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    Angelica
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Angelica
    Von Thomas Vorwerk

    Nachdem Mitchell Lichtenstein, der Sohn des bekannten Pop-Art-Künstlers Roy Lichtenstein, schon in seiner Schauspielkarriere gute Erfahrungen auf der Berlinale gemacht hatte (Ang Lees „Das Hochzeitsbankett“, in dem er eine Hauptrolle spielt, gewann 1993 den Goldenen Bären als Bester Film), ist seine Laufbahn als Regisseur noch stärker mit dem Festival verbunden, denn alle seine drei Spielfilme liefen dort. Wie Lichtensteins Debüt „Teeth“ (2007) ist auch „Angelica“, der 2015 im Panorama seine Weltpremiere feierte, ein verstörender und außergewöhnlicher Horrorfilm um unterdrückte Sexualität - diesmal aber fast ohne Blutvergießen.

    London 1880. Die junge Verkäuferin Constance (Jena Malone) heiratet den Arzt Joseph (Ed Stoppard), aber nach einer schweren Geburt wird dem Paar vom Arzt der Geschlechtsverkehr untersagt, weil die junge Frau eine zweite Schwangerschaft nicht überleben würde. Die erzwungene Enthaltsamkeit bringt die Ehe in die Bredouille, Constance kümmert sich umso intensiver um ihre Tochter Angelica (Eliza Madore). Ihre unbegründete Sorge um das Leben des Kindes und andere unglückliche Umstände treiben Constance zu Wahnvorstellungen: Sie glaubt, dass der sexuelle „Druck“ ihres Mannes sich in Form eines Wesens manifestiert, das Angelica und ihr nachts nachstellt.

    Durchs Mikroskop ihres Gatten betrachtete Typhus-Bakterien und Kindermärchen, die sie ihrer Tochter vorliest, gehören zu den offensichtlichen Inspirationen des „fliegenden Mannes“, der zwar mit kruden CGI-Effekten umgesetzt wird, aber als Repräsentation der hysterischen Wahnbilder Constances trotzdem funktioniert – er ist  Gruselelement und Allegorie zugleich. Auf durchgehend nachvollziehbare Weise verstärkt sich Constances Raserei, bis sie die ganze Familie in Gefahr bringt und die „Kutsche zur Klapse“ wortwörtlich vor der Haustür wartet.

    Regisseur Lichtenstein erzählt in seiner Roman-Verfilmung wie in „Teeth“ von einer jungen Frau, die einfach nur „normale“ Sexualität erleben will. Nachdem ihr das durch ärztliches Verdikt verwehrt wird, treibt der unausgelebte Sexualtrieb auch hier einen spannenden psychologischen Horrorfilm von bitterböser Ironie voran. Ein  grausamer, aber genial inszenierter Höhepunkt wird erreicht, wenn die labile junge Frau unangekündigt das Labor ihres für nicht sichtbare Dinge bemerkenswert blinden Forschergatten besucht. Die größte Gefahr geht hier letztlich von der repressiven viktorianischen Gesellschaft aus, was sich insbesondere anhand der zwiespältigen Rolle der „Geisterjägerin“ Anne (Janet McTeer) zeigt.

    Fazit: Gut gespielter, atmosphärisch fotografierter und effektiv inszenierter historischer Psycho-Horror mit reizvollen unterschwelligen Themen.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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