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    Creepy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Creepy
    Von Gregor Torinus

    Vor allem zur Jahrtausendwende kamen einige perfide Psychothriller aus Japan. So zählt Takashi Miikes berüchtigtes Schockfinale von „Audition“ (1999) zu den verstörendsten Horrormomenten aller Zeiten. Ein Jahr später folgte der gleichfalls sehr beachtliche „Chaos“ von Hideo Nakata. Diese Filme brillieren durch ihre sich langsam, aber unerbittlich aufbauende Atmosphäre der Verstörung: „Audition“ wirkt die erste Stunde wie ein zahmes Liebesdrama, bevor Miike schließlich kalt grinsend die Psychokeule bzw. den Klavierdraht auspackt. Doch in jüngerer Vergangenheit kamen aus dem Land der aufgehenden Sonne vorrangig eher mittelprächtige J-Horror-Filme mit übersinnlichem Fokus und nach sehr ähnlichen Mustern. Jetzt macht sich Kiyoshi Kurosawa mit „Creepy“ daran die schöne kleine Tradition japanischer Psychothriller wiederzubeleben. Das Resultat fällt in der Tat angenehm „creepy“ aus.

    Im Mittelpunkt des auf einem preisgekrönten Mystery-Roman von Yutaka Maekawa basierenden Film steht der einstige Polizei-Ermittler Takakura (Hidetoshi Nishijima). Dieser hat nach einem Angriff durch einen Psychopathen die aktive Polizeiarbeit gegen einen Posten als Universitätsdozent für Kriminalpsychologie eingetauscht. Bei seiner Antrittsvorlesung erklärt er seinen Studenten, dass es drei Arten von Psychopathen gebe: die unorganisierten, die organisierten und Mischtypen. Die ersten beiden seien insbesondere in den USA bereits umfassend analysiert. Wenig wisse man dahingegen über die unberechenbaren Mischtypen. Maekawa schließt seine Ausführungen mit der Feststellung, dass er bei seiner eigenen Arbeit in Japan ausschließlich mit diesem letzteren Typus zu tun hatte … und gibt damit quasi ein Signal für das, was uns noch erwarten soll…

    Kurze Zeit später wird Maekawa von einem früheren Kollegen darum gebeten, ihm dabei zu helfen, einen ungelösten alten Fall neu aufzurollen. Ab hier entwickelt sich „Creepy“ vordergründig zu einem klassischen Whodunit-Krimi, bei dem die Suche nach dem Täter und dem Motiv im Vordergrund stehen. Doch zugleich nimmt ganz schleichend die titelgebende Atmosphäre des Unheimlichen zu, die jedoch sehr schwer zu ergründen und klar zu definieren ist. Immer mehr zeigt sich, dass die Dinge in diesem Fall weit weniger klar sind, als jene, über welche Maekawa so eloquent an der Hochschule doziert. Vor ihm eröffnet sich zusehends eine mysteriöse Welt, deren Irrationalität sich seinen rationalen Analysen entzieht.

    Kiyoshi Kurosawa, der mit Werken wie „Cure“ und „Kairo“ einige der eindrucksvollsten japanischen Horrorfilme geschaffen hat und in den vergangenen Jahren mit Dramen wie „Tokyo Sonata“ oder dem herausragenden Zweiteiler „Sühne“ brillierte, geht in „Creepy“ einmal mehr neue Wege. Nach dem konventionellen Aufbau entfernt er sich schnell immer stärker von klassischen amerikanischen Genre-Vorbildern und spielt vielmehr mit den Formen. Zusehends wird es unklar, ob man sich hier noch in einem Psychothriller oder bereits in einem übersinnlichen Horrorfilm befindet. Die klassische Abfolge des Whodunit, in dem sich nach und nach mehr für den Ermittler und den Zuschauer offenbart, wird hier komplett ausgehebelt und ins Gegenteil verkehrt. Umso weiter die Laufzeit von „Creepy“ voranschreitet, umso verwirrender und vertrackter wird alles. Diese Undurchschaubarkeit verstärkt zusätzlich die Spannung und die übergreifende Atmosphäre der Bedrohung. Abgründe tun sich schließlich auf, die den Blick auf das rein Böse freigeben.

    Fazit: „Creepy“ beginnt als ein gewöhnlicher Krimi und wandelt sich zu einem unheimlichen Horrorthriller mit einem hohen Verstörungspotential.

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