Der bisher beste Teil der Reihe
Von Carsten BaumgardtIn nur fünf Jahren hat er es in den Legendenstatus der Hollywood-Figuren geschafft: John Wick, der seit seinem ersten Auftritt 2014 in der New Yorker Unterwelt als genauso eiskalter wie knüppelharter und prinzipientreuer Profikiller unter Beschuss das Gesindel auskehrt. Aber dieser in allen Lebenslagen elegant gekleidete Berserker ist auch ein Karrierenretter. Denn vor „John Wick“ dümpelte die von „Matrix“-Superstar Keanu Reeves schwerfällig vor sich hin, weil der Kanadier wegen seines 175-Millionen-Dollar-Flops „47 Ronin“ (2013) und fehlender Hits angezählt war. Doch seine Kooperation mit dem damaligen Regie-Debütanten Chad Stahelski erweist sich als absoluter Glücksgriff, weil der ehemalige „Matrix“-Stunt-Koordinator gemeinsam mit Reeves ein eigenes Unterwelt-Paralleluniversum erschaffen hat, das ultrabrutal und dennoch unglaublich stilvoll ist, seinen eigenen Gesetzen folgt – und vor allem kommerziell direkt erfolgreich wurde.
Nach einer nicht minder beeindruckenden Fortsetzung („John Wick: Kapitel 2“) mit weiteren Action-Exzessen – ausgeweitet auf den Schauplatz Rom – beantwortet Regisseur Stahelski die Frage nach dem „Was kann jetzt noch kommen?“ nicht auf die Hollywood-Art. Denn der Actionanteil lässt sich kaum steigern, aber „John Wick: Kapitel 3“ ist noch um einiges intensiver als sein Vorgänger und somit letztendlich besser. Die Action-Extravaganz mit irren Stunts und fantastischen Figuren hat nämlich auch eine Geschichte, die genügend Überraschungen bereithält, damit das Interesse an der epischen Klopperei und Schießerei nicht abebbt.
John Wick kämpft um sein Leben.
Nachdem John Wick (Keanu Reeves) den Mafia-Boss Santino D’Antonio (Riccardo Scamarcio) auf dem heiligen Boden des New Yorker Continental getötet hat, ist Hotelchef Winston (Ian McShane) gezwungen, ein Excommunicado auszusprechen und Wick alle Rechte in der mystischen Geheimwelt der Auftragskiller zu entziehen. Winston gibt seinem Freund zwar eine Stunde, bevor der Bann in Kraft tritt, doch viel Zeit, sich zu bewaffnen, bleibt Wick nicht. Die gesamte Unterwelt klebt an seinen Hacken, weil mit dem Ausschluss auch ein Kopfgeld in Höhe von 14 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt wird. Die ersten Angreifer lassen nicht lange auf sich warten, selbst wenn man einen so vermeintlich friedvollen Ort wie die New York Public Library besucht. Weil er sich die Killer kaum mehr vom Leib halten kann, will Wick die Stadt und das Land verlassen. Doch dazu benötigt er Hilfe… Währenddessen übt die Hohe Kammer, das oberste Gremium der Auftragskiller-Organisation, Druck auf Continental-Chef Winston aus. Eine Richterin (Asia Kate Dillon) des Rats leitet eine Untersuchung ein und macht mit dem so zähen wie kampfstarken Killer Zero (Mark Dacascos) nicht nur Jagd auf John Wick…
„John Wick Forever“ – das ist das Motto von Keanu Reeves, wie er erst kürzlich in einem Interview verkündete. Er werde den so beliebten Auftragskiller so lange spielen, wie ihn das Publikum sehen wolle. Und das kann dauern. Während „John Wick“ mit 88 Millionen Dollar weltweitem Einspiel (bei einem Budget von 20 Millionen) ein kleiner Kinohit wurde, zahlte sich der Aufbau einer treuen Fangemeinde bei „John Wick: Kapitel 2“ finanziell aus – das Sequel holte 171 Millionen Dollar (bei einen Budget von 40 Millionen) rein. Heißt: „John Wick: Kapitel 3“ wird definitiv ein Geldbringer. Der Charakter ist mittlerweile nicht nur sehr bekannt, sondern auch Kult. Und vor allem ist „John Wick: Kapitel 3“ ein richtig starker Film, der den Fans mehr von den geliebten Zutaten der Vorgänger gibt und diese dabei zumeist einfallsreich variiert. Da der Hauptdarsteller bereits 54 Jahre alt ist, hat sein Wirken als kraftstrotzender Killer zwar ein Haltbarkeitsdatum, das aber bei Reeves nicht so schnell ablaufen wird, weil der Star so wie fit ist, wie sonst wahrscheinlich in der A-Liga nur Tom Cruise (56 Jahre alt), der in seinen „Mission: Impossible“-Filmen ähnlich Vollgas gibt.
Dass sich „John Wick“ im zweiten Aufguss immer noch frisch anfühlt, hat mehrere Gründe. Chad Stahelski, der den ersten Teil gemeinsam mit „Fast & Furious: Hobbs & Shaw“-Regisseur David Leitch inszenierte, und danach allein weitermachte, baut mit seinem Drehbuchautoren-Team den Mythos dieser Unterwelt, in der Goldmünzen das logische Zahlungsmittel sind und die Waffen nicht extravagant genug sein können, sorgfältig und unfassbar stilvoll und supercool immer feiner aus. Das beginnt schon mit der herrlich altmodisch kommunizierten Ankündigung des Excommunicado. Der Zuschauer fühlt sich wie in einem Parallel-Universum, das direkt vor den Augen der normalen Welt existiert – man muss nur wie bei Bahnsteig 9 ¾ in der „Harry Potter“-Saga den richtigen Eingang finden. Dann gelangt man in ein Reich voller Pracht, Gewalt und Exzess. Der Ehrenkodex hält alles zusammen – und den hat John Wick verletzt, was einen nachhaltigen Konflikt auslöst. Denn von nun an ist er nirgends mehr sicher. Der Killer hat keinen Rückzugsort mehr, wie die treibenden ersten Minuten verdeutlichen, in denen gefühlt jeder zweite Mensch auf den New Yorker Straßen es auf ihn abgesehen hat.
In Sachen Action lässt sich Stahelski als Stunt-Spezialist eine Menge einfallen und variiert reichlich. Auf den brachialen ersten Nahkampf mit einem scheinbar übermächtigen Gegner in der edlen Bibliothek folgt so wenig später eine Schießerei und Messerstecherei in einem Museum, bei der die Kontrahenten mit letztem Überlebensinstinkt Vitrinen zertrümmern, um sich mit antiken Waffen zu töten. Sogar die seit dem ersten Teil legendäre Kopfschuss-aus-nächster-Nähe-Action bekommt eine neue Seite, als Wick von so schwer gepanzerten Gegnern angegriffen wird, dass seine bewährte Taktik nicht zum Erfolg führt. Da muss Wick dann die ganz schweren Geschütze auffahren, um die Köpfe seiner Kontrahenten wegzusprengen. Auch John Wick auf einer Verfolgungsjagd zu Pferd durch New York City muss man unbedingt gesehen haben. In dieser und den meisten weiteren Momenten schwingt immer eine unverkennbare Ironie mit (Wir sagen nur: „Ich brauche mehr Feuerkraft“), ohne die „John Wick“ bei all den ultrabrutalen Gemetzeln nur schwer zu ertragen wäre.
Ziemlich cool: John Wick zu Pferd.
Eine zwischenzeitliche Luftveränderung, die den Antihelden nach Casablanca ins marokkanische Hotel Continental führt, ist allerdings nur eine nette Zwischenepisode, denn eigentlich will man ihn im Dunstkreis des New Yorker Gangster-Edelhotels sehen und nicht als „John Wick von Arabien“. Im exotischen Setting Nordafrikas hinterlässt Gaststar Halle Berry („Stirb an einem anderen Tag“) als widerspenstige, alte Freundin Sofia aber einen bleibenden Eindruck – das liegt vor allem an der herausragenden „Hunde-Sequenz“ (mehr sei hier nicht verraten), die Szenenapplaus verdient. Apropos Nebenfiguren: Die sind wieder einmal großartig. Besonders Ian McShane („American Gods“) als stilbesessener Hotelchef Winston, Asia Kate Dillon („Orange Is The New Black“) als hartnäckige Hohe-Kammer-Richterin, Lance Reddick („White House Down“) als loyaler Congierge, Anjelica Huston („Die Addams Family“) als Mafia-Patin sowie Laurence Fishburne („Matrix“) als Unterweltboss Bowery King stechen heraus, weil diese schillernden Figuren wunderbar die Extravaganzen der Action spiegeln und die Atmosphäre verdichten. Die härtesten Handkanten schlägt aber Mark Dacascos („Pakt der Wölfe“) als John Wicks Hauptgegner, wobei hier – anders als bei den Aufgezählten – der Charakter Zero kaum eine Rolle spielt, sondern nur dessen Physis.
Fazit: Hammerharte Action, starke Figuren und viel Atmosphäre - mit dem intensiven und ideenreichen Kugelhagel „Kapitel 3“ hält Zeremonienmeister Chad Stahelski die „John Wick“-Reihe weiterhin auf der Höhe der Zeit.