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    Tatort: Der irre Iwan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Der irre Iwan
    Von Lars-Christian Daniels

    Nach gut einer Stunde ließen die Weimarer Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) in ihrem ersten „Tatort: Die fette Hoppe“ die Bombe platzen: Die beiden Ermittler sind nicht nur Kollegen, sondern auch ein Paar! Ein solch gut gehütetes Geheimnis um das Verhältnis zweier Hauptfiguren, das die ARD auch im Vorfeld der Erstausstrahlung unter Verschluss hielt, hatte es in der über vierzigjährigen „Tatort“-Geschichte noch nicht gegeben. Weil der erste gemeinsame Fall von Lessing und Dorn, der der ARD neben acht Millionen TV-Zuschauern am 2. Weihnachtstag 2013 auch neue Rekordzahlen in der Mediathek bescherte, vom Publikum sehr positiv aufgenommen wurde, war eine Fortsetzung des ursprünglich als einmaligen Event-„Tatort“ geplanten Krimis nur noch Formsache. Aber harmonieren die beiden Ermittler, die sich nebenbei auch noch um ein gemeinsames Kind kümmern müssen, bei ihrem zweiten Einsatz so gut wie beim ersten? Die Antwort ist ein entschiedenes Ja: Richard Hubers „Tatort: Der irre Iwan“ fällt genauso kurzweilig aus wie der Vorgänger und sprüht nur so vor absurden Einfällen und Dialogwitz.

    Ein maskierter Unbekannter überfällt am helllichten Tag die Weimarer Stadtkämmerei und schießt zur Warnung mehrfach in die Decke. Weil die Wände in dem alten Bau sehr dünn sind, schlagen die Kugeln durch und treffen Sekretärin Sylvia Kleinert im Stockwerk darüber tödlich. Zum Tatort gerufen wird der Weimarer Hauptkommissar Lessing (Christian Ulmen), der seiner Partnerin und Kollegin Kira Dorn (Nora Tschirner) eigentlich gerade einen Heiratsantrag machen wollte. Als die beiden in der Kämmerei eintreffen, finden sie Hinweise, dass es sich bei dem Todesfall nicht um eine unglückliche Fügung, sondern um Mord handelt: Die tote Sekretärin hatte ein Verhältnis mit dem Stadtkämmerer Iwan Windisch (Jörg Witte). Hat dieser den Anschlag in Auftrag gegeben, um zu verhindern, dass seine eifersüchtige Frau Nicole (Therese Hämer) von der Liebelei erfährt? Lessing und Dorn befragen Rita Eisenheim (Sophie Rois), die mit ihrem Mann Josef (Jörg Witte) eine Geisterbahn betreibt und zum Rummel nach Rudolstadt in die Nähe von Weimar gekommen ist. Ihr angeblich verschwundener Ehemann weist auf einem Foto unglaubliche Ähnlichkeit mit Iwan Windisch auf. Hat der einen Zwillingsbruder oder führt er womöglich ein bizarres Doppelleben?

    Nach jedem Tatort schauen wir uns alle in die Augen – und nur wenn alle Augen leuchten, dann machen wir weiter“, gab Christian Ulmen ein paar Tage vor der TV-Premiere von „Tatort: Der irre Iwan“ bekannt – und man glaubt ihm sofort, dass die Chemie zwischen den Drehbuchautoren, dem MDR und dem Hauptdarsteller-Duo stimmt. Christian Ulmen und Nora Tschirner, die zuletzt für Markus Gollers romantische Weihnachtskomödie „Alles ist Liebe“ gemeinsam vor der Kamera standen, harmonieren auch bei ihrem zweiten Einsatz prächtig und präsentieren sich bereits eingespielter als manches altgediente „Tatort“-Duo. Deutlich wird dies vor allem bei den konsequent ironisch angehauchten Dialogen, in denen Lessing seine Ehefrau in spe immer wieder mit einem mahnenden „Frau Dooorn!“ tadelt, während er sich selbst ein wahres Spitzenfeuerwerk (zum Beispiel wegen seiner wenig athletischen Figur) gefallen lassen muss. Nicht nur diese Szenen erinnern stark an die Tonalität und die Frotzeleien der Münsteraner „Tatort“-Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) – doch während die beliebten Quotenkönige ein wenig in die Jahre gekommen sind und nur noch selten überraschen, präsentieren sich Lessing und Dorn frech, frisch und unverbraucht.

    Wer sich vom „Tatort“ aus Weimar Nervenkitzel und eine knifflige Auflösung erhofft, erlebt allerdings eine Enttäuschung: „Der irre Iwan“ ist kein echter Krimi, sondern in erster Linie eine Komödie, weil die Filmemacher und Schauspieler den Film und die Figuren zu keinem Zeitpunkt ernst nehmen. Da flieht schon mal eine Leiche vom Seziertisch, kurz bevor ihr Gerichtsmedizinerin Dr. Seelenbinder (herrlich pragmatisch: Ute Wieckhorst) den Schädel aufsägen will. Besonders witzig sind auch die Dialoge, in denen Dorn („Hast du gehört? Nach einundzwanzig Jahren Ehe wird das Körperliche überschätzt.“) und Lessing („Dann gucken wir eben Fernsehen.“) ihre von Routine geprägte Partnerschaft reflektieren: Der 929. „Tatort“ funktioniert auch prima als lockere Beziehungskomödie und liefert reihenweise trockene Pointen. Wer schon „Die fette Hoppe“ albern fand, wird allerdings auch am Nachfolger keinen Gefallen finden: Vom Leichenfund in der Geisterbahn über eine Verfolgungsjagd im Spiegelkabinett und finalem Shoot-Out am Schießstand ist so ziemlich alles dabei. Nur bei den tückenreichen „Go Trabi Go“-Gedächtnisfahrten in einem uralten VW von Chef Kurt Stich (Thorsten Merten) überspannen die Filmemacher den Bogen ein wenig.

    Überhaupt stehen die Ermittlungen auf der Kirmes exemplarisch für die „Tatort“-Folgen aus Weimar: bunt, unterhaltsam und voller skurriler Charaktere. Diesmal sorgt unter anderem Dominique Horwitz, der bereits im „Tatort: Die fette Hoppe“ eine Nebenrolle als Pferdekutscher übernahm, als wütender Kettensägenclown Caspar Bogdanski für Abwechslung im Figurenensemble. Wer angesichts der absurden Handlungsschlenker und doppelten Böden mit der Zeit den Überblick verliert, kann sich im Übrigen trösten: „Ich verstehe gar nichts mehr“, gesteht die betrogene Ehefrau Nicole Windisch irgendwann ernüchtert und zahlreiche Zuschauer dürften in diesem Moment mit ihr fühlen. Die wirre Geschichte um eineiige Zwillinge, getauschte Identitäten und regelmäßige Besuche im „FKK-Paradies“ von Peggy Schuhschnabel (nackt: Michelle Monballijn) ist kaum zu überblicken. Darum geht es den Drehbuchautoren Andreas Pflüger und Murmel Clausen und Regisseur Richard Huber aber auch nicht: Hier steht der Spaß im Vordergrund, und selbst der meist kritischen Twitter-Gemeinde, die sich dem „Tatort“ so ausführlich wie keinem zweiten deutschen TV-Format widmet, liefert Dorn noch eine köstliche Steilvorlage für reichlich #aufschrei- und #tatort-Gezwitscher.

    Fazit: Wer über „Tatort: Die fette Hoppe“ lachen konnte, wird auch an „Tatort: Der irre Iwan“ Gefallen finden. Statt ernsthafter Krimi-Unterhaltung liefert der zweite Fall aus Weimar vor allem gelungene Pointen, reichlich Dialogwitz und eine völlig (verw)irre(nde) Geschichte.

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