Seit er 2003 sein Engagement bei Gucci beendet und bald darauf seine eigene Modemarke gegründet hat, steht der Name Tom Ford vor allem für streng designte Sonnenbrillen und luxuriöse Parfüms. Deshalb wusste man auch nicht recht, was man erwarten sollte, als Ford vor einem knappen Jahrzehnt plötzlich sein Debüt als Filmregisseur ankündigte. Aber wie das mit kreativen Menschen nun mal so ist, zeigen sie oft auch in für sie neuen Betätigungsfeldern beeindruckendes Talent: Das einzig Bedauerliche ist, dass Fords fulminanter Kinoeinstand „A Single Man“ nur für einen einzigen Oscar (Colin Firth als Bester Hauptdarsteller) nominiert wurde, wo er doch auch zumindest in Kategorien wie „Beste Kamera“ oder „Beste Regie“ mehr Anerkennung verdient gehabt hätte. Sieben Jahre später legt der Neu-Regisseur nun mit dem verschachtelten Neo-noir-Drama „Nocturnal Animals“ seinen zweiten Film nach – und dieses Mal wird er bei der Oscarverleihung wohl gar keine Rolle spielen. Das liegt aber nicht daran, dass er das Niveau seines Erstlings nicht halten konnte, sondern vielmehr an der stilistischen, erzählerischen und moralischen Radikalität, mit der „Nocturnal Animals“ sein Publikum herausfordert.
Eigentlich hatte die Kunstkuratorin Susan Morrow (Amy Adams, „Arrival“) sich ja auf ein freies Wochenende mit ihrem Ehemann Hutton (Armie Hammer) gefreut, aber der muss kurzfristig zu einem wichtigen Geschäftstermin nach New York fliegen. Zugleich bekommt Susan aus dem Nichts ein Paket von ihrem Ex-Mann Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal, „Zodiac“), den sie schon vor 20 Jahren verlassen hat. Edward hat einen Roman mit dem Titel „Nocturnal Animals“ geschrieben, den er nun Susan widmen möchte, weshalb er sie vorab um ihre Meinung bittet. Das Manuskript handelt von dem Familienvater Tony Hastings (ebenfalls Jake Gyllenhaal), der auf einer nächtlichen Fahrt in die Ferien mit seiner Frau (Isla Fisher) und Tochter (Ellie Bamber) auf einem abgelegenen texanischen Highway von dem psychopathischen Ray Marcus (Aaron Taylor-Johnson) und seinen kaum weniger sadistischen Kumpels tyrannisiert wird. Während sie das Buch liest, kommt Susan nicht darum herum, immer wieder an ihre damalige Beziehung mit Edward zu denken und sich dabei auch ein paar dunkle Wahrheiten einzugestehen…
Wenn im Zeitlupenvorspann einige vollkommen nackte, extrem übergewichtige Burlesque-Models – man muss das so sagen – herumschwabbeln, könnte man meinen, Ford würde seinen Film dieses Mal ein wenig verspielter inszenieren. Aber der erste Eindruck täuscht natürlich: Die XXL-Models erweisen sich als Teil einer von Susan kuratierten Kunstinstallation und sobald wir sie anschließend in ihre L.A.-Designerwohnung begleiten, sind da auch wieder die strengen Formen und klar definierten Kamerafahrten, die auch schon „A Single Man“ geprägt haben (nebenbei könnte man sogar auf die Idee kommen, dass Amy Adams dieselbe Hornbrille wie Colin Firth trägt). Trotzdem ist „Nocturnal Animals“ auf immer wieder neue Art überraschend: Während wir etwa die Entlarvung der kalifornischen Kunst-High-Society so von Ford erwartet hätten, fällt der Rape-&-Revenge-Plot der Roman-im-Film-Handlung (selbst wenn das explizite Vergewaltigen und Morden ausgespart wird) doch unerwartet intensiv und verstörend aus. Da kommen durchaus Erinnerungen an die entsprechenden Sequenzen aus Exploitation-Klassikern wie „Wer Gewalt sät“ oder „Das letzte Haus links“ hoch und es wird richtig ungemütlich (zumal „Kick-Ass“-Star Aaron Taylor-Johnson einen wahrhaft verachtenswerten Redneck-Sadisten abliefert).
Wie die beiden Ebenen des Films (später kommt sogar noch ein Flashback als dritte hinzu) genau zusammenhängen, ist dabei nicht sofort ersichtlich – zumindest ist es trotz einiger übergreifender Match Cuts zwischen Susan und Tony nie so, dass sich die Ereignisse in der Filmrealität und in der Manuskripthandlung direkt spiegeln, ergänzen oder gegenseitig kommentieren würden. Stattdessen geht es insgesamt um verschiedene Formen von Männlichkeit: Susan hat Edward damals verlassen, weil sie seine Sensibilität irgendwann einfach nicht mehr aushielt und stattdessen einen pragmatisch-anpackenden, nach Erfolg strebenden Mann wie Hutton haben wollte. Zugleich wagt es Tony nicht, sich den jugendlichen Rednecks entgegenzustellen – selbst als sie seine Familie schon in ihrer Gewalt haben, bleibt er aus Furcht hinter einem Stein versteckt, statt sich zu erheben und für Frau und Tochter einzustehen. Es ist faszinierend, wie ergiebig sich das moderne Melodram des Rahmengeschehens und der klassische Racheplot der Romanhandlung ergänzen, ohne offensichtlich Bezug aufeinander zu nehmen. Wer bis hierhin mit dem Film mitgegangen ist, bei dem besteht trotzdem noch die Chance, dass ihn das Ende gehörig vor den Kopf stoßen wird: Wenn wir schließlich verstehen, warum Edward sein Buch überhaupt an seine Ex-Frau geschickt hat, dann kann man den Grund für platt und pubertär halten, aber genauso gut auch für so wunderbar bösartig, wie es einem abgründigen Neo-noir nun mal angemessen ist.
Fazit: Ein dramaturgisch und inszenatorisch radikales Thriller-Melodram, dessen letzte Einstellung den ganzen Film rückwirkend noch einmal in ein völlig neues, extrem kaltherziges und zynisches Licht taucht. Da muss man auch als Zuschauer erst mal mit klarkommen – aber es lohnt sich!