Eine Ameise und ein Elefant treffen sich auf der Straße, es ist Liebe auf den ersten Blick. Es folgt eine Nacht voller Tanz und Vögelei, aber am nächsten Morgen ist der Elefant tot. „Na toll“, sagt die Ameise, „eine Nacht guter Sex und dafür schaufle ich jetzt den Rest meines Lebens ein Grab.“ In Rafi Pitts‘ Berlinale-Wettbewerbsbeitrag, dem Einwandererdrama „Soy Nero“, ist der Elefant Amerika und die Ameise der 19-jährige Mexikaner Nero (Johnny Ortiz), der in Kalifornien aufgewachsen ist, aber dann abgeschoben wurde. Nun bleibt ihm als einzige Chance der sogenannte „Dream Act“: Schafft er es zurück über die Grenze in die USA, kann er als Green-Card-Soldat für die US-Armee kämpfen. So bringen es viele Immigranten doch noch zur amerikanischen Staatsbürgerschaft, wenn auch ein großer Teil von ihnen erst nach ihrem Kriegstod.
Ob nun all die Windräder in Kalifornien mit ihrem 4-Grad-Winkel nur dazu dienen, die Ausrichtung der Erdachse zu beeinflussen, wie es ein Familienvater (Michael Harney) behauptet, oder ob Tupac vielleicht vom Staat erschossen worden sein könnte, wie es die Kameraden bei der Armee diskutieren: Im einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten grassieren absurde Verschwörungstheorien, dabei geschieht das wahrlich Empörende vor aller Augen, wenn die Weltmacht USA ihre Green-Card-Soldaten nach Strich und Faden verarscht und als Kanonenfutter verheizt. Als Nero in einer UNFASSBAR opulenten Villa in Beverly Hills zu Beginn des Films jene berauschende Nacht verbringt, scheint noch alles möglich: Das Luxusanwesen gehört angeblich seinem Bruder Jesus (Ian Casselberry), sogar Papiere könne er ihm ganz einfach besorgen, mit seinem vielen Geld sei das gar kein Problem. Aber natürlich platzt dieser (amerikanische) Traum und die Ameise Nero muss doch in den Krieg, um US-Bürger zu werden.
Rafi Pitts liefert eine Menge schlagkräftiger Argumente, trotzdem ist „Soy Nero“ nie ein bloßer Thesenfilm, sondern ganz, ganz großes Kino. Von dem Volleyballmatch zwischen mexikanischen Teenagern und US-amerikanischen Soldaten über den Grenzzaun hinweg bis zum Silvesterfeuerwerk, das genau in dem Moment losgeht, als Nero die Grenzanlage in die Staaten überquert – das sind gigantische, wahrhaftige Leinwandbilder! Auch die dekadente Rockstarvilla mit ihrem ausgestopften Polarbären und ein intensives Feuergefecht an einer Kontrollstation irgendwo in der arabischen Wüste verleihen dem Film eine elementare Wucht, die aus Neros ganz persönlicher Geschichte eine Erzählung von universeller Kraft werden lässt.
Fazit: Eindringliches Plädoyer für die Rechte mexikanischer Immigranten, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass andere den amerikanischen Traum leben können. Zugleich aber auch mitreißendes Kino mit großartigen Bildern.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.