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    Ich, Daniel Blake
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ich, Daniel Blake
    Von Carsten Baumgardt

    Seit mittlerweile fast 50 Arbeitsjahren erweist sich Autorenfilmer Ken Loach mit Filmen wie „Kes“, „It’s A Free World“ oder „Angel’s Share – Ein Schluck für die Engel“ als präziser filmscher Chronist der britischen Arbeiterschicht. Auch wenn er sein Karriereende schon mehrfach ankündigte, dreht Loach dennoch weiter wie ein Uhrwerk an seinem Lebenswerk. Auch mit 80 Jahren hat der Regisseur, dessen IRA-Drama „The Wind That Shakes The Barley“ 2006 auf den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, dabei nichts von seiner Klasse eingebüßt. In seinem präzise inszenierten Milieu-Drama „Ich, Daniel Blake“ nimmt Loach den britischen Sozialstaat ins Visier und erzählt unaufgeregt und dennoch unterschwellig hochemotional von den Ungerechtigkeiten im System - ein Film, der aufregt, rührt und aufrichtig zu Herzen geht.

    Der Zimmermann Daniel Blake (Dave Johns) aus Newcastle strauchelt. Seine geliebte Frau ist nach schwerer Krankheit verstorben, dazu erholt sich der 59-Jährige nur langsam von einem Herzinfarkt. Der einsame Witwer ist auf die Hilfe des britischen Staates angewiesen, verheddert sich jedoch hoffnungslos in den bürokratischen Fallstricken des starren Apparats. Schließlich ist Daniel nicht nur mit Computern heillos überfordert. Auf dem Amt lernt er die alleinerziehende Mutter Katie (Hayley Squires) und ihre Kinder Daisy (Briana Shann) und Dylan (Dylan McKiernan) kennen. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die für alle im Kampf ums Überleben hilfreich ist.

    Mit „Ich, Daniel Blake“ liefert Ken Loach eine unaufgeregte und konsequente Bestandsaufnahme des Wohlfahrtsstaates in trist-grauen, für den Regisseur so typischen Bildern. Pessimistisch ist das Drama des Briten dabei aber zu keinem Zeitpunkt, denn der Regisseur ist überzeugter Humanist und kein knorriger Zyniker. So bleibt auch immer wieder Platz für eine Prise trockenen englischen Humors und einen Hoffnungsschimmer in der über weite Strecken zutiefst rührenden Erzählung. Unterstützt von seinen starken Schauspielern lässt Loach dabei die Zuschauer nicht nur mit dem bisher kaum bekannten Dave Johns (in seiner ersten Kinorolle) als sympathischen Jedermann aus der Arbeiterklasse, sondern auch mit Hayley Squires („A Royal Night“) als Katie mitfiebern.

    Der titelgebende Daniel Blake ist der Archetyp eines Helden aus dem Œuvre von Kean Loach. Er ist ein einfacher, kerzengerade aufrechter Mann, der zwischen den schwerfällig mahlenden Mühlen des britischen Sozialsystems ohne eigenes Zutun langsam, aber unerbittlich zermalmt wird. In einer (selbst beim Arbeitsamt) digitalisierten Welt wirkt dieses analoge Fossil trotz ernsthafter Bemühungen verloren. Katie gehören dagegen die emotionalsten Momente, allen voran eine herausragende, markerschütternde Szene in einer Essensausgabestelle für sozial Bedürftige. Die völlig mittellose Mutter, die für ihre Kinder auf Nahrung verzichtet, ist schließlich so hungrig, dass sie in der Essenskammer eine Dose eingelegte Bohnen aufreißt und sich den Inhalt mit der Hand in den Mund drückt, bevor sie zusammenbricht. Diese von Squires’s Darstellung getragene Szene ist emotional so starker Tobak, dass sie Tränen beim Betrachter auslöst. Es funktioniert aber nur, weil Ken Loach diesen Moment bestens in kleinen Schritten vorbereitet hat.

    Auch Loachs Darstellung der unbeweglichen Paragraphenreiter des Staates zeigt von der feinen Hand des Filmemachers. Seine Anklage ist genauso scharf wie zum Beispiel im ähnlich gelagerten französischen Sozialdrama „Der Wert des Menschen“, das 2015 im Wettbewerb von Cannes seine Premiere feierte, dabei aber deutlich differenzierter. Loach, der sich schon in den 1970er und 1980er Jahren laut und deutlich gegen die Sozialpolitik in der Thatcher-Ära positionierte, weiß, wo er die Schuldigen zu suchen hat – und zwar nicht dort, wo die Politik umgesetzt wird. Auch bei Loach scheinen zwar die meisten Amtsmitarbeiter frei von Empathie und stur zu sein. Sie sind aber keine vorsätzlich gemeinen Sozialmonster, sondern es ist eine Folge ihrer Überforderung bei der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften. Dies führt zu allerlei Absurditäten, bei denen man als Zuschauer nur verzweifelt den Kopf schütteln kann. Die Ursache dafür ist das Übel: das von der Cameron-Regierung angewandte Prinzip der Bestrafung im Rahmen des Prozesses der Sozialunterstützung.

    Fazit: Ken Loach setzt in seinem emotional berührenden Sozialdrama „Ich, Daniel Blake“ der geballten Kälte des britischen Wohlfahrtssystem puren Humanismus entgegen.

    Wir haben „Ich, Daniel Blake“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wurde.

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