Schon bei den Filmfestspielen in Cannes 2014 sorgte „When Animals Dream“ für Furore. Nun kommt der außergewöhnliche Werwolf-Film auch in die deutschen Kinos und man sollte sich ihn dort nicht entgehen lassen. Der Däne Jonas Alexander Arnby verdichtet in seinem Spielfilmdebüt klassische Horrorfilmelemente zu einer ungewöhnlichen Coming-of-Age-Geschichte. Das faszinierende Resultat ist ein poetisches Mystery-Drama, das in seinem Tonfall eher dem Arthouse-Kino als dem Genrefilm nahesteht. Dass der Regisseur bereits als Ausstatter für Lars von Trier („Antichrist“) tätig war, verwundert nicht, wobei „When Animals Dream“ noch stärker an „So finster die Nacht“ als an von Trier erinnert. Bereits der schwedische Vampirfilm zeigte, dass die kühlen Skandinavier ein besonderes Händchen für ernsthaft-erwachsene Genre-Stoffe haben. „When Animals Dream“ bestätigt dies nun mehr als eindrucksvoll. Von „So finster die Nacht“ erschien mit „Let Me In“ bereits 2010 ein Hollywood-Remake. So herausragend wie „When Animals Dream“ ist, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch hier die Traumfabrik zuschlagen wird...
Die schüchterne Marie (Sonia Suhl) lebt gemeinsam mit ihren Eltern in einem kleinen, abgelegenen Fischerdorf an der Nordküste Dänemarks. Mit ihrem ungestümen Temperament ist der Teenager in der fast archaischen Dorfgemeinschaft eine Außenseiterin. Nur Daniel (Jakob Oftebro), ihr Arbeitskollege in der Fischfabrik, fühlt sich zu ihr hingezogen. Auch bei Marie Zuhause herrscht Tristesse. Ihre Mutter (Sonja Richter) ist aufgrund einer geheimnisvollen Krankheit weitestgehend weggetreten und an den Rollstuhl gefesselt. Maries strenger Vater (Lars Mikkelsen) versucht stets die Kontrolle über seine Tochter zu bewahren und diese vor den neugierigen Blicken der Dorfbewohner zu beschützen. Das hat durchaus seinen Grund, denn Maries Körper macht zunehmend mysteriöse Veränderungen mit, die der jungen Frau selbst ein Rätsel sind. Zusätzlich hat sie immer wieder mit plötzlichen starken Aggressionsschüben zu kämpfen. Diese verwandeln sich in eine animalische Leidenschaft, wenn Marie mit Daniel zusammen ist. Als sich im Ort mysteriöse Todesfälle zu häufen beginnen, bleibt nur er an Maries Seite...
Schon der Schauplatz ist wie geschaffen für „When Animals Dream“: eine karge nordische Küstenlandschaft, Wind streicht durch das Gras, selbst die Dorfgemeinschaft ist einfach und streng. Regisseur Jonas Alexander Arnby war dieses Setting offensichtlich so wichtig, dass er mit Sonia Suhl eine bisher unbekannte Newcomerin als Hauptdarstellerin ausgewählt hat, die selbst in dieser Gegend aufgewachsen ist, also Land und Leute kennt. Die von ihr gespielt Marie ist eine spröde, nordische Schönheit. Marie ist blond und drahtig, sehr sensibel und verletzlich, aber zugleich auch ungewöhnlich leidenschaftlich und willensstark. Damit ist sie den anderen Dorfbewohnern suspekt und unheimlich. Denn eine starke Frau rüttelt am Fundament des herrschenden starren Patriarchats. So folgen disziplinarische Maßnahmen, wobei das Bad in eiskalten Fischabfällen zuerst als derbe Begrüßung und als Initiationsritus getarnt wird. Doch schon wenig später gibt es in der Form eines Spinds voll stinkendem Fisch die direkte Warnung. Ohnehin ist überall immer wieder Fisch. Die glitschig-kühlen Meeresbewohner bilden die Haupteinnahmequelle des gesamten Ortes. Zugleich sind sie ein Symbol für eine unterkühlte und fast unberührbare Gesellschaft, die alles, was nicht in ihr Bild passt, glitschig an sich abgleiten lässt.
Alles wahrhaft Lebendige ist in dieser streng protestantischen Gemeinde geächtet und wird gnadenlos verbannt. Überschäumende Vitalität muss medikamentös behandelt werden. Erst die vollkommene Erstarrung bietet Sicherheit. Marie ist in dieser Welt ein Fremdkörper, der als Bedrohung empfunden wird, da er die althergebrachte Ordnung stört. Arnby macht in „When Animals Dream“ explizit, was in manch anderem Horrorfilm nur als Subtext enthalten ist. Die Verwandlung in einen Werwolf zelebriert er als sehr eindringliches Bild für die nur notdürftig durch zivilisatorische Maßnahmen gezähmte animalische Natur des Menschen. Verstärkt wird dies durch die herausragende Arbeit der Kostüm-Designerin Jane Whittaker, die auch schon mit Arnbys Landsleuten Ole Bornedal („Bedingungslos“) und Nicolas Winding Refn („Pusher II“) gearbeitet und hier ein ungemein liebevolles Werwolf-Kostüm entworfen hat. Der Werwolf diente bereits in der kanadischen „Ginger Snaps“-Trilogie als Metapher für die ungestüme Wildheit einer entfesselten weiblichen Sexualität. Doch „When Animals Dream“ geht weit darüber hinaus, ist komplexer: Im Bild des Werwolfs finden sich hier gleichberechtigt gleich mehrere Aspekte. Wie in Tomas Alfredsons Vampir-Drama „So finster die Nacht“ dient die Zeichnung der Protagonistin als eine schwarzromantische Schauergestalt dabei ihrer Markierung als gesellschaftliche Außenseiterin.
Gewissermaßen erzählt „When Animals Dream“ die Geschichte aus „So finster die Nacht“ mit eigenen Mitteln weiter: 2008 hatte das zwölfjährige Vampir-Mädchen Eli mit ihrer Andersartigkeit inmitten einer pubertierenden Klassengemeinschaft in der Schule zu kämpfen. Genau sechs Jahre später spielt die 18-jährige Sonia Suhl die junge Frau Marie, die als werdender Werwolf ins triste Arbeitsleben eintritt. Auch sie trifft auf Abweisung inmitten einer engen, eingeschworenen Männergemeinschaft. Dass Sonia Suhl so vollkommen in dieser Rolle aufgeht, liegt sicherlich auch daran, dass sie sich ein Stück weit selbst darstellt. Als ein in einem winzigen Dorf an der Küste im Norden Dänemarks aufwachsendes Mädchen erschien sie mit ihrem Wunsch, eine professionelle Schauspielerin zu werden, den anderen Dorfbewohnern ebenfalls fast wie ein Wesen von einem anderen Stern. „When Animals Dream“ vereinigt in der Figur des Werwolfs sowohl Maries erwachende weibliche sexuelle Energie, als auch ihre wesensmäßige Andersartigkeit inmitten einer sehr engen und erstarrten Gesellschaft. Somit erweist sich dieser skandinavische Horrorfilm unverhofft als eine wilde Werwolf-Variante von Michael Hanekes protestantisch-preußischem Vorkriegs-Drama „Das weiße Band“.
Fazit: Das dänische Werwolf-Drama „When Animals Dream“ ist eine beeindruckende Parabel auf den Kampf um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit inmitten starrer gesellschaftlicher Konventionen: ein Film voller kühler Poesie und voller Biss!