Während sich ein Altmeister wie Ken Loach in seinem engagierten Sozialdrama „Ich, Daniel Blake“ mit ungebrochener klassenkämpferischer Überzeugung künstlerisch für eine bessere Welt einsetzt, tut sich ein junger Möchtegern-Kommunist wie Julian (Julian Radlmaier), der frisch von der Filmschule kommende Protagonist der selbstreflexiven Politkomödie „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, noch schwer mit der Agitation. Der Kapitalismus sei so komplex und vielgestaltig geworden, dass man ihn gar nicht mehr abschaffen könne, so seine Erkenntnis. Der vermeintliche kommunistische Filmemacher ist eben zugleich und vor allem ein „bürgerlicher Windhund“, was er zwischendurch selbst am meisten bedauert, auch weil er meint, als echter Hardcore-Aktivist bessere Chancen bei der Kanadierin Camille (Deragh Campbell) zu haben… Was uns Regisseur Julian Radlmaier („Ein proletarisches Wintermärchen“) und sein zauderndes Leinwand-Alter-Ego in Turnschuhen hier präsentieren, ist eine ebenso spielerische wie verkopfte Annäherung an die Möglichkeit einer Utopie im Kino. Ein komplett überladenes, tief in die Film- und Ideengeschichte hinabtauchendes Bild-, Ton- und Dialogsammelsurium, aber zugleich auch ein reicher, frischer, furchtloser und verdammt amüsanter Film über Kunst und Politik und Liebe.
Weil er gerade keine Drehbuchförderung in Aussicht hat und vom Kunststudentinnen-in-der-Gemäldegalerie-Bewundern nicht leben kann, heuert der Berliner Jungregisseur Julian auf einer Apfelplantage im Havelland an. Dort trifft er auf Sancho (Beniamin Forti) und Hong (Kyung-Taek Lie), die ihre Museumsjobs verloren haben, nachdem dort während ihrer Schicht „ein Dürer und ein Feuerlöscher“ gestohlen wurden. Beim körperlich erschöpfenden Obstpflücken erleben sie den Turbo-Kapitalismus in Reinkultur, da kann auch schon mal eine SMS vom Aufsichtsrat direkt zu höheren Arbeitsmengen führen, wobei die Bosse und ihre Handlanger grundsätzlich nicht klein- beziehungsweise totzukriegen sind. Da sind Julian und seine neuen Freunde froh, wenn der weise Idiot in Mönchskutte (Ilia Korkashvili), der auf einmal auf der Plantage auftaucht, ihnen in Franz-von-Assisi-Manier mitteilt, dass die Vögel ihm von einem „Kommunismus ohne Kommunisten“ in Italien berichtet hätten…
Der Plot selbst ist in „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ zweitrangig, wenn wir hier eine Schneise in die Handlung geschlagen haben, dient das hauptsächlich dazu, die Fabulierlust und den Einfallsreichtum des Films zu unterstreichen. So läuft am Ende dann auch alles auf eine konsequente Film-im-Film-Pointe hinaus. Die anspielungsreiche Erzählweise und die Inszenierung laden immer wieder dazu ein, eigene Assoziationsketten zu knüpfen: Die führen dann etwa von Donald Duck zu „Anna Karenina“ oder von Roberto Rossellini und Yasujiro Ozu über Woody Allen zu Laurel und Hardy. Poetische Bilder von Wolken wechseln sich mit slapstickartigen Apfel-Diebstahl-Szenen und mit proletarischen Parolen ab. Julian Radlmaier erzählt einerseits von der Komplexität der Welt und von der Rat- und Orientierungslosigkeit, die diese hervorrufen kann. Andererseits ist sein Glaube an die Macht von Märchen und Erzählungen intakt und sein Medium dazu ist das Kino, das er benutzt wie ein unerschöpflich vielseitiges Spielzeug.
Fazit: Eine vor Ideen und Anspielungen überbordende Film-im-Film-Komödie über einen bürgerlichen Windhund, der sich den Kommunismus herbeiwünscht – ein Uni-Abschlussfilm, nach dem man seinem Regisseur eine große Karriere wünscht.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ in der Sektion Perspektive deutsches Kino gezeigt wurde.