Wenn sich deutsche Drehbuchautoren an obszöner Jugendsprache versuchen, dann wird es in 999 von 1.000 Fällen peinlich. Und wenn sich deutsche Drehbuchautoren an Battle Rap versuchen, so richtig mit „Opfer“ und „Fotze“, dann wird es in 999 von 1.000 Fällen megapeinlich. Damit standen die Chancen, dass man sich als Zuschauer bei der als „Cyrano de Bergerac“ trifft „Fack ju Göhte“ gepitchten Teenie-Komödie „Das schönste Mädchen der Welt“ nicht in Grund und Boden fremdschämen muss, in etwa so gut wie die Aussicht auf einen Sechser im Lotto. Aber was soll’s: Regisseur Aron Lehmann („Die letzte Sau“) und seine Autoren Lars Kraume und Judy Horney hatten von Beginn an keine Chance – und sie haben sie genutzt! Und wie!
Das 1897 von Edmond Rostand geschriebene romantische Versdrama „Cyrano de Bergerac“ handelt von einem Dichter mit gigantischer Nase, der seiner Angebeteten die schönsten Verse schreibt, dann aber einen attraktiven Dummkopf als sein Alter Ego vorschickt, weil er sich selbst mit seinem Riesenknollen keine Chancen ausrechnet. Und obwohl sich die Autoren von „Das schönste Mädchen der Welt“ recht eng an die Vorlage halten, wirkt ihr Film keineswegs krampfhaft konstruiert, stattdessen passt die Konstellation des mehr als 120 Jahre alten Dramas erstaunlich gut in das Setting einer Oberstufenklassenfahrt nach Berlin. Nur ist der großnasige Cyril (Aaron Hilmer) diesmal eben kein Dichter, sondern ein Rapper, und Roxy (Luna Wedler) ist auch keine passive Maid, die nur zum Anbeten und Retten da ist, sondern eine ziemlich selbstbewusste Teenagerin, die sich im Fall der Fälle schon sehr gut selbst zu behaupten weiß…
Es gibt bereits mehr als zehn Verfilmungen der „Cyano de Bergerac“-Geschichte - neben der Historiendrama-Adaption mit Gérard Depardieu von 1990 ist die ziemlich alberne Steve-Martin-Komödie „Roxanne“ von 1987 wohl die bekannteste. Aber noch nie ist es so gut wie nun bei „Das schönste Mädchen der Welt“ gelungen, die durchaus schon etwas angestaubte Prosa von Edmond Rostand derart kongenial in die heutige Zeit zu übertragen – und das Lob dafür gebührt wohl besonders zwei Personen: Nämlich der Werbetexterin und Buchautorin Judy Horney („Ich bin eine Frau voller Widersprüche… nee, doch nicht.“), die die Dialoge des ersten Drehbuchsentwurfs so verfeinert hat, dass sie so natürlich und ungekünstelt nach Jugendsprache klingen wie nur ganz, ganz selten im Kino. Und dem Songwriter Robin Haefs, der bei seinen nicht nur authentischen, sondern auch noch verdammt guten Battle-Rap-Lyrics auf jede politische Angepasstheit pfeift, weshalb sie auch zu keiner Sekunde so wirken, als seien sie speziell für einen Jugendfilm geschrieben worden.
Die trocken-resolute Lehrerin sowie die lockere Mutter, die ihren Sohn mit ihrer offenen Art immer wieder in peinliche Situationen bringt („Ich hab dich lieb, du Arschloch!“), sind zwei eigentlich längst ausgelutschte Stereotype, die gerade im deutschen Kino gerne genutzt werden, um noch irgendwie ein paar erwachsene Gaststars fürs Marketing unterzubringen (und das ist mit Heike Makatsch und Anke Engelke auch hier nicht anders). Aber wenn sich wie hier selbst solche Standardfiguren plötzlich frisch und unverbraucht anfühlen, dann zeigt sich, dass wir uns in den Händen eines fähigen Regisseurs und fähiger Autoren befinden, die sich tatsächlich Gedanken darüber gemacht haben, wie sich all die bekannten Situationen auf möglichst frische und lebendige Weise erzählen lassen.
Die Sache endgültig rund (und „Das schönste Mädchen der Welt“ damit zur besten deutschen romantischen Komödie seit „SMS für dich“) machen dann die zwei herausragenden Hauptdarsteller: Nach diversen Nebenrollen in TV-Serien von „Die Pfefferkörner“ bis zum „Tatort: Amour fou“ hat Aaron Hilmer in der Tragikomödie „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ einen ebenso tief religiösen wie tief verstörenden Teenager gespielt – und ausgerechnet diese Rolle hat die Macher von „Das schönste Mädchen der Welt“ auf die Idee gebracht, ihn als romantischen Protagonisten zu besetzen. Das ist endlich mal mutiges Out-of-the-Box-Denken, das sich in diesem Fall hundertfach auszahlt. Luna Wedler ist hingegen in ihrer Schweizer Heimat dank Filmen wie „Flitzer“ schon recht bekannt und war deshalb im Februar 2018 auch einer der European Shooting Stars auf der Berlinale. Aber nach ihrer ebenso natürlichen wie schlagfertigen und aufregend unangepassten Performance als Roxy dürfte es demnächst auch hierzulande Rollenangebote hageln.
Fazit: Klug, aber nicht anbiedernd; hip, aber nicht peinlich; romantisch, aber nicht schnulzig – „Das schönste Mädchen der Welt“ ist eine Liebeskomödie mit grandiosen Dialogen (bzw. Raps) und zwei herausragenden Newcomern in den Hauptrollen.