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    The Neon Demon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Neon Demon
    Von Carsten Baumgardt

    Ist das Kunst oder kann das weg? Diese Frage stellte sich schon bei Nicolas Winding Refns vorigem Film, dem ultra-brutalen Rache-Thriller „Only God Forgives“. Der eigenwillige dänische Auteur hat nach seinem internationalen Durchbruch mit dem Action-Thriller-Meisterwerk „Drive“ inzwischen ein dermaßen großes Selbstbewusstsein entwickelt, dass er sich selbst als Marke sieht und als solche das Kürzel NWR verwendet (so auch in der Titelsequenz des Films und im Presseheft). Wahrscheinlich lässt sich ein Werk wie „The Neon Demon“ nur mit einem solchen riesigen Ego überhaupt realisieren: NWRs neueste Extravaganz ist der optisch furioseste Film der vergangenen Jahre, hyperstylish bis zum Exzess! Jedes einzelne Bild ist wie ein Neon-Gemälde durchkomponiert, aber inhaltlich hat der dominante Däne den berauschenden und vor Referenzen überbordenden Bildern in seiner kühlen und rabenschwarzen Horror-Thriller-Groteske nur wenig mehr entgegenzusetzen als eine recht simple These: L.A. und die Modelbranche fressen sich selbst!  

    Die bildhübsche 16-Jährige Jesse (Elle Fanning) reist allein und mit großen Träumen im Gepäck nach Los Angeles, um in der Stadt der Engel eine Modelkarriere zu starten. Als sie bei Agenturchefin Jan (Christian Hendricks) vorspricht, sind die Weichen schnell gestellt, ein Shooting bei Star-Fotograf Jack (Desmond Harrington) bringt Jesses Karriere ins Rollen. Sie freundet sich mit der Visagistin Ruby (Jena Malone) an, während deren Model-Freundinnen Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) sie eher als Konkurrenz ansehen. Der bodenständige Fotograf Dean (Karl Glusman) versucht unterdessen, Jesse in dieser gnadenlosen Stadt zu beschützen. Der zwielichtige Motel-Manager Hank (Keanu Reeves) hat das Mädchen indes auf dem Kieker und bedrängt sie, nachdem sie ihm Ärger eingebrockt hat, als ein Berglöwe sich in ihrem Zimmer verschanzt hat. Aber Jesses Aufstieg in der Branche ist unaufhaltsam …

    Eigentlich sollte Nicolas Winding Refs nächster Film nach „Only God Forgives“ in Tokio spielen. Dagegen intervenierte aber seine Frau, die Schauspielerin und Filmemacherin Liv Corfixen („My Life Directed By Nicolas Winding Refn“), weil sie dort nicht über einen längeren Zeitraum leben wollte. Als Kompromiss einigte sich das Ehepaar auf Los Angeles als Dreh- und Handlungsort für „The Neon Demon“. Aber nicht nur der Schauplatz ist austauschbar, auch das Sujet: die Model- und Modebranche. Refn geht es nicht darum, die Fashionwelt in einer schrägen Satire aufs Korn zu nehmen, dafür ist die Künstlichkeit des ganzen Modezirkus auch viel zu offensichtlich, genauso wie sein Jugendwahn und sein Schönheitskult. Refns Ansatz ist kühner: ein Horrorfilm ohne Horror, das soll es sein, eingebettet in eine Welt voller Schönheit. Und so ist „The Neon Demon“ mehr abstraktes Konstrukt und inszenatorische Fingerübung als ein stringenter Spielfilm. Refn ist mit der ganz großen Referenzschöpfkelle unterwegs und bedient sich bei zahlreichen künstlerischen Quellen, darunter die griechische Mythologie (die Legende von Narziss), italienische Giallos von Mario Bava („Blutige Seide“) und Dario Argento („Suspiria“) sowie die Gewaltstudien des chilenischen Surrealisten und Refn-Mentors Alejandro Jodorowsky („El Topo“).

    „The Neon Demon“ ist eine Style-Orgie, in der alle Einstellungen betörend komponiert sind, ohne dass die Handlung sich großartig voranbewegt. Refn kommt über lange Sequenzen ganz ohne Dialoge aus, wenn doch gesprochen wird, ist der Informationsgehalt minimal. Oft bekommt man beim Zuschauen das Gefühl, dass der Regisseur seinen von Cliff Martinez‘ Electroscore stets hypnotisch umwaberten Fieber(alb)traum in Zeitlupe ablaufen lässt – scheinbar ohne Ziel. Erst im letzten Filmdrittel deutet sich so etwas wie eine Richtung an, wenn plötzlich die Hölle über L.A. hereinbricht und Dämme von Blut zerbersten. „The Neon Demon“ entwickelt hier den unwiderstehlichen Punch einer überkandidelten Groteske und Refn garniert seinen neon-roten Wahnsinn mit einer unvergleichlich beängstigenden nekrophilen Sexszene. Schließlich manifestiert sich dann auch der titelgebende Neon-Dämon und auf der Zielgeraden zelebriert der Filmemacher dann auch wieder seine markante Brutalität, die vorher nur in schmerzenden Nadelstichen präsent war.

    Mit dem erfahrenen Jungstar Elle Fanning („Super 8“, „Trumbo“) hat Nicolas Winding Refn die perfekte Projektionsfläche für seine blutige Mär gefunden. Die Natürlichkeit, die Fanning ihrer Jesse verleiht, unterscheidet diese Unschuld vom Lande von ihren künstlich schöner getunten Konkurrentinnen wie sie Bella Heathcote („Dark Shadows“) und Abbey Lee („Mad Max: Fury Road“) verkörpern. In der Punchline des Films sagt Alessandro Nivola als Star-Designer: „Beauty isn’t everything. It’s the only thing!“ Schönheit ist hier mehr als alles – und bei Jesse ist sie unverdorben und ungekünstelt. Deshalb wird der Neuankömmling auch von allen beneidet, das gilt selbst für die exzellente Jena Malone („Die Tribute von Panem - Mockingjay“) als Jesses undurchschaubare Freundin Ruby. „Matrix“-Ikone Keanu Reeves hat unterdessen viel Spaß an Refns exzessivem Trip und legt einen passend knalligen Aufritt als miesgelaunter Motel-Manager hin.   

    Fazit: Nicolas Winding Refns surreal-groteske L.A.-Fantasie „The Neon Demon“ ist eine glänzend oberflächliche Horrorshow in visueller Perfektion.

    Wir haben „The Neon Demon“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wurde.

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