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    Abgeschnitten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Abgeschnitten
    Von Christoph Petersen

    Es spielt eigentlich gar keine Rolle, ob man die Bücher von Sebastian Fitzek mag oder nicht. Aber hat man erst einmal eines angefangen, kann man es kaum noch zur Seite legen. Der Autor solcher Bahnhofsliteratur-Megahits wie „Passagier 23“ oder „Das Paket“ lässt praktisch jedes seiner meist sehr kurzen Kapitel mit einem Cliffhanger enden. Das ist wie bei den Shonda-Rhimes-Serien „Scandal“ und „How To Get Away With Murder“. Nur eben noch viel extremer, weil die Twists hier nicht alle 45 Minuten, sondern zuverlässig alle paar Seiten beim Leser einschlagen. Diese auf den maximalen Effekt hin konstruierten Plots im Zusammenspiel mit provokant-sadistischen Gewaltbeschreibungen und einer Glasur Populismus machen Fitzek aktuell zu dem Bestseller-Garanten im deutschsprachigen Thriller-Genre schlechthin.

    Trotzdem hat es bis jetzt gedauert, bis nach der (zu Recht) wenig beachteten internationalen Verfilmung „Das Kind“ (2012) und dem RTL-TV-Event „Das Joshua-Profil“ (2018) erstmals ein großer deutscher Kinofilm nach einem Fitzek-Roman in die Lichtspielhäuser kommt. Und genau da gehört „Abgeschnitten“ auch hin! Die Verfilmung des Beststellers von 2012, den Fitzek gemeinsam mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos geschrieben hat, ist großbebildertes und temporeiches Genrekino der düstereren Sorte. Dem hollywooderfahrenen Regisseur Christian Alvart („Antikörper“, „Pandorum“) ist tatsächlich eine dem Geist der Vorlage absolut entsprechende Verfilmung gelungen – mit allen Vor- und Nachteilen, die die oft erprobte Fitzek-Masche eben so mit sich bringt.

    Der erfahrene Gerichtsmediziner Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) findet im Kopf einer entstellten Leiche eine geheime Botschaft, die ihm erst einmal den Boden unter den Füßen wegzieht. Auf dem Zettel steht die Telefonnummer seiner eigenen Tochter Hannah (Barbara Prakopenka) – und als er diese anruft, werden seine schlimmsten Befürchtungen wahr: Hannah wurde entführt – und der Kidnapper plant offenbar eine perfide Schnitzeljagd, wobei die nächste Leiche irgendwo auf Helgoland versteckt ist. Dumm nur, dass in Deutschland gerade ein totales Schneechaos herrscht, weshalb es praktisch unmöglich ist, vom Festland auf die Insel zu gelangen. Deshalb ist Paul auf die vor ihrem Stalker-Ex nach Helgoland geflohene Comic-Zeichnerin Linda (Jasna Fritzi Bauer) angewiesen, die für ihn die nötigen Obduktionen durchführen soll. Aber als ob das Aufschneiden eines menschlichen Körpers an sich nicht schon schlimm genug wäre, besteht zudem die reelle Chance, dass sich der Täter selbst noch immer auf Helgoland aufhält…

    Wenn wir Paul zu Beginn das erste Mal an seinem Arbeitsplatz in Berlin sehen, erscheint die Einblendung „Spezialeinheit Extremdelikte“ auf der Leinwand – und die erste Leiche, die da auf seinem Tisch liegt, sieht dann auch direkt aus, als hätte ihr „jemand die Luft aus dem Kopf gelassen“. Christian Alvart zelebriert ganz wie Fitzek in seinen Büchern nun auch auf der Leinwand das Extreme – selbst wenn er dabei wie bei dem absurden Abteilungsnamen immer wieder auf dem schmalen Grat zum Affigen wandelt. Ähnliches gilt auch für den ersten Auftritt des Serientäters Jan Erik Sadler (Lars Eidinger), der seine jungen Opfer nicht nur vergewaltigt, sondern sie anschließend auch noch in den Selbstmord treibt, indem er ihnen ausmalt, was noch alles mit ihnen passieren wird, wenn sie sich nicht selbst den Strick nehmen. Da scheint dann wieder dieser pubertär-erniedrigende Sadismus durch, der in vielen Fitzek-Büchern eine Rolle spielt und den Alvart mit seiner Inszenierung eher unterstreicht als bricht. Zumal es nicht einmal Lars Eidinger („Die Blumen von gestern“) gelingt, der eindimensionalen Das-pure-Böse-Rolle noch irgendeine interessante Facette abzugewinnen.

    Ganz hervorragend besetzt sind hingegen die beiden Hauptrollen. Selbst wenn Moritz Bleibtreu („Nur Gott kann mich richten“) die meiste Zeit über nur im Auto durch verschneite Landschaften huscht und dabei telefoniert, ist seine Performance schlicht mitreißend: Völlig verzweifelt bewahrt er trotzdem (fast) immer die Ruhe, weil er einfach aus Erfahrung weiß, dass das die einzige Chance ist, die ihm noch bleibt, ganz egal wie sehr es in ihm brodelt. Auf der anderen Seite Jasna Fritzi Bauer („Axolotl Overkill“), die – abgesehen von einer völlig überflüssigen Duschszene – die kecke Heldin Linda verkörpert, die sich nach anfänglichem Widerstreben schließlich wagemutig durch die Leiche vor ihr auf dem Obduktionstisch filetiert. Hier zahlt sich besonders aus, dass ein echter Gerichtsmediziner am Roman mitgearbeitet hat, schließlich wäre sonst wohl kaum jemand auf eine solch wunderbare Formulierung gekommen: „Mit dem Skalpell den Kehlkopf aufschneiden und dann den Knorpel wie einen Schrimp auseinanderziehen.“ Dabei fast immer an Lindas Seite: Fahri Yardim („jerks.“) als Hausmeister und Möchtegern-Comedian Ender Müller – eine wirklich gelungene Sidekick-Figur.

    Paul ist zu Beginn des Films noch derjenige, der die Fahne der Rechtsstaatlichkeit hochhält. Aber am Ende hat auch er verstanden, dass Selbstjustiz manchmal einfach nottut (und das ohne auch nur einen Hauch der Abgründigkeit, mit der etwa das „Sieben“-Finale diesen Bogen schlägt). Auch die Kommentare zu Kinderschändern bewegen sich auf dem Niveau eines Til-Schweiger-Auftritts in einer Sonntagabend-Talkshow. Aber diese großzügige Portion Populismus muss man „Abgeschnitten“ nicht zwingend übelnehmen – schließlich sind die zahllosen Wendungen zum Teil derart hanebüchen und konstruiert, dass man den Thriller eh nicht ganz für voll nehmen kann. Wer darüber hinwegsieht, darf sich für eine wilde Achterbahnfahrt voller Twists und Loopings bereitmachen.

    Der Film wirkt groß, ist düster und – trotz der stolzen Laufzeit – konsequent knackig inszeniert. Es ist ein abgedroschenes Klischee, aber was soll’s: „Abgeschnitten“ braucht sich – zumindest was die Produktionswerte angeht – vor der Hollywoodkonkurrenz nicht zu verstecken. Mit einer Ausnahme: Nachdem die letzten paar Minuten des Films auch erzählerisch nicht gerade die stärksten sind, kommt erschwerend hinzu, dass hier für die Verfilmung ein im Buch so nicht vorkommender Action-Showdown in luftiger Höhe hinzugeschrieben wurde, für dessen vernünftige Umsetzung das Budget dann offenbar doch nicht mehr ausgereicht hat. Zumindest sieht der Schlusskampf enttäuschend billig aus, was dem ganzen Thriller-Treiben im Nachhinein wieder etwas von seinem abgründig-grausamen Schrecken nimmt.

    Fazit: Ein Fest zumindest für Fitzek-Fans – aber die Chancen stehen gut, dass sich die meisten anderen Zuschauer nach 130 (über-)konstruierten Minuten eher leer als erfüllt fühlen werden.

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