Die Überschrift einer begeisterten IMDb-Nutzerkritik zu Wes Andersons für zwei Oscars nominiertem Stop-Motion-Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“ lautet: „Ein Fest für die Augen und Ohren. Aber Roald Dahl ist nirgends zu sehen.“ Und tatsächlich würde wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass das Ergebnis auf der Leinwand zuallererst mal ein Wes-Anderson-Film und allenfalls unter ferner liefen auch noch die Adaption eines Roald-Dahl-Klassikers ist. Egal ob die nach Symmetrien strebende Inszenierung oder der feine lakonisch-trockene Humor – einen Film von Wes Anderson erkennt man nicht nur auf den ersten Blick, es reichen in der Regel auch wenige Sekunden der Tonspur, um sich ganz sicher zu sein. Sein zweiter Stop-Motion-Film „Isle Of Dogs - Ataris Reise“, mit dem er nach 2014, als er „Grand Budapest Hotel“ präsentierte, bereits zum zweiten Mal die Filmfestspiele in Berlin eröffnet, ist nun der allererste Film, bei dem Anderson nicht nur Regie führt, sondern zu dem er auch allein und ohne Vorlage das Drehbuch verfasst hat. Man könnte also sagen, die 101 Minuten von „Isle Of Dogs“ sind die ersten gut eineinhalb Stunden absolut purer Wes Anderson – und ja, das kommt als Beschreibung tatsächlich ziemlich gut hin.
20 Jahre in der Zukunft bricht in der japanischen Metropole Megasaki City eine Hundeseuche aus und es wird befürchtet, dass diese ab einem gewissen Punkt auch auf den Menschen überspringen könnte. Der katzenliebende Bürgermeister Kobayashi (Stimme: Kunichi Nomura) beschließt deshalb, alle Hunde der Stadt auf die nahegelegene Insel Trash Island (quasi die ausgelagerte Müllhalde der Kommune) zu verbannen. Um zu zeigen, wie ernst es ihm ist, schickt Kobayahsi zuerst Spots (Liev Schreiber), den ergebenen Bodyguard-Hund seines Mündels Atari (Koyu Rankin), in das Insel-Exil. Aber das nimmt der 12-jährige Atari, der bereits einen schweren Zugunfall überlebt hat, bei dem seine Eltern ums Leben gekommen sind, nicht so einfach hin. Wenige Monate später kapert er auf einer Militärbasis ein Flugzeug, um nach Trash Island zu fliegen und Spots zurückzuholen. Zur selben Zeit nutzt der Bürgermeister das Verschwinden seines Schutzbefohlenen, um weiter Stimmung gegen die Hunde zu machen und sich so die nötige Unterstützung für ihre endgültige Ausrottung zu sichern...
„Isle Of Dogs“ beginnt mit einem Prolog, der an so viele asiatische Historien-Kostümfilme gemahnt, in denen zu Beginn auch immer erst einmal erklärt wird, welche Dynastien in welchem Jahrhundert geherrscht haben. Das Bemerkenswerteste an dieser Rückblende ist aber gar nicht, dass es hier statt um Herrscher-Familien um den ewigen Konflikt zwischen Hunden und Katzen geht, sondern die fünf Statuetten vor einem Tempel, die so angeordnet sind, dass sie von links nach rechts immer kleiner werden. Nur eine der Katzenstatuen steht an der falschen Position. Es ist nur eine kleine Beobachtung im Hintergrund, aber natürlich wird der Symmetrie-Fetischist Wes Anderson diesen „Fehler“ nicht einfach übersehen haben. Stattdessen wirkt es eher so, als würde Wes Anderson dem Publikum gleich zum Auftakt einmal kurz zuzwinkern, bevor er sich dann doch wieder in seinen Symmetrie-Wahn stürzt. Wobei er es sich selbst mit der Entscheidung für eine Müllinsel als Schauplatz natürlich nicht gerade leichter gemacht hat.
Zugleich ist es aber auch speziell dieser extra Level an Herausforderung, der es diesmal so besonders faszinierend macht, Wes Anderson auf der Suche nach klaren Formen zu beobachten. Sicherlich waren zuletzt auch die Sets in „Grand Budapest Hotel“ zum Niederknien grandios gestaltet, aber er hatte in dieser alpinen Märchenwelt eben auch völlig freie Hand. Auf Trash Island hingegen, selbst wenn der Müll zu Quadern gepresst dort ankommt, muss man schon genauer hinsehen, um in diesem Dreck und dieser Hoffnungslosigkeit noch all die korrespondierenden Linien und beruhigenden Symmetrien zu entdecken, die Andersons Stil von Film zu Film immer mehr zu dominieren scheinen: Das reicht dann von der Art, wie die Hunde ihre Augen hin und her bewegen, bis hin zu den in perfekten 90-Grad-Winkeln angeordneten Sprüngen, mit dem sie einen der Müllhügel hinunterspringen.
Vor allem beim Design einiger Figuren zeigt sich übrigens, dass Wes Anderson diesmal offenbar überhaupt gar keine Kompromisse mehr eingehen wollte - der 12-jährige Atari wirkt zum Beispiel nie wie ein niedlicher kleiner Animationsfilm-Held, sondern mit einer Eisenstange im Kopf und seinen gelben, blutunterlaufenen Augen fast schon ein bisschen gruselig. Auch wenn die Suche nach Spots später zu einer stillgelegten Forschungsanlage führt, in der früher Tierexperimente durchgeführt wurden, erinnern die dort hausenden Hunde mit ihren zur Hälfte felllosen Gesichtern oder aus ihren Körpern ragenden Schläuchen eher an ein Horrorkabinett, selbst wenn Anderson diesen Außenseitern wie so oft in seinen Filmen mit einem ganz besonderen Maß an Wärme begegnet.
Konterkariert wird die Aussichtlosigkeit von Andersons ebenso detailreicher wie dystopischer Zukunftsvision von seinem wie immer ebenso skurrilen wie staubtrockenen Humor, der von dem Allstar-Sprecherensemble um Bill Murray, Edward Norton, Scarlett Johansson, Frances McDormand, Liev Schreiber und Jeff Goldblum mit einer köstlichen Lakonie in die Dialoge hineingetragen wird. Die Verantwortlichen für die deutsche Fassung sind wahrlich nicht um ihren Job zu beneiden, zumal sich Anderson selbst diesmal besonders viel Gedanken zur Sprache in seinem Film gemacht hat – während das Bellen der Hunde ins Englische übersetzt wird, sprechen die Menschen in ihrer japanischen Muttersprache und wir verstehen sie nur, wenn in der Filmhandlung gerade zufällig ein Übersetzer oder eine Austauschschülerin zur Hand ist, die das Gesagte für das Publikum simultanübersetzt.
Längst nicht so subtil wie der feine Humor ist übrigens die Parabel selbst, die Bezüge speziell zur aktuellen Flüchtlings- und Ausweisediskussion liegen auf der Hand. Die Parallelen sind dabei oft treffend und präzise beobachtet, aber irgendwann auch schlicht ausgeschöpft – im letzten Drittel schleicht sich so leider die ein oder andere kleinere Länge in den Film ein. Zudem hat Anderson es trotz seiner Kompromisslosigkeit an allen anderen Stellen und seinem ansonsten so guten Gefühl für die Repräsentation der japanischen Kultur aus irgendeinem Grund für nötig empfunden, eine amerikanische Austauschschülerin (Greta Gerwig) einzubauen, die den Japanern mal eben erklärt, wie das mit der Demokratie richtig geht und die politische Rebellion mit ihren Schülerzeitungskollegen notfalls auch selbst in die Hand nimmt. Eine zumindest problematische Entscheidung.
Fazit: 101 Minuten reinster Wes Anderson – Fans des exzentrischen Auteurs kommen trotz leichter Abzüge in der B-Note also voll auf ihre Kosten, während der Film für einen harmlosen Animationsfilmnachmittag mit der Familie eher weniger geeignet ist.
Wir haben „Isle Of Dogs – Ataris Reise“ im Rahmen der Berlinale 2018 gesehen, wo er als Eröffnungsfilm und als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.