In der beliebtesten öffentlich-rechtlichen Krimireihe geht der Blick der Filmemacher zur Zeit eher zurück als nach vorn: Im Konstanzer „Tatort: Chateau Mort“ schlug Regisseur Marc Rensing den Bogen ins Jahr der Badischen Revolution von 1848, und im Wiener „Tatort: Grenzfall“ blickte Filmemacher Rupert Henning zurück in die Zeit des Prager Frühlings. Im Leipziger „Tatort: Blutschuld“ beeinflusste eine Straftat aus der Vergangenheit einen Mordfall im Hier und Jetzt – und ganz ähnlich ist es auch im Bremer „Tatort: Die Wiederkehr“, bei dem Regisseur Florian Baxmeyer („Die drei ??? - Das verfluchte Schloss“) zum zehnten Mal für den Fadenkreuzkrimi aus Bremen am Ruder sitzt. Der Unterschied: Baxmeyers Film fällt eine ganze Ecke gelungener aus als der „Tatort“ aus Leipzig, und außerdem muss die ermittelnde Hauptkommissarin die Ereignisse aus der Vergangenheit diesmal unmittelbar ausbaden. Der 31. Fall für Inga Lürsen (Sabine Postel) wartet mit vielen Wendungen auf und ist vor allem in den weiblichen Nebenrollen bärenstark besetzt.
Die verwitwete Silke Althoff (Gabriela Maria Schmeide) staunt nicht schlecht, als eines Tages eine junge Frau (Gro Swantje Kohlhof) vor ihrer Haustür steht: Das Mädchen mit den pinken Haaren behauptet, ihre Tochter Fiona Althoff zu sein, die vor zehn Jahren spurlos verschwunden ist. Fiona erzählt, sie sei damals von einem Camper-Ehepaar verschleppt und in den Folgejahren bei Wohnwagen-Trips durch Europa regelmäßig sexuell missbraucht worden. Silke Althoff, die den Glauben an das Leben ihrer vermissten Tochter verloren hatte, scheint überglücklich – ebenso wie ihr Sohn Jan (Levin Liam), der seine Schwester nur als Kleinkind erlebt hat. Doch Adoptivtochter Kathrin (Amelie Kiefer), die wie Jan im Haus ihrer Mutter wohnt, ist ebenso skeptisch wie Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen): Die Bremer Hauptkommissare hatten Fiona 2005 nicht finden können und Vater Björn Althoff (Heiko Raulin) wegen Mordverdacht inhaftiert. In der U-Haft nahm sich der Familienvater das Leben. Haben die Ermittler versagt? Lürsen und Stedefreund nehmen die Nachforschungen wieder auf und stoßen im Haus der Althoffs auf Ungereimtheiten...
Der Bremer „Tatort: Die Wiederkehr“ ist ein Paradebeispiel dafür, dass ein originelles und clever verschachteltes Drehbuch bei einem Krimi die halbe Miete ist: Die Bremer Hauptkommissare Lürsen und Stedefreund agieren schließlich seit jeher ähnlich unspektakulär wie zum Beispiel die Münchner Kollegen Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) – doch anders als an der Isar waren „Tatort“-Highlights an der Weser seit dem Dienstantritt von Inga Lürsen im Jahr 1997 aufgrund der durchwachsenen Drehbücher eher Mangelware. Nach dem herausragenden Clan-Thriller „Tatort: Brüder“, bei dem 2014 ebenfalls Florian Baxmeyer Regie führte, gesellt sich nun ein weiteres hinzu: Die Drehbuchautoren Stefanie Veith („Sitting Next to Zoe“) und Matthias Tuchmann, der auch am Skript zum überragenden Frankfurter „Tatort: Weil sie böse sind“ mitschrieb, konzipieren ein fesselndes Krimidrama und führen das Publikum mit mehreren Twists gekonnt in die Irre. Das Autorenduo konzipiert ein reizvolles Spiel aus Lügen und doppelten Böden, bei dem sich bis wenige Minuten vor Schluss kein schlüssiges Gesamtbild ergeben will: Was läuft da nur im Haus der Althoffs?
Schon bei der ersten Begegnung von Mutter und Tochter beginnt man zu ahnen, dass hier irgendetwas nicht stimmt: Während die verlotterte Fiona nach ihrer titelgebenden Wiederkehr ins Elternhaus nicht etwa ihre Mutter, sondern zuerst ihren verdutzten Bruder in die Arme schließt, scheint Mutter Silke ihren totgeglaubten Sprössling zunächst gar nicht zu erkennen. Prüfende, fast bohrende Blicke, vorsichtiges Beschnuppern und skeptisches Betasten der Haare – hier ist offenbar Vorsicht geboten. Doch warum diese Skepsis? Fionas erschütternde Geschichte wird durch die Ermittlungen, zu denen Gerichtsmediziner Dr. Katzmann (Matthias Brenner) deutlich mehr beiträgt als Lürsen-Tochter Helen (Camilla Renschke), schnell bestätigt, und wie groß der seelische Schaden sein muss, den die Vergewaltigungen bei dem verschleppten Teenager hinterlassen haben, offenbart sich schon bei Stedefreunds erstem Verhör („Hast du jetzt‘n Steifen?“). Und spätestens als der skrupellose Revolverheld Klaas (Tilman Strauß, „Wir waren Könige“) in die Bremer Stadtrandidylle einbricht, herrscht dort höchste Alarmstufe. Doch irgendetwas scheint faul.
Was es ist, soll an dieser Stelle nicht verraten werden – denn der 939. „Tatort“ ist umso faszinierender, je bedingungsloser man sich auf das Verwirrspiel einlässt. Ganz frei von Logiklöchern (Wo zum Beispiel ist die Sensationspresse, als Wiederkehrerin Fiona zum ersten Mal das Haus verlässt?) ist Baxmeyers Krimidrama nämlich keineswegs, aber unterhaltsam und spannend ist der Film jederzeit. Dabei ist es auch dem überragenden Spiel von Gro Swantje Kohlhof („Tore tanzt“) und Gabriela Maria Schmeide („Die Friseuse“) zu verdanken, dass „Tatort: Die Wiederkehr“ so mitreißt: Während die Jungschauspielerin ihre anspruchsvolle, vielschichtige Rolle bravourös meistert und in den Verhör-Sequenzen mit „Tatort“-Routinier Oliver Mommsen („Ein offener Käfig“) förmlich aufblüht, brilliert Schmeide als undurchsichtiges und verbittertes Familienoberhaupt, dem nach dem Verlust von Ehemann und Tochter nur noch wenig Lebensfreude geblieben ist. Die Bremer Hauptkommissare stochern bis zum Schluss im Nebel – und mit ihnen der Zuschauer, der Zeuge eines buchstäblich atemberaubenden Finales und einer richtig starken Bremer „Tatort“-Folge wird.
Fazit: Florian Baxmeyer inszeniert mit dem „Tatort: Die Wiederkehr“ ein ruhiges, aber kraftvolles Krimidrama, das von einem wendungsreichen Drehbuch und den glänzend aufgelegten Darstellern profitiert.