Eine Doku über die ersten acht Filme von Quentin Tarantino
Von Lutz GranertBereits kurz nach dem Kinostart von „The Hateful Eight“ im Jahr 2015 begann die Regisseurin und Autorin Tara Wood mit den Planungen für eine Dokumentation über Quentin Tarantino. Wie schon bei einem ähnlichen Projekt über „Boyhood“-Regisseur Richard Linklater wollte sie sich konkret mit den ersten 21 Jahren in der Karriere des Filmemachers beschäftigen (in dem Alter gilt man in den USA endgültig als volljährig). Mit der Firma von Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, selbst einer der Förderer und Entdecker des „Pulp Fiction“-Regisseurs, gewann sie einen Verleih, der ihren Film sogar in die Kinos bringen wollte. Doch dann kam alles anders als gedacht.
Als im Oktober 2017 Vorwürfe gegen Harvey Weinstein wegen zahlreicher sexueller Übergriffe laut wurden und die #MeToo-Debatte auslösten, führte dies auch zur Insolvenz der Firma des einst so mächtigen Hollywood-Moguls. Die Regisseurin führte einen zähen Rechtsstreit, bis sie im Jahr 2019 ihren eigenen Film zurückbekam, der zu diesem Zeitpunkt aber bereits alles andere als aktuell war. Also überarbeite sie die Doku noch einmal. Dem nun unter dem Titel „Tarantino – The Bloody Genius“ in Deutschland auf DVD und Blu-ray erscheinenden Ergebnis ist die bewegte Produktionsgeschichte ebenso anzumerken wie der Umstand, dass Wood über Tarantino offenbar so wenig kritische Worte wie möglich verlieren will.
Aus den Anfangstagen einer großen Regie-Karriere: Quentin Tarantinom mit seinen "Reservoir Dogs"-Stars.
In drei Kapiteln arbeitet sich Wood durch Tarantinos filmisches Schaffen. Im Auftakt „The Revolution“ schildert sie, wie er mit Hilfe seines ersten professionellen Drehbuchs zu „True Romance“ den Sprung von der Videotheken-Aushilfe nach Hollywood schaffte. Mit seinem Wissen um die Filmografie jedes Schauspielers trommelte er danach die erstaunlich namhafte Besetzung für sein Regiedebüt „Reservoir Dogs“ zusammen, um damit 1992 umjubelt auf den Filmfestspielen von Cannes seinen endgültigen Durchbruch zu feiern.
Im zweiten Kapitel namens „Badass Women & Genre Play“ geht es dann um die Etablierung starker Frauenfiguren in späteren Filmen wie „Jackie Brown“, „Kill Bill“ und „Death Proof“ sowie um die Sprache in Tarantinos Filmen, allen voran sein Pfeifen auf political correctness und die inflationäre Verwendung des „N-Wortes“. Ihm drittem und abschließenden Kapitel fasst Tara Wood unter dem Stichwort „Gerechtigkeit“ die drei Filme „Inglourious Basterds“, „Django Unchained“ und „The Hateful Eight“ zusammen. Eingewoben in dieses dritte Kapitel ist mit spürbarer Wut im Bauch auch eine Abrechnung mit Harvey Weinstein.
Wie schon in „21 Years: Richard Linklater“ nutzt Wood zum einen Filmausschnitte und Szenen aus Making Ofs für ihre Schilderung der Ereignisse, ergänzt diese sie aber noch durch Cartoons, mit denen sie kuriose Anekdoten buchstäblich nachzeichnet. Und natürlich gibt es zahlreiche Interviews, in denen Tarantino-Weggefährten wie Michael Madsen, Zoe Bell, Christoph Waltz, Samuel L. Jackson oder Scott Spiegel durchaus kurzweilig in der Erinnerungskiste kramen. Der Porträtierte ist dagegen nur in Archivaufnahmen zu sehen, Wood will wie schon bei Linklater einen Film über einen Regisseur und nicht mit diesem machen.
Wood arbeitet sich dabei weniger an der Biografie des Regisseurs ab, sondern konzentriert sich darauf, Querverweise zwischen Tarantinos Filmen herzustellen. Da geht es dann unter anderem um wiederkehrende Namen und die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Figuren aus verschiedenen Filmen – zum Beispiel die Erklärung, dass Oswaldo Mobray (Tim Roth) in „The Hateful Eight“ der Urgroßvater von Lt. Archie Hicox (Michael Fassbender) in „Inglourious Basterds“ ist. Das meiste dürfte Tarantino-Jüngern zwar bekannt sein, aber gerade Fans, die bisher einfach nur die Filme geschaut haben, bekommen immer wieder erhellende Einblicke in seine Arbeitsweise – sowohl in den Schreibprozess wie auch in die Organisation am Set.
Auch Christoph Waltz, der für Tarantino-Filme bereits zwei Oscars gewonnen hat, steuert die eine oder andere Anekdote bei...
Daneben ist „The Bloody Genius“ zudem eine sehr amüsante Dokumentation – gerade auch dank der in Interviews geschilderten Anekdoten, zum Beispiel von Kurt Russell und Eli Roth über durchzechte Nächte beim Dreh von „Death Proof“. All dies dient Wood vor allem dazu, rund um Tarantino eine regelrechte mythische Aura aufzubauen, bei der kaum Platz mehr für kritische Töne bleibt.
Tarantino ist bei Wood selbst dann der liebenswert-überdrehte Filmnerd, wenn es am Ende um #MeToo und den Weinstein-Skandal geht. So gibt es zwar einen wenige Sekunden kurzen Schnipsel von Mira Sorvinos berühmten TV-Interview aus dem Jahr 2018, in dem sie unter Tränen über ihre Erfahrungen mit Weinstein sprach. Die Szene bleibt in der Doku aber tonlos. Dass Sorvino hier auch über Tarantino spricht, schildert, wie sie ihrem damaligen Lebensgefährten bereits 1995 vom Treiben seines Produzenten, Förderer und Freundes erzählte, dieser daraufhin aber nichts unternahm und stattdessen all die Zeit schwieg, wird so konsequent ausgeklammert.
Fazit: Trotz der sich am Ende in den Vordergrund drängenden Abrechnung mit Harvey Weinstein ist „Tarantino – The Bloody Genius“ erstaunlich unkritisch. In den zwei Dritteln davor liefert Tara Wood zwar kaum neue Erkenntnisse über den Meisterregisseur, trägt dafür aber jede Menge amüsante Anekdoten und kurzweilige Trivia in ihrer Dokumentation zusammen.