Auf Steven Spielberg ist Uwe Boll nicht gut zu sprechen, aber der Vielfilmer aus Wermelskirchen hätte insgeheim vielleicht gar nichts dagegen, wenn die eigene Karriere, die von „reinen“ Videospiel-Verfilmungen zu Werken mit einer „politischen Botschaft“ („Darfur“) führte, mit dem Werdegang des dreifachen Oscar-Preisträgers verglichen würde, der einst als Unterhaltungsgenie abgestempelt wurde und erst nach seinem Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ „ernst genommen“ wurde und allgemeine künstlerische Anerkennung erfuhr. Jedenfalls ist der milliardenschwere Hollywood-Titan für Boll immer wieder eine wichtige Referenz, der erwähnte „Schindlers Liste“ ist für den „Auschwitz“-Macher ein rotes Tuch und nun echauffiert sich der psychopathische Geiselnehmer in der Hauptrolle von Bolls „politischer“ Action-„Satire“ „Rampage - Capital Punishment“ über Spielbergs „Lincoln“. Der rheinländische Regiewüterich nutzt den Protagonisten als Sprachrohr, um vieles anzuprangern, was in seiner Vorstellung für den Niedergang der (amerikanischen) Gesellschaft und der Demokratie verantwortlich ist: US-Waffengesetze, die NSA, Reality-TV, Barack Obama und Yoga. Doch selbst, wenn man ihm dabei folgen würde, tritt das alles wieder einmal hinter der handwerklich miserablen Umsetzung zurück.
Billy Williamson (Brendan Fletcher), der in den Untergrund verschwundene Amokläufer, der in „Rampage, Rache ist unbarmherzig“ über 100 Einwohner des Städtchen Tenderville City erschoss, ist drei Jahre später wieder zurück. Mittlerweile hat er über soziale Medien eine Anhängerschaft aufgebaut, die seine Visionen von „Säuberungsaktionen“ unterstützen („Die Weltbevölkerung erhöht sich jedes Jahr um 70 Millionen Menschen, die Ressourcen verschlingen. Lasst sie uns umbringen!“). Nun verstrickt Billy in seiner schusssicheren Kevlar-Rüstung Obdachlose in Grundsatzdiskussionen, erschießt unmotiviert ein paar Passanten und übernimmt dann mit Waffengewalt einen Fernsehsender, den er zuvor schon mit Sprengladungen bestückte. Dort erschießt er gut zwei Drittel der Angestellten und nimmt den Rest als Geiseln, um mit einer vorgefertigten DVD das Publikum mit ein paar Minuten „unzensierten Medien“ zu verwöhnen. Zudem will er ein Live-Interview mit dem preisgekrönten Nachrichtensprecher Chip (Lochlyn Munro), von dem er hofft, dass er seine Ansichten teilt, erzwingen…
Uwe Boll stellte vor der Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray „Rampage - Capital Punishment“ auf einer kurzen Kinotour persönlich in diversen deutschen Städten vor. Dabei teilte er mit, er wolle durch die „auf ihren Wahrheitsgehalt geprüften“ Tiraden seiner Hauptfigur, die Darsteller Brendan Fletcher selbst um persönliche „Aufreger“ ergänzte und deswegen auch als Co-Autor gelistet wird, Zuschauer „wachrütteln“ und informieren, damit im Endeffekt die „Freilassung“ Edward Snowdens und eine Wiederherstellung der korrumpierten Demokratie veranlasst werden können (!). Bolls erklärtes Ziel ist es, Wut zu erzeugen, was bei der Berliner Vorführung auf der Kinotour immerhin so gut funktionierte, dass einer jungen Frau bei der Begegnung des von Uwe Boll selbst gespielten Nachrichtensprecher-Chefs mit dem amoklaufenden Killer ein halblautes „Erschieß ihn!“ herausrutschte. Ob sich ihre Wut dabei auf die Figur, den geldgeilen TV-Produzenten, oder auf den diese Figur verkörpernden Regisseur bezog, ist nicht bekannt, aber sie richtete sich eben nicht gegen die angeprangerten politischen Missstände.
Dabei versucht es Boll mit Nachdruck auf diese hinzuweisen: In zwei längeren Monologen prangert Protagonist Billy Williamson dann u. a. das US-Gesundheitssystem an, oder die Außenpolitik, die sich humanitär gibt, aber oft pekuniäre Ziele verfolgt. Dabei gibt es auch direkte Vorwürfe, wer hinter den Anschlägen auf das World Trade Center steckt. Dies wird durch eingeschnittenes Archiv-Material mit vermeintlicher „Beweiskraft“ illustriert. Diese visuell unterstützten Überzeugungstaktiken kennt man von Dokumentarfilmer Michael Moore („Bowling for Columbine“) und dem bisweilen auch sehr plakativen Politfilmer Oliver Stone („Natural Born Killers“). Doch Bolls Konzept, seine pseudo-radikale Botschaft nach dem Prinzip „Schluckimpfung“ unters Volk zu bringen, wobei ihm die Action-Ballerei als Zuckerwürfel dient, in dem die Medizin versteckt ist, geht nicht auf, weil er sich mit Anlauf zwischen die Stühle setzt. Warum sollte man sich einen handwerklich schlecht gemachten, lauten und stumpfen Actionfilm anschauen, wenn man die Auseinandersetzung mit Bolls Thesen sucht? Und warum sollte man sich „Rampage - Capital Punishment“ anschauen, wenn man einen lauten, stumpfen Actionfilm will, dann aber die Maschinengewehrsalven und Explosionen immer wieder durch Sermone der Hauptfigur unterbrochen werden?
Dass „Rampage - Capital Punishment“ nicht funktioniert, liegt weniger daran, dass man als Zuschauer den Thesen eines psychopathischen Killers folgen soll – für so ehrenwert man manche von Bolls Ziele auch halten mag. Es sind weniger die bisweilen ermüdenden Plattitüden von Amokläufer Williamson, der wie die Personifikation des Wutbürgers Boll erscheint, als seine weiteren Taten, die alle hehren Ziele ad absurdum führen. Alle anderen Figuren in „Rampage - Capital Punishment“ sind schließlich bloße Prügelknaben, an denen sich der Killer abreagiert. Da wird dann eine Frau wegen ihrer Yogahose verhöhnt, vorgeführt und erschossen, denn: „Yoga ist Gymnastik für Egozentriker“. Daneben erfreut sich der Killer an Psycho-Spielchen, zwingt zum Beispiel eine Geisel, die andere zu schlagen (wobei das Opfer erneut eine Frau ist). Wo ist hinter diesen Szenen noch die Botschaft? Oder ist Williamson in diesen Momenten doch wieder der Psychopath und nicht mehr der Einzige, der die Wahrheit sieht? Doch bei welcher Aktion sehen wir welche Seite?
Beim Vorgänger „Rampage, Rache ist unbarmherzig“ bewies Uwe Boll in einigen, wenigen Momenten, dass er auch anders kann, wenn er zum Beispiel inmitten seines mit deutlich mehr Vollgas als beim Nachfolger inszenierten Feldzugs beim Rentner-Bingo seinem Amokläufer einen satirischen Moment der Entschleunigung beschert. Doch die „Demokratie-Kampagne“ des durchgedrehten Killers in „Rampage - Capital Punishment“, inklusive des oft zynischen Humors, bleibt durchweg fragwürdig, weil es vergleichbare Momente nicht gibt. Boll hat nichts von der filmischen Ausdruckskraft eines Stanley Kubrick („Uhrwerk Orange“) oder der satirischen Schärfe eines Paul Verhoeven („Robocop“, „Starship Troopers“) – davon ist er meilenweit entfernt. Er versucht aber nicht einmal diese Lücke zu schließen. Boll scheint gar kein Interesse dran zu haben, den bestmöglichen Film abzuliefern. Warum sollte man den noch etwas länger am Drehbuch feilen, einen Take mehr drehen, kostet doch am Ende alles Geld und verringert die Einnahmen. Beim Dreh scheint alles einem Kostenspar-Prinzip untergeordnet worden zu sein, völlig egal, wie schlampig am Ende der Film aussieht.
Es ist bekannt, dass Uwe Boll unabhängig, schnell und billig arbeitet. Das ist sein Prinzip. Für 1,5 Millionen Dollar, die er von den weltweiten Verleihern vorgeschossen bekam, hat er „Rampage - Capital Punishment“ in wenigen Tagen im Januar 2014 im kanadischen Vancouver abgedreht. Er greift dabei auf ein eingespieltes Team zurück, mit Kameramann Mathias Neumann und Komponistin Jessica de Rooij hat er z. B. bereits bei beinahe zwanzig Filmen zusammengearbeitet. Die wissen, wie er tickt, wie kostengünstig alles gelöst werden soll: Die paar Explosionen oder ein ziemlich erbärmlicher CGI-Effekt am Schluss müssen nicht gut aussehen. Die anstrengend verwackelten und häufig unscharfen Handkamera-Bilder tragen genauso zur Ausgabenreduzierung bei, wie der Trick bei Prügeleien mehr mit der Tonspur als dem Bild zu arbeiten, so dass sich auch mal der Stuntman erübrigt. Um zudem mehrere Minuten Material aus dem ersten Film wiederzuverwenden, baut man eine Menge unmotivierter Flashbacks ein. Nur hier und da gibt es Querverbindungen, für die ansatzweise so etwas wie eine Handlung entwickelt wurde. Bill telefoniert mit seinem Vater und hat einen echten emotionalen Moment, ein Polizist war schon damals dabei und eine Geisel verlor durch das erste Massaker eine Schwester. Hier wird immerhin mal angedeutet, dass es um Schicksale und Menschen gehen könnte.
Fazit: Überzeugte der Vorgänger noch in Ansätzen, ist „Rampage - Capital Punishment“ handwerklich und inhaltlich komplett unausgegoren.