Dokumentationen über Tiere gibt es viele. Und auch Städte werden immer wieder unter historischen, kulturellen oder politischen Gesichtspunkten filmisch porträtiert – dennoch lohnt sich „Kedi: Von Katzen und Menschen“ längst nicht nur für den harten Kern der passionierten Katzenomas. Diese fabelhafte Doku über Straßenkatzen in Istanbul dürfte vielmehr selbst jene Zweifler, die auf YouTube-Katzenvideos und Haare auf der Kleidung allergisch reagieren, mit spielerischer Leichtigkeit überzeugen. Was die türkischstämmige Regisseurin Ceyda Torun hier zustande bringt, ist nämlich keine langatmige Beobachtung und keine biologische Belehrung, sondern ein poetischer und zutiefst berührender Blick auf die Bewohner Istanbuls – jene auf vier Pfoten und jene auf zwei Beinen.
Ob wir den Streifzügen der frischgebackenen Mutter Sari, der verschmusten Bengü, Dramaqueen Psikopat, dem sozialen Schmetterling Deniz, Rattenjäger Aslan, Erkunder Gamsiz oder Gentleman Duman folgen, eins wird schnell klar: Die schnurrenden Miezen sind für die Menschen in ihrer Umgebung weit mehr als bloße Streuner. Sie sind stadtbekannte Persönlichkeiten, Freunde und flüchtige Begleiter. Hier leben die Katzen frei und wild, die Mystik und das Geheimnisvolle, das sie als Stubentiger andernorts vielleicht zu einem bestimmten Teil einbüßen mussten, wird hier noch offenkundig akzeptiert: „Früher soll es auf Schiffen immer eine Katze gegeben haben. Sie sollte überschüssige Energie absorbieren.“ berichtet ein Mann, dessen Herz der getigerten Bengü verschrieben ist.
Ein anderer Anwohner erledigt regelmäßig einen Rundgang, um gleich mehrere Straßenkatzen zu versorgen. Während der Fütterung macht er plötzlich Halt, um einem gestreiften Katzenjungen mit Augenentzündung Tropfen zu verabreichen, er habe das schon oft erlebt und kenne sich ja schließlich aus. Doch die aufopferungsvolle Pflege hat einen überraschenden Hintergrund: Nach einem Nervenzusammenbruch habe der Ansässige nämlich weder reden noch lachen können, erst die hilfebedürftigen Katzen kurierten ihn, wie er nun freudig erzählt: „Sagen wir einfach, dank ihnen kann ich wieder Liebe empfinden“.
Ceyda Torun ist in solch rührenden Momenten im wahrsten Sinne des Wortes nah dran am Geschehen, ob per bodennaher Kamerafahrt auf Katzenhöhe oder im Gespräch mit den Menschen – visuell und emotional geht es stets direkt und dennoch feinfühlig zu. Sowohl die Aufnahmen der Katzen, als auch die Bilder der sonnigen und verwinkelten Straßen Istanbuls strotzen dabei nur so vor Anmut. Eine junge Frau findet für die Grazie der Katzen einen ganz besonderen Vergleich: „Ihre Haltung wirkt auf mich sehr feminin. Diese Eleganz trifft man bei Frauen heutzutage nicht mehr an“, sagt sie, bevor sie über die heikle Stellung von Weiblichkeit in der türkischen Gesellschaft spricht. Hier scheinen nicht zum einzigen Mal vor allem persönliche Beweggründe hinter der Betrachtung der Katze zu stecken. Die geschmeidigen Spitzohren werden somit bald zum Spiegel von Charakter, Gedankengängen und Gemütszuständen ihrer menschlichen Pendants – allerdings ohne dabei selbst etwas von ihrer Persönlichkeit zu verlieren.
Über die Stars der Dokumentation lässt die Regisseurin ohnehin zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel zu: Während man von den vielschichtigen und liebevollen Aussagen der Städter zu Tränen gerührt wird, terrorisiert die eifersüchtige Psikopat wieder einmal unbedacht die Nachbarschaft, Graufell Duman akzeptiert im lokalen Feinkostladen nur noch Putenbrust und Kater Gamsız klopft an die Tür seiner Lieblingsnachbarin, um sich Zugang zu deren Futternapf zu verschaffen. Es sind Augenblicke wie diese, die der einzigartigen Städtetour ihre katzenartige Leichtigkeit verschaffen.
Fazit: Die aufwendig gefilmte Dokumentation über die Katzen in den Straßen von Istanbul zeigt mit beiläufiger Eleganz, wie sehr Mensch und Tier aufeinander angewiesen sind. Der ebenso charmante wie rührende Film hinterlässt auch bei Hundefans ein warmes Gefühl im Bauch.