Ein Sci-Fi-Meisterwerk mit Robert Pattinson!
Von Lucas BarwenczikIn den Filmen von Claire Denis sind Menschen vor allem Körper. Fleisch und Haut, nur an zweiter Stelle Geist oder Seele. Körper in Bewegung, Körper im Training. Verletzte Körper, Narben, zerfallende und sterbende Körper. Berührungen, also Körper, die sich verbinden. Tanzende Körper, Körper in Ekstase. Körperflüssigkeiten. Mit „High Life“ wird aus den Körperwelten der Regisseurin („Der Fremdenlegionär“, „35 Rum“) ein Körperweltraum. Für die Französin ist es der erste Ausflug ins Science-Fiction-Genre und auch der erste Film, den sie nicht in ihrer Muttersprache gedreht hat. Das Ergebnis ist ein klaustrophobisches Horror-Drama in der Unendlichkeit des Alls. Ein existenzialistischer Slasher, allerdings ohne Monster oder Serienmörder.
Der Film beginnt in einem kastenförmigen Raumschiff, weit weg von der Erde. Der Kontakt ist abgebrochen, nur noch wirre Einzelbilder aus der Heimat flackern über die Bildschirme. Eine Rückkehr ist unwahrscheinlich. An Bord befinden sich lediglich Monte (Robert Pattinson) und seine Tochter Willow (als Baby: Scarlett Lindsey, als Teenagerin: Jessie Ross). Ursprünglich war ein komplettes Team von Strafgefangenen in Richtung eines schwarzen Lochs aufgebrochen, in der Hoffnung, es als Energiequelle nutzbar zu machen. Nach und nach wird offenbart, welches finstere Schicksal den restlichen Crewmitgliedern zugestoßen ist – und was die herrschsüchtige Bordärztin Dr. Dibs (Juliette Binoche) damit zu tun hat…
Der Film stellt selbst eine Expedition ins Unbekannte dar. Auch mit 70 Jahren sucht Claire Denis immer noch obsessiv nach einer anderen Art von Kino. „High Life“ ist ein ungewöhnlicher und überraschender Film. Eine Herausforderung, die man annehmen sollte - es lohnt sich. Erzählerisch bleibt vieles im Vagen, Figuren und Hintergründe werden kaum erklärt. Selbst wenn man die Grundzüge der Handlung kennt, bleibt ein Gefühl von Desorientierung. Denis erzählt nicht chronologisch, sondern springt durch die Zeit. Die Figuren entwickeln sich meist in Richtung Verfall und Wahnsinn. Grobkörnige Rückblenden, in Polen gedreht, zeigen Episoden auf dem Leben auf der Erde.
Das Raumschiff ist viele Dinge zugleich. Ein trostloses Gefängnis, ein Irrenhaus, ein Versuchslabor, ein fliegender Sarg. Auch eine Black Box, also ein von außen betrachtet kaum verständliches System. Es gibt karge Schlafquartiere, eine Krankenstation, eine Luftschleuse ins All und einen Garten. Außerdem eine Maschine, die der Triebabfuhr dient. Eine Art Sex-Box, welche die Sekrete der Benutzer nach der Vollrichtung abfließen lässt. In einer Szene wird gezeigt, wie die Bordärztin sie benutzt. Es ist ein düsterer Moment des Wahnsinns, ein grotesker Hexentanz. Eindeutig einer der faszinierendsten Momente des Kinojahrs.
Die Menschen an Bord brauchen die Ablenkung, ihr Alltag ist trist und grau. Es wird kaum gespielt oder gesungen, die Beziehungen sind von Feindseligkeit und Misstrauen geprägt. Sexualität bleibt meist mechanisch oder wird gewalttätig. Lediglich die Arbeit im Gemüsegarten bringt einige Momente der Harmonie. Um mit den Auswirkungen von Schwerkraft und Isolation zurechtzukommen, nehmen viele an Bord Pillen. Die werden allerdings nur an jene herausgegeben, die an Dr. Dibs Experimenten teilnehmen. Sie hat sich monomanisch auf die menschliche Fortpflanzung eingeschossen. Hinter ihrem Rücken nennt die Crew sie die „Sperma-Schamanin“. Die meisten sind ihr gefügig, nur der asketische Monte leistet ihr wirklich Widerstand.
Robert Pattinson hat in den vergangenen Jahren mit einem eindrucksvollen Katalog von Autorenfilmern zusammengearbeitet: David Cronenberg („Maps To The Stars“), Werner Herzog („Königin der Wüste“), James Gray („Die versunkene Stadt Z“), Benny und Josh Safdie („Good Times“). Es hat noch nicht jeder „Twilight“-Hater mitbekommen, aber er gehört längst zu den herausragenden Mimen seiner Generation. Denis führt ihn zu seiner bislang enigmatischsten Darbietung. Als enthaltsamer Mönch ist er meist ein Spiegel der Menschen, denen er begegnet. Im Umgang mit seiner Tochter ist er zärtlich, fast selbst ein tapsiges Kind. In der verzweifelten Weltraumgemeinde brütet er still vor sich hin, nur um vulkanisch zu explodieren, wo er herausgefordert wird. Empfindungen und Gedankengänge werden vor allem über Köperhaltung und Bewegungen ausgedrückt. Eine Aura des Primitiven umgibt ihn, als hätte man einen Höhlenmenschen ins Weltall geschossen.
Das Schauspiel von Juliette Binoche („Godzilla“) ist dynamischer. Sie ist immer Opfer und Täter zugleich, schwankt zwischen Aggression und Verletzlichkeit. Den Fanatismus, mit dem sie ihr Fortpflanzungs-Projekt vorantreibt, kann sie nur notdürftig hinter eine Maske aus Professionalität verstecken. Ihr Gesicht verzerrt sich immer mehr zur Fratze. Binoche und Pattinson bestimmen den Film. Die restliche Crew kommt zwar in vielen Szenen vor, verkommt aber ein wenig zu reinem Menschenmaterial. Das britische Modell Mia Goth („A Cure For Wellness“) spielt die junge Boyse, zu der Monte eine vorsichtige Beziehung aufbaut. Der deutsche Theaterstar Lars Eidinger („Abgeschnitten“) hat als Kapitän Chandra nur zwei Zeilen vorzutragen, von denen er eine – dem Q+A bei der Deutschlandpremiere zufolge – nicht einmal selbst verstanden hat.
Die Figuren werden durch Nahaufnahmen erforscht. Hände, Füße, Gesichter, Haut, immer wieder Narben – die Kamera zerlegt jeden Menschen in Einzelteile, lange bevor ihm wirklich etwas zustößt. Man könnte die Bilder „intim“ nennen, doch dafür sind sie eigentlich zu unangenehm. Es entsteht eine schmerzhafte Nähe, die Figuren werden in unsere Komfortzonen gedrängt. Ihre Gegenwart muss man ertragen lernen.
Das erste richtige Wort des Films ist „Tabu“. Das ist kein Zufall, denn „High Life“ ist voll von verstörenden Szenen. Von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt. Ausnahmslos jede Körperflüssigkeit fließt, selbst jene, die sonst selten im Kino zu sehen sind. Denis‘ Perspektive ist sehr pessimistisch. Bei ihr gilt: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Jeder an Bord ist dem Tod geweiht. Manche wissen es, alles spüren es. Einige der ehemaligen Gefangenen saßen im Todestrakt. Sie fliegen in Richtung eines schwarzen Lochs – das Sterben ist so zu sagen ihre Mission.
Denis‘ düsteres Konstrukt ist auf verschiedene Art zu lesen. In Dr. Dibs findet sich sicher eine Selbstbeschreibung der Regisseurin: Eine Frau, die ihre Ziele vehement verfolgt. Als Filmemacherin experimentiert Denis auch mit Menschen und ihren Gefühlen. In vielen Szenen kombiniert sie Darsteller miteinander, so wie eine Alchemistin es mit chemischen Stoffen tut. Manchmal knallt es dabei.
Nur in dieser Hinsicht ist der „Science“-Aspekt des Science-Fiction-Films relevant. Bezeichnenderweise wird im Abspann des Films zwar der französische Astrophysiker Aurélien Barrau aufgeführt, allerdings nicht als wissenschaftlicher Berater, sondern als „Kosmischer Begleiter“. An Wissenschaft und Weltraum reizt Denis nur die metaphorische Qualität. Die Einsamkeit des Alls. Die endlose Reise in den Untergang funktioniert wie ein menschliches Leben. Der Tod ist unausweichlich, ein klarer Sinn ist entweder vorgetäuscht oder nicht zu erkennen. Menschen versuchen sich abzulenken und beschäftigen sich mit Arbeit, Beziehungen und Fortpflanzung.
Doch hinter all der Schwärze blitzt auch immer wieder Menschlichkeit hervor. Kleine Momente von Hoffnung und Wärme, von Verbindung und Liebe. Vor allem in der Beziehung zwischen Monte und seiner Tochter herrscht eine wunderbare Zärtlichkeit, in der die sonst so unbehagliche Nähe der Kamera in Vertrautheit umschlägt. Denis zeigt die niedersten Abgründe der Menschheit, weil sei weiß, dass es anders geht. Es gibt Licht im Dunklen und Hoffnung, selbst wenn man dafür ans Ende des Universums reisen muss.
Fazit: „High Life“ ist ein schmerzhafter Film, doch es lohnt sich, die Expedition ins Nichts zu begleiten. Wer ein klassisches Weltraum-Epos erleben will, der bleibt besser auf dem Boden. Claire Denis‘ Vision ist kompromisslos und radikal. Ein einzigartiges, schwarzes Juwel.