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    The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte
    Von Michael Meyns

    Eine Frau steigt aus ihrem Auto, geht auf ein Esel zu und verpasst dem Gaul einen Kopfschuss. Warum? Das erfährt man erst viel später. Lange gibt dieser bizarre Prolog von Yorgos Lanthimos' Cannes-Wettbewerbsbeitrag „The Lobster“ Rätsel auf, denn der Regisseur, der vor allem mit seinem ähnlich absonderlichen Film „Dogtooth“ zum Aushängeschild des neuen griechischen Kinos wurde, ist kein Freund eindeutiger Antworten. Das ist in manchen Momenten seiner dystopischen Vision von einer Welt, in der das Singlesein verboten ist, zwar schon irgendwie schade, sorgt aber letztlich für einen Film, der vor allem durch seine Ambivalenz und Vielschichtigkeit überzeugt.

    Eine unbestimmte Zukunft: Nachdem er von seiner Frau verlassen wurde, muss David (Colin Farrell) in ein Hotel ziehen, wo er 45 Tage Zeit hat, unter den anderen weiblichen (oder auch männlichen) Singles einen neuen Partner zu finden. Gelingt ihm das, wird er wieder in die Gesellschaft integriert, scheitert er, wird er in ein Tier seiner Wahl verwandelt, in seinem Fall in den titelgebenden Hummer. Nach etlichen Versuchen, den passenden Partner zu finden, gibt David auf und flieht in den Wald, wo Menschen leben, die bewusst Single sein wollen. Hier trifft er auf eine kurzsichtige Frau (Rachel Weisz), die seine Seelenverwandte zu sein scheint - aber die Regeln der Gruppe verbieten jede körperliche Nähe…

    Ohne Frage besitzt Yorgos Lanthimos' „The Lobster“ ein höchst originelles Konzept, das der internationale Cast (neben Farrell und Weisz sind auch noch Ben Whishaw, John C. Reilly, Lea Seydoux und Olivia Colman dabei) mit betont emotionslosem Spiel zusätzlich zum absurden Theater hochstilisiert. Würde es dabei bleiben, könnte man „The Lobster“ allerdings kaum mehr als die zweifelsfrei vorhandene Originalität zugestehen. Doch zum Glück will Lanthimos noch etwas anderes: Er nutzt seinen absonderlichen Plot für eine vielschichtige Reflektion über das Paarverhalten und die Liebe in Zeiten des Internet-Datings.

    Warum die Welt des Films so wurde, wie sie ist, bleibt völlig offen, einen umfassenden Kontext liefert Lanthimos nie. So bleibt erst recht der nötige Raum, um sich diese Dystopie als extrem übersteigerte Version der Gegenwart vorzustellen (abgesehen von der Verwandlung in Tiere natürlich), in der das Dating-Verhalten zunehmend von computerunterstützten Algorithmen bestimmt wird. So wie man auch bei Datingseiten Vorlieben und persönliche Eigenschaften angeben soll, nach denen dann angeblich perfekt passende Partner vorgeschlagen werden, so ist auch in der Welt von „The Lobster“ nicht etwa Liebe die Basis von Beziehungen, sondern übereinstimmende Eigenschaften: Gemeinsames Hinken verbindet dabei ebenso wie besonders schöne Haare oder im Fall von David und der namenlosen Kurzsichtigen eben die gemeinsame Sehschwäche. So absurd wie tragisch ist dieses Konzept und erzählt doch so viel über die Art und Weise, wie viele Menschen der Gegenwart erhebliche Teile ihrer Entscheidungsfreiheit und damit ihres freien Willens an Computeralgorithmen abgegeben haben.

    Fazit: In seiner konzeptuell wie stilistisch brillanten Dystopie „The Lobster“ imaginiert Yorgos Lanthimos eine Welt, in der es keine Singles geben darf. Doch wie jede gelungene düstere Zukunftsvision dient auch dieser bizarre Entwurf am Ende vor allem dazu, etwas über die Auswüchse der Gegenwart zu erzählen.

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