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    Code 8
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Code 8

    Die dreckige Low-Budget-Version von "X-Men"

    Von Oliver Kube

    Im März 2016 luden Regisseur Jeff Chan („Grace: Besessen“) und seine Schauspieler Robbie Amell („The Flash“) und Stephen Amell („Arrow“) ihren sozialkritischen Science-Fiction-Kurzfilm „Code 8“ auf YouTube hoch. Trotz einer Laufzeit von gerade einmal zehn Minuten wird in diesem ein ebenso erschreckendes wie glaubhaftes Zukunftsszenario gezeichnet, das sich bisher (Stand: Dezember 2019) mehr als fünfeinhalb Millionen Zuschauer auf YouTube angeschaut haben. Dass es jetzt auch noch einen aus dem Kurzfilm weiterentwickelten „Code 8“-Kinofilm gibt, erinnert – nicht nur wegen des Genres – ein wenig an „District 9“ von Neill Blomkamp, der ja auch erst aufgrund des Erfolgs des Kurzfilms „Alive In Joburg“ realisiert werden konnte.

    Im Gegensatz zu Blomkamp hatten die kanadischen Kumpels allerdings keinen mächtigen Verbündeten wie Peter Jackson („Herr der Ringe“), der damals half, „District 9“ auf die große Leinwand zu bringen, an ihrer Seite. Stattdessen starteten Chan und die Amell-Cousins parallel zur Veröffentlichung des Kurzfilms eine Crowdfunding-Kampagne, die bei der Finanzierung einer abendfüllenden Langfilmversion helfen sollte. Als Ziel waren 200.000 US-Dollar festgelegt und es dauerte keine 48 Stunden, bis diese Summe erreicht wurde. Am Ende hatte man sogar 2,4 Millionen beisammen. Dreieinhalb Jahre später feierte „Code 8“ im Rahmen des renommierten Genrefestivals in Sitges seine Weltpremiere. Aufgrund seiner thematischen wie qualitativen Nähe zur Vorlage dürfte das Ergebnis keinen der zahlreichen Crowdfunding-Unterstützer enttäuschen.

    Ein luftiger Blick auf Lincoln City - eine Metropole im alternativen Universum von "Code 8".

    In einer nicht allzu weit entfernten, alternativen Zukunft werden circa vier Prozent der Bevölkerung mit übernatürlichen Fähigkeiten geboren – von Telekinese über Funkensprühen bis zu übermenschlicher Stärke ist alles dabei. Die sogenannten „Specials“ beziehungsweise „PWPs“ („People With Powers“) galten einst als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft, die viel zum Aufstieg der USA zur globalen Wirtschaftsmacht beigetragen haben. Seit sie jedoch durch Maschinen ersetzt wurden, leben die PWPs am Rande der Gesellschaft. Als gefährlich und unberechenbar eingestuft, müssen sie sich staatlichen Regularien unterziehen und dürfen eine Vielzahl von Berufen nicht mehr ausüben. Zudem ist ihnen streng untersagt, ihre Talente einzusetzen. Flugdrohnen und Roboter-Cops verhaften jeden, der dabei erwischt wird oder sich nicht hat registrieren lassen. Specials bekommen deshalb nur schlecht bezahlte Aushilfsjobs, weshalb viele von ihnen kriminell werden und ihr Rückenmark verkaufen, das unter dem Namen Psyke eine populäre Droge bei den „Normalen“ ist.

    Connor (Robbie Amell), ein „Electric“, der extreme Stromschläge aussenden kann, versucht ein unauffälliges, ehrliches Leben in Lincoln City zu führen. Als seine Mutter (Kari Matchett) krank wird, braucht er jedoch schnell viel Geld, an das er auf reguläre Weise nicht herankommen kann. So gerät er an die Verbrechergruppe von Garrett (Stephen Amell), die für den Psyke-Dealer Marcus (Greg Bryk) arbeitet und nebenher Bankraube und Einbrüche verübt. Ihr Treiben geht so lange gut, bis zwei Cops (Sung Kang, Aaron Abrams) der Bande auf die Spur kommen…

    Sozialkritik mit Superhelden

    Los geht’s mit einer einfachen, aber enorm effektiven Zusammenfassung der vergangenen Dekaden des Geschehens in der fiktiven Großstadt Lincoln City. Sie wurde aus manipuliertem Archivmaterial, Pseudo-Nachrichten-Segmenten und Ausschnitten aus dem originalen Kurzfilm montiert. Offenbar gibt es in Lincoln mindestens seit den 1940er Jahren Menschen mit außergewöhnlichen Kräften. Schnell wird dem Zuschauer klar, dass es sich hier um eine Allegorie auf die Situation von (speziell lateinamerikanischen) Einwanderern in den USA handelt – diese einst willkommenen Helfer beim Aufbau des Landes werden nun als Gefahr für Wohlstand und Leben der herrschenden Klasse abgestempelt, von dieser marginalisiert und somit oft in die Kriminalität gezwungen.

    Der Plot um Connor ist keine allzu ausgefallene Krimi-Geschichte, die durch das spezielle Szenario zwar noch angereichert wird, aber eigentlich auch ohne Sci-Fi-Elemente funktionieren würde: Dann wären der Protagonist und seine Komplizen eben besonders gute Elektriker oder Safeknacker, die durch äußere Umstände in ihre Situation gedrängt wurden. Die Einführung der von Psyke abhängigen Heilerin Nia (Kyla Kane), die vom chronisch (tot)kranken Marcus (herrlich schmierig: Greg Bryk) erpresst wird, ihn immer wieder halbwegs herzustellen, ist hingegen ein angenehm eigenständiger Aspekt. Natürlich wittert Connor die Chance, durch sie seine Mutter vor ihrem drohenden schmerzhaften Ende retten zu können und ignoriert zunächst sogar, welchen Preis Nia selbst dafür zahlen müsste.

    Connor ist eigentlich kein schlechter Mensch - aber die Umstände treiben ihn in die Kriminalität.

    Robbie Amell spielt die mehr und mehr von Gewissensbissen zerfressene Figur authentisch, ohne dabei emotional zu übertreiben. Wir nehmen ihm problemlos ab, dass er von der sich liebevoll aufopfernden Mary wie ein „normaler“ Junge aufgezogen wurde, damit er nicht dasselbe Schicksal erleiden möge wie sein „PWP“-Vater, der vor Jahren bei der Verübung eines Raubüberfalls ums Leben kam. Der eigentlich grundgute Connor muss von dem gewissenlosen, von Amells Cousin Stephen ebenfalls kompetent verkörperten Garrett erst zum „Special“ beziehungsweise zum Verbrecher angeleitet werden. Für diese Momente lässt sich der Streifen erfreulicherweise genügend Zeit.

    Zu viel Zeit nimmt sich „Code 8“ hingegen für die in der zweiten Hälfte etwas allzu häufig auftretenden und zudem überlangen Shoot-Outs zwischen Cops und Garrets Crew. Fast gewinnt man den Eindruck, Chan & Co. wollten mit den Action-Einlagen kompensieren, dass es hier trotz Superkräften keine Helden in Strumpfhosen oder Capes gibt und ihr Werk aufgrund des deutlich geringeren Budgets visuell nicht mit der zumindest thematisch verwandten „X-Men“-Reihe mithalten kann. Die im Vergleich zu derlei Blockbustern längst nicht so massiv eingesetzten Spezialeffekte funktionieren allerdings auch ohne die übertriebene Ballerei völlig ausreichend: Die Fähigkeiten der „Specials“ werden zwar vergleichsweise unspektakulär in Szene gesetzt, wirken aber gerade deshalb so erstaunlich glaubhaft.

    Die Welt von "Code 8" wird in Zukunft noch größer

    Die eingangs beschriebene Parallele zur Situation der undokumentierten Einwanderer in den USA wird im Rahmen der bodenständigen Handlung streckenweise arg offensichtlich zur Schau getragen. Dennoch fällt es dem Zuschauer dank der dynamischen Kameraarbeit von Alex Disenhof („Captive State“), des unaufdringlichen Schnitts von Paul Skinner sowie des erstaunlich effektiven Produktionsdesigns von Chris Crane („Disappearance At Clifton Hill“) leicht, sich in diese Welt hineinzufinden und mit Connor in seiner moralisch vielschichtigen und gerade deshalb so interessanten Situation mitzufühlen und mitzufiebern.

    Es wäre spannend zu sehen, was Regisseur Jeff Chan und seine fast komplett aus der Kurzfilmproduktion übernommene Crew mit einem größeren Budget anstellen könnten. Oder sollten sie vielleicht doch lieber bei dieser sympathisch-konzentrierten Art des Filmemachens bleiben? Denn die beherrschen sie schließlich richtig gut. Aktuell arbeitet das Team um Chan und die Amells jedenfalls an einem „Code 8“-Spin-off in Form einer Serie für den neuen Streaming-Anbieter Quibi. Nach dem Kurzfilm und dem Spielfilm werden wir auf jeden Fall auch da mal einen Blick reinwerfen.

    Fazit: Ein trotz schmalen Budgets erstaunlich effektiver Sci-Fi-Krimi. Was der Story an Originalität fehlt, wird durch die gelungene Atmosphäre und das sichtbare Engagement aller Beteiligten wettgemacht.

     

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