga zuzulassen, wurde 1950 dem ersten schwarzen Spieler erlaubt, in der NBA mitzuspielen. Inzwischen stellen Schwarze gut 75 Prozent der Spieler. Die besten werden natürlich extrem gut bezahlt, Superstars wie Steph Curry oder LeBron James verdienen mehr als 35 Millionen Dollar pro Jahr, das Durchschnittsgehalt beläuft sich auch noch auf entspannte 7,4 Millionen. Doch das richtig große Geld verdienen weiterhin die Teambesitzer.
Es mutet ein wenig wie einer der Heist-Filme an, die „Ocean’s Eleven“-Mastermind Soderbergh ja so sehr liebt, wenn Ray hier versucht, eine alternative Liga an den Start zu bringen und den Bossen „da oben“ die Macht zu entreißen, um die Geldströme umzuverteilen. Da liegt es auf der Hand, diesen (noch) utopisch anmutenden Versuch, die scheinbar auf ewig festgefahrenen Strukturen einzureißen, mit Soderberghs Versuchen zu vergleichen, seine Filme zukünftig außerhalb des Hollywood-Studiosystems zu drehen: „Logan Lucky“ hatten der Regisseur und seine Partner etwa selbst in die Kinos gebracht, allerdings mit nur durchwachsenem Erfolg. Nun experimentiert Soderbergh zunehmend mit dem Drehen auf dem iPhone, zunächst in dem überzeugenden Thriller „Unsane - Ausgeliefert“ und nun eben in dem noch besseren „High Flying Bird.“ Auch diesmal passt die Ästhetik perfekt, wenn Soderbergh (der wie immer auch selbst die Kamera führt) die für die Verhandlungen genutzten Büroräume und Luxusrestaurants in grandios klare, sich konsequent kalt anfühlende Bilder taucht. Und dass es schließlich auch noch der Anti-Hollywood-Player Netflix ist, der diesen subversiven, systemkritischen Film veröffentlicht, dürfte dem Ikonoklasten Soderbergh besonders gut gefallen.
Fazit: Der neue, mit einem iPhone für Netflix gedrehte Film von Oscargewinner Steven Soderbergh wirkt wie aus der Hüfte geschossen – und das meinen wir in diesem Fall nur positiv: Mit einer enormen Intensität erzählt er von den Strukturen des Profibasketballs und damit zugleich auch von den tief verwurzelten Rassenverhältnissen in den USA.