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    The Endless
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Endless
    Von Christoph Petersen

    Es gibt jede Menge Filme über Menschen, die in eine Sekte hineingeraten. Es gibt auch jede Menge Filme über Menschen, die sich aus den Fängen einer Sekte befreien wollen (oder gegen ihren Willen aus ihr befreit werden). „The Endless“ vom „Spring“-Regieduo Justin Benson und Aaron Moorhead handelt hingegen von einem jungen Mann, der nach seiner Befreiung aus einem Selbstmordkult zehn Jahre lang das „echte“ Leben ausprobiert hat – und nun zunehmend das Gefühl bekommt, dass es ihm damals in der Sekte doch irgendwie alles viel besser gefallen hat: ein spannender Ansatz, der vor allem in der ersten Hälfte des Mystery-Dramas einen erfrischend-provokanten Blick auf Sekten, Kulte und Religionen eröffnet. Leider dient dieses Charakter-Setup dann aber letztlich doch nur als Aufhänger für eine klassische Mystery-Spielerei auf den Spuren von H.P. Lovecraft, David Lynch und der deutschen Netflix-Serie „Dark“, die einige interessante visuelle Einfälle zu bieten hat, aber an die starke Auftaktstunde dann doch nicht heranreichen kann.

    Vor zehn Jahren ist Justin Smith (Justin Benson) mit seinem jüngeren Bruder Aaron (Aaron Moorhead) im Schlepptau einem UFO-Selbstmordkult entkommen. Inzwischen hält sich das Brüderpaar mit dem Putzen fremder Wohnungen über Wasser – zu essen gibt es vornehmlich Fertigsuppen aus Plastikcontainern und mit den Frauen haut es auch nicht hin, weil die regelmäßig die Flucht ergreifen, wenn das Gespräch auf die Vergangenheit der Smith-Brüder kommt. Aber dann taucht plötzlich eine Videokassette mit einer Nachricht der Sekte auf – offenbar haben die Mitglieder sich damals also doch nicht umgebracht. Während Justin weiterhin absolut skeptisch bleibt, will Aaron ihn dazu überreden, das in der Wüste gelegene Sektencamp zumindest für einen Tag zu besuchen. Justin stimmt schließlich in der Hoffnung zu, dass Aaron schon einsehen wird, dass seine Erinnerungen verklärt sind und in der Sekte schlimme Dinge geschehen. Aber als sie im Camp Arcadia ankommen, erscheint das Leben dort doch als ziemlich erstrebenswert und sehr viel besser als das, was die Brüder einsam in der Großstadt führen…

    Dieser Text enthält Spoiler zur Entwicklung der Story in der ersten Hälfte des Films: Ein guter Drogenfilm vermittelt dem Publikum immer erst einmal ein Gefühl für den Rausch, dieses absolute Hochgefühl – und im besten Fall würde der Zuschauer nach der Hälfte der Spielzeit am liebsten selbst einen Trip einschmeißen, bevor er sich anschließend gemeinsam mit dem Protagonisten auf eine rasante Talfahrt begibt und schließlich hart auf dem Erdboden aufschlägt. In „The Endless“ gibt es nur die erste Hälfte dieses erprobten dramaturgischen Konstrukts: Die Sekte bietet gutes gesundes Essen, fördert die kreative Entfaltung jedes einzelnen Mitglieds, das nötige Geld wird nicht abgezockt, sondern stammt von einer eigenen Bierbrauerei. Das von Justin nach der Flucht auch in den Medien gestreute Gerücht, die Mitglieder müssten sich alle zwangssterilisieren lassen, erweist sich ebenfalls als frei erfunden. Es gibt schlicht keinen sichtlichen Grund, nicht selbst in diese Kommune ziehen zu wollen. Aber anstatt dann – wie gewohnt – mit einem Twist zu offenbaren, dass in Wirklichkeit doch alles ganz schrecklich ist, lassen die Filmemacher das eben nicht nur vermeintliche Idyll einfach für sich stehen. Das ist eine gelungene Provokation an sich, kündigt es doch ziemlich radikal den ungeschriebenen Vertrag mit dem Publikum auf, laut dem Sekten, wie einladend sie zwischendurch auch scheinen mögen, letztendlich immer als etwas Abgründiges entlarvt werden.

    Das mag man dann gut oder schlecht finden, aber ganz sicher fordert es den Zuschauer zumindest zu einer eigenen Positionierung heraus. Wobei man sich am Ende gar nicht sicher sein kann, ob dem Regieduo überhaupt an einer solchen Provokation gelegen war – denn in der zweiten Hälfte spielt die Sekte als Sekte praktisch gar keine Rolle mehr. Stattdessen wird schon im ersten Drittel aufgelöst, dass es hier tatsächlich nicht mit irdischen Dingen zugeht – spätestens ab einem Tauziehen mit einem Seil, dessen anderes Ende im dunklen himmlischen Nichts endet, ist der Zuschauer überzeugt und nur Justin klammert sich noch mit letzter Kraft an seine Skepsis. So wandelt sich „The Endless“ zu einem mit Zeitanomalien jonglierenden Mystery-Film, der eine ganze Reihe von merkwürdigen Geschehnissen aneinanderreiht, von denen zwar einige inszenatorisch ordentlich was hermachen (etwa die blinzelnde Sonne oder der Filmprojektor mit der Bettwäscheleinwand), die aber nur noch erstaunlich wenig mit dem zuvor erzählten Charakterdrama um die zwei Brüder zu tun haben – statt um ihre spezielle Situation als Ex-Sektenmitglieder geht es plötzlich nur noch um das sehr allgemein gehaltene Motiv, dass der jüngere Bruder gerne hätte, dass der ältere auch mal auf seine Meinung hört. Das ist in Anbetracht der zu Beginn so überzeugend-vielschichtig eingeführten Figuren dann doch enttäuschend wenig.

    Fazit: Ein starker Sektenfilm mit spannend-provokantem Ansatz wandelt sich nach und nach zu einem lediglich soliden Mystery-Rätsel mit zumindest einigen netten visuellen Einfällen.

    Wir haben „The Endless“ bei den Fantasy Filmfest White Nights 2018 gesehen.

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