Die Nachfrage seiner Jugendtherapeutin, ob er immer noch Tiere verletze, verneint der unscheinbare schwarze Teenager Milo (Eric Ruffin) wahrheitsgemäß – inzwischen hat er nämlich auf Menschen umgesattelt, denen er mit einem kleinen Dolch die Halsader durchtrennt, bevor er von ihrem Blut trinkt. Der mit seinem älteren Bruder in einer New Yorker Ghetto-Siedlung lebende Protagonist aus Michael O'Sheas „The Transfiguration“, der auf dem 2014er-Kurzfilm „Milo“ des Regisseurs basiert, ist der festen Überzeugung, er sei ein Vampir – während beim Publikum zunehmend Zweifel aufkommen, ob Milo nicht vielleicht seit dem Selbstmord seiner Mutter einfach nur einen an der Waffel hat: Coming-of-Age-Drama trifft auf Blutsauger-Horror – mit diesem Mix steht „The Transfiguration“ zwar in der ehrenwerten Tradition des Junge-glaubt-er-sei-ein-Vampir-Horrorfilms „Wampyr“ (Originaltitel: „Martin“) von 1977, aber an den genredefinierenden Kultklassiker von George A. Romero reicht O’Sheas Langfilmdebüt trotz einzelner überzeugender Einfälle dann doch bei weitem nicht heran.
„The Transfiguration“ scheitert letztendlich daran, dass sich der auch für das Drehbuch verantwortliche O’Shea zwar eine Menge stimmige Ideen für Milos tödliche Faszination überlegt hat (etwa seine ausgefeilten Jagdregeln), aber der Teenager darüber hinaus in einer Welt voller Indiekino-Klischees zu leben scheint - von der großmäuligen Ghetto-Gang bis zu Marie (Chloe Levine), einer Ritzerin mit einem Herz aus Gold, die es zu retten gilt. Das hat die absurde Folge, dass der Vampirismus nun mit Abstand das glaubwürdigste Element des Films ist. Milo schaut in jeder freien Minute Horrorfilme – und bewertet diese nicht nach ihrer Qualität, sondern strikt danach, wie realistisch sie in seinen Augen das Dasein eines Vampirs beschreiben. So kriegt das Publikum immer wieder kurze Filmkritiken aus der Perspektive eines Blutsaugers - „So finster die Nacht“ ist zum Beispiel „okay, aber das mit dem Hochklettern der Wände stimmt so nicht“. Ein amüsanter Einfall, gerade für Zuschauer, die sich selbst in dem Genre gut auskennen. Allerdings hat das natürlich auch die Nebenwirkung, dass so alle paar Minuten Filme genannt werden, die meist sehr viel besser gelungen sind als „The Transfiguration“.
Fazit: Das zentrale Konzept ist wie im zugrundeliegenden Kurzfilm vielversprechend – aber statt dieses konsequent weiter auszubauen, hat Regisseur Michael O'Shea es mit Hilfe von zahlreichen Indie-Klischees auf Spielfilmlänge aufgeblasen.
Wir haben „The Transfiguration“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film in der Reihe Un Certain Regard gezeigt wurde.