Als Steven Spielberg im Frühjahr 2017 das Drehbuch zu „Die Verlegerin“ in die Finger bekam, steckte er eigentlich gerade mitten in den Arbeiten an seinem Sci-Fi-Blockbuster „Ready Player One“, der im April 2018 in die Kinos kommen wird. Trotzdem schob er das Journalismus-Drama über die umstrittene Veröffentlichung der Pentagon Papers kurzerhand dazwischen - denn auch wenn die Handlung im Jahr 1971 angesiedelt ist, fühlte der Regisseur sich angesichts der behandelten Themen so stark an die Gegenwart erinnert, dass 2017 für ihn das einzige passende Jahr für diesen Film war. Also drehte er „Die Verlegerin“ in wenigen Monaten ab und nach der Weltpremiere am 14. Dezember 2017 wurden diese Dringlichkeit und dieser Aktualitätsbezug auch in fast allen Kritiken zum Film hervorgehoben. Tatsächlich gibt es einige offensichtliche Parallelen zwischen der historischen Situation, um die es in „Die Verlegerin“ geht, und der gegenwärtigen Ära von Donald Trump und den von ihm als Fake News bezeichneten Medien. Aber der Film ist weitaus mehr als ein liberales tagespolitisches Fanal, denn dann wäre er bald so überholt wie die Nachrichten von gestern. Vielmehr überführt Spielberg das Aktuelle wie schon in „Lincoln“ oder „Amistad“ auch hier wieder in die Zeitlosigkeit und verbindet es mit einer inszenatorischen Dynamik, die stellenweise fast schon an „Indiana Jones“ oder „Jurassic Park“ erinnert. Das Ganze würzt er zudem mit einer kräftigen Prise Feminismus und präsentiert uns neben einer fulminanten Meryl Streep auch noch den spannendsten Fotokopiervorgang der Filmgeschichte.
1971 veröffentlicht die New York Times Auszüge aus den Pentagon Papers, einer als geheim klassifizierten Studie des US-Verteidigungsministeriums, aus der hervorgeht, dass die Regierung die Öffentlichkeit über die Amtszeit von vier Ex-Präsidenten hinweg getäuscht und angelogen hat, was die amerikanische Strategie in Vietnam und die Erfolgsaussichten im Krieg angeht. Ben Bradlee (Tom Hanks), der Chefredakteur der Washington Post, will der Konkurrenz nicht nachstehen und setzt den Reporter Ben Bagdikian (Bob Odenkirk) auf die Sache an. Auch als ein Richter der Times die weitere Publikation der Unterlagen untersagt, bleibt Bagdikian am Ball und findet schließlich den Whistleblower Daniel Ellsberg (Matthew Rhys). Gegen die Zusage, den Inhalt zu veröffentlichen, überlässt der ehemalige Ministeriumsmitarbeiter dem Journalisten die Papiere. Bradlee möchte die Informationen gleich am nächsten Tag in die Zeitung bringen, doch die Herausgeberin der Post, Katharine Graham (Meryl Streep), wird angesichts der drohenden rechtlichen und finanziellen Konsequenzen von ihren Anwälten und Ratgebern bedrängt, ihr Veto gegen die Veröffentlichung einzulegen…
Richard Nixon (Curzon Dobell) tritt hier nur als von hinten durchs Fenster gefilmte Silhouette in Erscheinung, dazu sind die echten Tiraden des damaligen Präsidenten vom Tonband zu hören. Wenn er gegen die Presse wettert und verlangt, dass nie wieder ein Journalist der Washington Post das Weiße Haus betreten soll, dann erinnert das unweigerlich an seinen heute amtierenden Nachfolger. Aber das ist letztlich nur zweitrangig, entscheidender ist, dass Nixon eben nicht mehr als eine Nebenfigur ist. Es geht nicht um den Mann oder um sein persönliches Programm, es geht um sein Amt und um die Institutionen der amerikanischen Demokratie. Die Pentagon Papers belasten schließlich auch nicht Nixon, sondern seine vier Amtsvorgänger, darunter die Demokraten Kennedy und Johnson. Spielberg wahrt die Distanz zu Nixon - und genau von der Wichtigkeit einer solchen kritischen Distanz erzählt er hier.
Während Ben Bradlee mit Kennedy befreundet war, wird für Katharine Graham die enge Verbundenheit mit Robert MacNamara zur Belastung. In einer der besten Szenen des Films besucht die unschlüssige Verlegerin den direkt von der möglichen Veröffentlichung der Papiere betroffenen ehemaligen Verteidigungsminister und sucht seinen Rat als Freund. Wie Meryl Streep („Die Eiserne Lady“) und Bruce Greenwood („Thirteen Days“) die vertrackte Situation ausdiskutieren und sich die tiefe Verbundenheit zwischen dem Politiker und der Zeitungsbesitzerin dabei mit Befangenheit mischt, ehe Graham sich schließlich zu der Einsicht durchringt, dass ihre Entscheidung, zu veröffentlichen oder eben nicht, nichts mit ihrer Freundschaft zu tun haben darf, das ist meisterlich gespielt. Zur absoluten Höchstform läuft die dreifache Oscarpreisträgerin aber erst später in der dramatischen Schlüsselszene auf, in der sie ihren dann gefassten Entschluss unwiderruflich bestätigen muss.
In jener eindrucksvollen Zuspitzung, die jedem Thriller Ehre machen würde, montiert Spielberg die Ereignisse auf Grahams Geburtstagsparty, die Hinter-den-Kulissen-Diskussionen mit den Anwälten und die Hochdruck-Arbeit der Journalisten an den unsortierten 4.000 Seiten (!) des Geheimmaterials in Bradlees Wohnzimmer ineinander. Die Telefondrähte glühen und die Emotionen kochen hoch, während Graham die Interessen der Geldgeber (ihr Unternehmen, zu dem auch die Zeitung gehört, steht unmittelbar vor dem Börsengang), der Post und der Nation gegeneinander abwägen muss. Dabei machen es sich die Filmemacher mit dem Eintreten für die Pressefreiheit keineswegs so leicht, wie einige herausgehoben-feierliche Momente es vielleicht vermuten lassen. Der ökonomische und der politische Druck ist real und die Widersprüche lassen sich natürlich nicht immer so schön (scheinbar) auflösen wie im Börsenprospekt. Aber dass Qualität letztlich Profit bringt, daran glauben Spielberg und seine Mitstreiter spürbar.
Das Ringen um den Ersten Verfassungszusatz (der die Redefreiheit regelt) wird schließlich auch noch von einem Emanzipationsdrama begleitet, das den sonst sehr von abstrakten Ideen bestimmten Film in eine umfassendere Vision eines fortschrittlichen Gemeinwesens einbettet. Katharine Graham ist die Firmenleitung nach dem Tod ihres Mannes förmlich in den Schoss gefallen und während sie am Anfang noch sehr unsicher ist (und einmal sogar versehentlich einen Stuhl umwirft), lernt sie sich nach und nach als Einzelkämpferin gegen die Männer um sich herum durchzusetzen. Sie wird dann auch von Ben Bradlees Ehefrau Tony („American Horror Story“-Star Sarah Paulson) in einer sehr kalkulierten, aber dennoch bewegenden Szene zur Heldin erklärt – und der toughe Journalist (und mit ihm der nichtsdestotrotz großartige Tom Hanks) akzeptiert letztlich galant, dass er ein wenig in ihrem Schatten steht. Spielberg und sein Stammkameramann Janusz Kaminski erlauben sich dann auch ein paar Mal, die reiche Erbin Graham gleichsam zur feministischen Ikone zu stilisieren: Wenn Meryl Streep die Stufen vor dem Supreme Court herabschreitet, dann stehen in der vordersten Reihe ausschließlich Frauen, die bewundernd zu ihr aufblicken.
Spielberg ist noch nie vor solch starken Bildern zurückgeschreckt, das zeigt er hier auch mit den feierlichen Aufnahmen der gigantischen Druckerpresse in Aktion oder dem Moment, wenn das Licht des Kopierers die konspirative Dunkelheit erleuchtet und dazu John Williams‘ spannungsgeladene Musik ertönt. Aber der Regisseur setzt immer wieder auch willkommene Akzente der Leichtigkeit: Mal fallen dem wunderbaren Bob Odenkirk („Better Call Saul“) vorm öffentlichen Telefon die Münzen runter, was in eine Slapstick-Szene voller Suspense (!) mündet, und mal verkauft Bradlees Tochter Marina (Austyn Johnson) Papas Kollegen geschäftstüchtig Limonade. Und am Ende leitet Spielberg bedeutungsvoll zu einem Quasi-Sequel über, das schon vor über 40 Jahren gedreht wurde: Man sieht den Einbruch ins Watergate Hotel – ganz wie zu Beginn von Alan J. Pakulas Klassiker „Die Unbestechlichen“. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Fazit: In „Die Verlegerin“ erzählt Steven Spielberg ein Journalismus-Drama und eine Emanzipations-Geschichte meisterlich in einem – hochaktuell und zeitlos zugleich.