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    Heilstätten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Heilstätten
    Von Antje Wessels

    Der deutsche Genreregisseur Michael David Pate lässt sich (noch) guten Gewissens als echte Wundertüte bezeichnen. Nach seinem soliden Facebook-Horror-Debüt „Gefällt mir“ und dem hundsmiserablen YouTuber-Fanfilm „Kartoffelsalat“, der zeitweise bei der IMDb sogar als „schlechtester Film aller Zeiten“ gelistet wurde, wandte sich der gebürtig aus Heide stammende Regisseur erst einmal einer DMAX-Produktion über Wracktaucher zu, ehe er sich nun bei seinem dritten Leinwandprojekt erneut dem Horrorkino widmet. Dabei lässt sich sein Found-Footage-Schocker „Heilstätten“ durchaus als finaler Teil einer inoffiziellen Internet-Trilogie deuten: Wo es in „Gefällt mir“ noch darum ging, wie uns die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken zum tödlichen Verhängnis werden kann, spielten im Zombieklamauk „Kartoffensalat“ gleich YouTuber selbst die Hauptrollen. In „Heilstätten“ geht es nun einmal mehr um YouTuber – allerdings greift Pate diesmal auf Profischauspieler zurück, die in die Rollen verschiedener Videoblogger schlüpfen, die wiederum eine Nacht in dem verdammt gruseligen Ambiente einer ehemaligen Lungenklink vor den Toren Berlins verbringen. Garniert wird das Ganze mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik, die sich gewiss auch subtiler hätte in der Geschichte unterbringen lassen. Trotzdem funktioniert „Heilstätten“ als Grusel-Schocker mit Satire-Elementen im Gesamtpaket erstaunlich gut.

    Es soll die ultimative Angst-Challenge werden: Als YouTuber mit Millionen von Fans wollen Marnie (Sonja Gerhardt), Betty (Nilam Farooq), Charly (Emilio Sakraya) und Finn (Timmi Trinks) unter der Aufsicht von Medizinstudent Theo (Tim Oliver Schultz) eine Nacht in einem geschichtsträchtigen verlassenen Gebäude am Rande von Berlin verbringen, in dem während des Zweiten Weltkrieges grauenhafte Menschenversuche durchgeführt worden sein sollen. In den sogenannten Heilstätten geht zunächst alles seinen normalen Gang: Die Videoblogger statten die Räume mit Kameras aus und pranken sich fleißig gegenseitig. Lediglich Marnie hat Bedenken – ist sie doch davon überzeugt, hier bei einem früheren Besuch einem echten Geist begegnet zu sein. Die Stimmung schlägt schlagartig um, als Betty völlig aufgewühlt von einer blutüberströmten Frau berichtet. Und auch den anderen widerfahren nach und nach obskure Dinge, weshalb die Truppe beschließt, die Challenge abzubrechen und lieber die Heimreise anzutreten. Aber die Autos springen nicht mehr an und plötzlich sind auch alle Mobiltelefone verschwunden…

    Spätestens seit dem Abschluss der „Paranormal Activity“-Reihe im Jahr 2015 steht fest, dass das Found-Footage-Subgenre seinen Zenit endgültig überschritten hat. Seither erscheint ein Großteil der mit Handkamera aufgenommenen Produktionen direkt fürs Heimkino – und wenn sie, wie zum Beispiel „Blair Witch“, doch eine Kinoauswertung erfahren, hält sich der Erfolg meist in engen Grenzen. Das Besondere an „Heilstätten“ ist nun aber nicht bloß, dass sich die Macher trotzdem des Found-Footage-Stils bedienen, sondern dass der Film ohne diesen stilistischen Kniff tatsächlich eigentlich gar nicht denkbar wäre. Michael David Pate macht sich nämlich ganz bewusst das aktuelle Surf- und Entertainmentverhalten der anvisierten Zielgruppe der 14- bis 25-Jährigen zunutze - und das basiert nun mal darauf, dass die Kamera fast immer eingeschaltet ist. Die Idole der heutigen Teens sind schließlich oft Influencer und Videoblogger, die ihre Zuschauer an jeder noch so intimen Situation teilhaben lassen. Auch das Austragen mitunter äußerst gefährlicher Mutproben hat sich auf der Videoplattform YouTube längst etabliert (Stichwort: Waschmitteltabs).

    Pate nutzt nun solch ein Szenario, um es nach bewährten Horror-Mechanismen vor den laufenden Kameras der YouTuber zunehmend eskalieren zu lassen. Die Jumpscares und Schockeffekte, ebenso wie eine Handvoll falscher Fährten, geraten zwar gerade für den horrorerfahrenen Zuschauer nicht sonderlich überraschend. Aber dafür hat „Heilstätten“ neben dem klassischen Found-Footage-Überlebenskampf noch mehr zu bieten – und damit meinen wir nicht nur die grandios gewählte Kulisse. Die Protagonisten in „Heilstätten“ sind nämlich keine platten Parodien, sondern im Gegenteil ziemlich genau beobachtete Karikaturen der üblichen Videoplattform-Charaktere: Nilam Farooq („Mein Blind Date mit dem Leben“), die auch im echten Leben als Vloggerin tätig ist, mimt die Beauty-YouTuberin und spielt dabei gekonnt mit dem Klischee der lediglich vordergründig auf innere Werte bedachten, in Wirklichkeit jedoch äußerst oberflächlichen Diva. Emilio Sakraya („Rock My Heart“) und Timmi Trinks („Allein gegen die Zeit – Der Film“) treffen ziemlich genau den Typus Adrenalinjunkie, der für ein paar Klicks mehr immer noch einen Schritt weitergeht.

    Sonja Gerhardt („Deutschland 83“) und Lisa-Marie Koroll (Tina aus „Bibi & Tina“) halten sich im Vergleich ein wenig im Hintergrund, während Tim Oliver Schultz („Die Vampirschwestern 3 – Reise nach Transsilvanien“) lange Zeit als wichtigste Identifikationsfigur für das Publikum fungiert, da er an das Gewissen der Jugendlichen appelliert, die Geschichte des Orts doch bitte zu respektieren. Die ziemlich hochkarätige Nachwuchsstarriege agiert durch die Bank äußerst realitätsnah, wobei vor allem die stark improvisierten Dialoge den Duktus der heutigen YouTube-Jugendsprache hervorragend treffen. Zuschauer in einem Alter abseits der Zielgruppe werden natürlich trotzdem immer wieder die Hände über den Kopf schlagen, aber im Gegensatz zu dem altbackenen Kalauerfest „Kartoffelsalat“ ist „Heilstätten“ nun einer der ersten Filme überhaupt, der diese Kultur glaubhaft und stimmig einfängt. Dasselbe gilt übrigens auch für den Inszenierungsstil - mit seinen extrem schnellen und harten Schnitten sowie diversen Texteinblendungen ist „Heilstätten“ ganz klar ein Film für die Generation YouTube. Ob er damit in zehn Jahren immer noch genauso gut funktioniert (oder ob ihn sich zehn Jahre ältere Zuschauer überhaupt ohne Kopfschmerzen ansehen können), steht auf einem ganz anderen Blatt.

    Michael David Pate baut zudem immer wieder treffende Entlarvungsmomente ein, etwa wenn er die Figuren alle nach und nach selbst dahinterkommen lässt, dass die Idee der Angst-Challenge vielleicht doch nicht die allerbeste war. Und die Konsequenzen dieser Erkenntnis sind mehr als schmerzvoll - vor allem im letzten Drittel von „Heilstätten“ fließt jede Menge Blut und im Finale geht’s dann sogar so richtig knackig brutal zu. Was genau am Ende von „Heilstätten“ passiert, wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Wir sind uns allerdings sicher, dass sich an der Auflösung des Films die Geister scheiden werden. Aber so oder so - vor allem durch die provokante Idee hinter dem Twist bleibt der Film definitiv noch eine Weile im Kopf hängen.

    Fazit: Michael David Pates Found-Footage-Horrorfilm „Heilstätten“ ist als Gruselerlebnis solide, wird aber durch die treffenden satirischen Seitenhiebe auf die YouTube-Branche noch einmal deutlich aufgewertet.

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