In seiner Kurzgeschichte „Story Of Your Life“ beschäftigt sich Autor Ted Chiang mit einer der (wenn nicht sogar der) spannendsten Frage der Menschheitsgeschichte: Was würde wohl geschehen, wenn eine außerirdische Zivilisation auf der Erde landet und bei uns Menschen an die Türe klopft? Werden Milliarden von Existenzen von einer überirdischen Macht einfach ausgelöscht? Oder durch den Transfer von Wissen und Technologie auf ein völlig neues evolutionäres Level gehoben? Gerade Hollywood hat sich bereits ausgiebig mit diesem Komplex beschäftigt. Wenn sich aber einer der aktuell aufregendsten Regisseure der Traumfabrik an einen solchen Stoff wagt, sind die Erwartungen natürlich trotzdem immens: Und Denis Villeneuve („Sicario“, „Prisoners“) enttäuscht sie nicht! Sein Science-Fiction-Drama „Arrival“ ist reduziertes, aber deshalb nicht weniger faszinierendes und grandios gefilmtes Erlebniskino, das den Zuschauer als denkenden Konsumenten mit einbezieht.
Außerirdische sind an zwölf Orten rund um den Erdball gelandet und schweben dort nun mit ihren riesigen, muschelförmigen Raumschiffen knapp über der Oberfläche. Erste Versuche der Kontaktaufnahme scheitern. Deshalb engagiert das US-Militär unter der Leitung von Colonel Weber (Forest Whitaker) für die Landungsstelle in Montana die Linguistik-Koryphäe Dr. Louise Banks (Amy Adams), die der Regierung schon einmal aus der Patsche geholfen hat. Auch der Physiker Dr. Ian Donnelly (Jeremy Renner) wird hinzugezogen. Gemeinsam gelingt es den Forschern, nach und nach eine simple Form der Kommunikation mit den zwei tintenfischartigen Wesen im Inneren der Muschel aufzubauen und so langsam die Sprache der Aliens zu entschlüsseln. Aber es ist ein mühsames Unterfangen, während sich die Lage in Russland und China schnell zuspitzt – denn dort reagieren die Verantwortlichen weniger geduldig auf das undurchschaubare Verhalten der außerirdischen Gäste…
Dank der jüngsten kommerziellen Erfolge von Filmen wie „Gravity“, „Interstellar“ oder „Der Marsianer“ hat Hollywood seine Liebe zu großen Science-Fiction-Epen in den vergangenen Jahren wiederentdeckt. In diesem Fahrwasser konnte nun auch Denis Villeneuves 50 Millionen Dollar teures, philosophisch unterfüttertes Drama „Arrival“ entstehen, obwohl es sehr viel spezieller ist als die genannten Mainstream-Hits. Vielmehr benutzt der kanadische Regisseur geschickt die Eckpfeiler des Genres als grobe, auch für ein Massenpublikum attraktive Tarnung - immerhin ist die Ausgangslage quasi identisch mit der von Alien-Blockbustern wie „Independence Day“. Aber was Villeneuve daraus macht, könnte nicht weiter von Roland Emmerichs launiger Effektschlacht entfernt sein, selbst wenn „Arrival“ in regelmäßigen Abständen berauschende Einstellungen von betörender Schönheit bietet (etwa die außerirdischen Muschelraumschiffe vor Landschaftspanoramen oder einige kurios-faszinierende Perspektivwechsel im Inneren des Raumschiffs).
Stattdessen ist „Arrival“ ein für ein solch umfassendes Sujet ungewöhnlich intimer Film. Weltpolitik ist hier kaum mehr als ein die Handlung vorantreibendes Nebengeräusch, vielmehr werden brennende Menschheitsfragen mit einem strengen Fokus auf nur einige wenige Personen behandelt: Was macht es aus, ein Mensch zu sein? Und wie verändert sich die Antwort, wenn eine andere Zivilisation in unser Leben tritt? Was bedeutet Sprache und welchen Einfluss hat sie darauf, wie wir die Welt wahrnehmen? Mehr sollte niemand vorab über die Handlung wissen. Louises primärer Auftrag ist die Klärung der Frage: Warum seid ihr hier? Ein spektakulärer Twist rückt alle möglichen Irritationen über die zwischendurch gezeigten Rückblenden von Louise und ihrer todkranken Tochter, über die man durchaus schon mal stolpern kann, nachträglich wieder ins rechte Licht. Zwar gibt es immer wieder spirituell angehauchte Einsprengsel, aber am Ende ist „Arrival“ nicht nur ein durch und durch logischer, sondern vor allem auch ein ungeheuer cleverer und trotzdem emotionaler Film.
Stilistisch erobert der vielseitige Denis Villeneuve bei seinem ersten Ausflug ins Science-Fiction-Fach neues Terrain - denn kaum ein Vergleich will so recht passen: Weder ist der in behutsamem Tempo erzählte „Arrival“ (Aliens und Menschen lernen lange Zeit ein Wort nach dem anderen voneinander) so zugänglich wie der thematisch ähnliche „Contact“ von Robert Zemeckis, noch ist er so sperrig wie Terrence Malicks Evolutionstheorie-Meditation „Tree Of Life“. Irgendwo zwischen diesen Polen atmet der Film den Geist von Andrei Tarkovskys Meisterwerk „Solaris“ oder zitiert Motive aus dem Klassiker „Der Tag, an dem die Erde stillstand“. Mit seiner distanzierten Herangehensweise handelt sich Villeneuve aber auch ein kleines Problem ein: Seine bewusst kühle Inszenierung mit den superben, aber konsequent düsteren Bildern von Kameramann Bradford Young („A Most Violent Year“) schafft lange Zeit eine nicht zu verhehlende Kluft zwischen den Figuren und dem Publikum, die erst im Laufe des Films langsam verschwindet. Im Finale bekommt der Zuschauer dafür mit einem Mal die emotionale Wucht eines ganzen Films zu spüren.
Das herausragende Schauspiel von Amy Adams („American Hustle“, „Man Of Steel“) ist definitiv einer Oscarnominierung würdig (es wäre bereits ihre sechste). Villeneuve verlässt sich voll auf seinen Star und zelebriert seinen Auftritt regelmäßig in Großaufnahmen. Adams ist der Dreh- und Angelpunkt von „Arrival“ – alle anderen sind nur dazu da, sie zu unterstützen. Diese Zuarbeit erledigt Jeremy Renner („Marvel’s The Avengers“, „Tödliches Kommando“) als Louises Wissenschaftspartner sehr souverän und macht die emotionale Bindung zwischen den Figuren spürbar. Forest Whitaker (Oscar für „Der letzte König von Schottland“) übernimmt die Aufgabe, als einziges Mitglied des Militärs nicht wie ein Dummkopf rüberzukommen: Sein Colonel Weber ist kein waffenverliebter Kriegstreiber, der die Außerirdischen aus purer Panik am liebsten gleich pulverisieren würde - stattdessen stellt er kluge Fragen und hinterfragt intelligent das Vorgehen der Wissenschaftler. Eine sehr angenehme Performance.
Fazit: Regisseur Denis Villeneuve gelingt mit „Arrival“ ein krasser Gegenentwurf zu „Independence Day“, nämlich ein ambitionierter, emotionaler und spannender High-Concept-Film, der seinem Publikum viel zum Nachdenken mit auf den Weg gibt. Großes Kino für Erwachsene!