Es hat sich schon eine Menge getan seit Joshua Oppenheimers bahnbrechendem „The Act of Killing“ (5 Sterne von FILMSTARTS) über die Ermordung von mehr als 1.000.000 angeblicher Kommunisten in Indonesien in den Jahren 1965/66. Denn während der oscarnominierte Dokumentarfilm 2012 in seinem Entstehungsland aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen zunächst nur im Rahmen von Geheimvorführungen gezeigt werden konnte, feierte die Fortsetzung „The Look of Silence“ im November 2014 mit 2.000 Zuschauern eine offizielle öffentliche Premiere in Jakarta. Aber das heißt noch lange nicht, dass der Umdenkprozess im Land abgeschlossen wäre - ganz im Gegenteil: „The Look of Silence“ legt einmal mehr schonungslos offen, mit welchem Selbstverständnis die Mörder von damals auch heute noch stolz und gerne von ihren grausamen Taten berichten. Dabei richtet Oppenheimer den Fokus diesmal auf die Opfer statt auf die Täter, weshalb die Fortsetzung nach dem durch und durch sachlich-distanzierten und gerade deshalb so erschreckenden „The Act of Killing“ auch eine stärkere persönliche Note erhält. Dass „The Look of Silence“ trotzdem nichts von der moralischen Komplexität des Vorgängers einbüßt, liegt vor allem an seinem faszinierenden Protagonisten, dem 44-jährigen Optiker Adi, dessen Bruder damals auf brutalste Weise getötet wurde.
Denn statt Regisseur Oppenheimer wie in „The Act of Killing“ ist es nun Adi, der die Täter interviewt – und zwar mit einer Ruhe, die in Anbetracht der Gräueltaten und des meist nicht vorhandenen Unrechtbewusstseins seiner Gesprächspartner kaum fassbar scheint. Während einige mordende Handlanger noch immer im selben Dorf leben wie Adi und seine Familie (für viele von ihnen fertigt er als Optiker die Brillen an), wissen viele der später interviewten größeren Fische weiter oben in der Befehlskette gar nicht, wer ihnen da gegenübersitzt – und wenn sie es doch mitbekommen, dann werden gar nicht mehr unterschwellige Drohungen ausgestoßen: So warnt einer von ihnen, der für „The Act of Killing“ auch schon befragt wurde, Adi solle nicht so tiefgehende Fragen stellen, dies hätte Joshua schließlich auch nicht getan. Und genau dieses präzise-furchtlose Nachhaken von Adi ist neben dem Perspektivwechsel (im Vorgänger war mit Anwar Congo einer der Täter der zentrale Protagonist) einer der Gründe, warum „The Look of Silence“ eben nicht nur ein gelungenes Anhängsel, sondern ein ebenbürtiges Meisterwerk ist.
Gegen was für Widerstände Adi - und Oppenheimer mit seinen Filmen - ankämpfen muss (die Sieger schreiben ja bekanntermaßen die Geschichte), wird besonders in einer Szene deutlich, als sein Sohn nach der Schule erzählt, dass er heute gelernt habe, dass die Kommunisten damals im Namen der Demokratie umgebracht wurden und dass dieses Ereignis zu den stolzesten Momenten des Landes zähle. Es gibt immer wieder solche Momente, die die unfassbar pervertierte Selbst- und Geschichtswahrnehmung großer Teile der indonesischen Bevölkerung so schonungslos offenlegen, dass man als Zuschauer kaum noch anders kann, als darüber zu lachen (ähnlich wie über die abgründigen Absurditäten etwa der Diktatur in Nordkorea). Aber trotz allem gibt es auch Hoffnung – und da kommt der titelgebende Look of Silence ins Spiel: Am deutlichsten wird dessen Bedeutung in einer Szene, in der Adi mit einem alten Mann und seiner Tochter spricht. Zu Beginn ist es offensichtlich, dass die Frau ihren Vater für einen Helden hält – so wie es in der allgemeinen Verklärung im Lande propagiert wurde. Als sie nun hört, was wirklich passiert ist, wird sie immer stiller und kann sich am Schluss nur noch unbeholfen und immer wieder entschuldigen: Die Menschen an sich sind nicht böse und auch dank Oppenheimers Filmen steigt die Chance, dass die nächste Generation die wahrheitsverdrehende Sieger-Propaganda hinter sich lassen kann.
Fazit: „The Act of Killing“ ist für uns einer der besten 100 Filme aller Zeiten – und die Fortsetzung „The Look of Silence“ steht dem Vorgänger in nichts nach.