Ein Road Movie auf dem Wasser, langsam und meditativ: Das und viel, viel mehr ist Yang Chaos „Crosscurrent“, einer der sperrigsten Filme des Wettbewerbs der 66. Berlinale und - sofern man sich auf den fast völlig von Handlung im herkömmlichen Sinn befreiten Fluss der Bilder einlässt - einer der schönsten. Hier werden etwa in regelmäßigem Abstand Gedichte vorgetragen oder auch eingeblendet, die elegische Stimmung wird durch atemberaubende Landschaftsaufnahmen und ein melancholisches Cello-Thema noch verstärkt. Bei all dem geht es um eine sehnsuchtsvolle Liebe und gleichsam nebenbei auch um den Zustand des zeitgenössischen Chinas: „Crosscurrent“ ist ein reiches, vielschichtiges Kinoerlebnis, ein ebenso poetisches wie klarsichtiges Drama.
In Shanghai geht die Reise los: Hier mündet der Jangtse, der längste Fluss Asiens ins Meer, von hier aus begibt sich der junge Gao Chun mit seinem kleinen Frachtschiff auf eine Reise, die ihn bis an die Quelle des über 6000 Kilometer langen Flusses führen wird. Kapitän ist Gao eher wider Willen, nach dem Tod des Vaters hat er das Kommando übernommen und findet im Maschinenraum eine Gedichtsammlung, die von einer Reise berichtet, die 1989 (!) stattfand. Die Gedichte erzählen von den Ortschaften entlang des Stroms und von einer mysteriösen Frau namens An Lu. Gao ist bald geradezu besessen von der Schönheit, der er immer wieder begegnet: mal in einem alten buddhistischen Kloster, mal auf einer fast verlassenen Insel. Doch so nah er ihr auch kommt, bekommt er sie nie zu fassen. Und währenddessen zieht China in seiner ganzen Vielfalt und mit seiner ganzen Ambivalenz an ihm vorbei.
Der Fluss als Sinnbild für den unaufhaltsam fließenden Strom des Lebens. Dieses klassische Bild liegt Yang Chaos Film zugrunde, die Kamera entfernt sich nie weit vom Jangtse und der größte Teil des spärlichen Geschehens findet auf Gaos Frachtschiff statt, das von Shanghai flussaufwärts fährt, vorbei an modernen Städten, die mit ihren Stahl- und Glasbauten für Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsweltmacht stehen, vorbei aber auch an alten Tempeln und Burgen, in denen die oft verpönten und unterdrückten Traditionen weiterleben. Die Gedichte, die der Reise etwas Struktur geben, sind wiederum nach Ortschaften benannt, die einst am Ufer des Flusses lagen, inzwischen aber von seinen Fluten verschlungen wurden – vor allem in der Region des monströsen Drei-Schluchten-Damms. Die katastrophalen Folgen dieses Mammutprojekts beklagte vor einigen Jahren schon Jia Zhang-ke in „Still Life“, aber so deutlich (regime-)kritisch ist Yang Chao nicht. Bei seiner Suche nach einer verlorenen, vergangenen Zeit zeigt sich der atemberaubende Modernisierungsschub, den China in den vergangenen Jahren erlebte, und damit wird der zunehmende Verlust der kulturellen und moralischen Traditionen gleichsam indirekt sicht- und spürbar gemacht.
Fazit: In seinem meditativen Drama „Crosscurrent“ schildert der chinesische Regisseur Yang Chao eine lange, langsame Bootsfahrt den Jangtse hinauf. Sie ist praktisch frei von Plot, aber dafür überreich an Bezügen und Verweisen auf den Zustand des sich rasant entwickelnden Landes.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.