In der Zeit vor solchen „nur“ durchschnittlich sehenswerten Animations-Abenteuern wie „Die Monster Uni“ oder „Arlo & Spot“, als man bei jedem neuen Pixar-Film schon vor dem Kinostart von einem ausgemachten Meisterstück ausgehen konnte, galt die von „Toy Story“-Mastermind John Lasseter vorangetriebene „Cars“-Reihe als einzige unschöne Delle in der ansonsten so makellosen Filmografie des Studios. Trotzdem kommt jetzt „Cars 3: Evolution“ in die Kinos – und das ist auch nur logisch, denn wer sich mal genauer in den Kinderabteilungen der Kaufhäuser umsieht, der wird schnell merken, dass Lightning McQueen dort sogar auf noch mehr Bettbezügen und Zahnputzbechern abgebildet ist als die „Toy Story“-Helden Woody und Buzz Lightyear. Das „Cars“-Franchise ist eine Gelddruckmaschine und fährt schon massive Gewinne ein, bevor nur ein einziges Kinoticket verkauft ist. Und gerade deshalb ist es auch eine solch angenehme Überraschung, dass sich die Pixar-Verantwortlichen um Regisseur Brian Fee im dritten Anlauf tatsächlich noch mal was trauen, statt einfach nur auf Nummer sicher zu gehen. Zwar kommt auch „Cars 3“ nicht an die ganz großen Pixar-Klassiker heran, aber zumindest erweist sich der voraussichtlich finale Lightning-McQueen-Film so als erzählerisch mutigster und insgesamt auch stärkster Teil der „Cars“-Trilogie.
Während Lightning McQueen (Stimme im Original: Owen Wilson / deutsche Stimme: Daniel Brühl) die Rennliga in den vergangenen Jahren noch dominiert hat, kommen plötzlich immer mehr Neulinge wie Jackson Storm (Armie Hammer/„Art Attack“-Moderator Benedikt Weber) dazu, die auf der Strecke nahezu spielend leicht an dem älter gewordenen Champion vorbeiziehen. Das liegt auch an den Trainingsmethoden – wo Lightning noch ganz klassisch im Morgengrauen am Strand trainiert, verwenden seine neuen Kontrahenten hochmoderne Simulatoren und jede Menge anderen technischen Schnickschnack, um auch noch die letzten paar PS aus sich herauszukitzeln. So muss schließlich auch Lightning nicht ganz freiwillig mit der Zeit gehen – denn ihm bleiben nur noch wenige Wochen, um sich mit Hilfe seiner neuen Trainerin Cruz Ramirez (Cristela Alonzo) so weit in Form zu bringen, dass er in der anstehenden Saison wieder um die Spitze mitfahren kann. Ansonsten droht dem stolzen Rennidol nämlich die Degradierung zum Werbegesicht für ein Rostschutzmittel…
„Cars“ ist praktisch „Rocky“ mit Autos. „Cars 2“ ist eine Agenten-Komödie, die vor allem zeigt, dass die Macher keinen Weg gefunden haben, um die zuvor etablierte Welt stimmig auszubauen – stattdessen werden die bekannten Figuren im Sequel einfach in einen x-beliebigen Spionageplot geschmissen (fürs Bedrucken der Bettlaken macht das ja eh keinen Unterschied). So weit, so marketingtauglich. Aber „Cars 3: Evolution“ erweist sich tatsächlich als animierte Version des nun wirklich alles andere als mainstreamigen „Rocky Balboa“: Wie im sechsten Teil der Boxer-Saga will es auch hier ein alternder, aus der Zeit gefallener Sportstar am Ende seiner Karriere unbedingt noch mal wissen. Natürlich kann man sich da fragen, ob die junge Zielgruppe sich überhaupt für solch eine Fast-schon-Rentner-Geschichte interessiert. Aber für die Qualität des Films ist das vollkommen unerheblich – „Cars 3“ ist der thematisch klar reifste und überraschendste Teil des Franchises. Endlich bekommt die „Cars“-Reihe auch mal ein bisschen was von dem erzählerischen Mut ab, der solche außergewöhnlichen Pixar-Werke wie „Oben“ oder „Alles steht Kopf“ überhaupt erst möglich gemacht hat.
Wenn Lightning McQueen seinem neuen Sponsoren vor einer ganzen Palette an neuen Produkten mit seinem Konterfei erzählt, dass er sich selbst bis zu diesem Moment ja noch nie als „Marke“ gesehen hätte, ist das natürlich zugleich auch ein ironischer Seitenhieb auf die „Cars“-Reihe selbst. Und tatsächlich konzentriert sich Regisseur Brian Fee anschließend erst einmal darauf, den Markenkern seines eigenen Franchises im wahrsten Sinne des Wortes zu demolieren: Nicht nur legt Lightning beim letzten Rennen der Saison einen hammerhart-spektakulären Crash hin, anschließend fährt er auch erst einmal eine Zeit lang ohne neue Lackierung mit einer bis aufs graue Metall abgeschliffenen Karosserie herum. Zu diesem „nackten“ Lightning wird sich nächstes Weihnachten bestimmt kein Kind das passende Spielzeugauto wünschen. Fee stellt dem klinisch sterilen Look der ultramodernen Trainings-Zentren eine regelrechte Ästhetik des Verfalls entgegen, die ihren Höhepunkt erreicht, als Lightning aus Versehen an einem dörflichen Destruction Derby teilnimmt, das von einem heruntergekommenen gelben Schulbus mit Nasenring dominiert wird – die sowohl abgefahrenste als auch spaßigste Szene des Films (zumal die NASCAR-artigen Ovalkurs-Rennen ja in „Cars“ immer ähnlich öde sind wie in der Realität).
Auch die anzüglichen Wortspiele der ersten beiden Teile (die in der deutschen Übersetzung sowieso oft nicht richtig funktioniert haben), weichen diesmal einem etwas feineren Humor, etwa wenn Cruz Ramirez ihren neuen Schützling im Rahmen ihres hochmodernen Trainingsprogramms zwischen asiatischen Entspannungsmethoden und extrem spezialisierten Gerätschaften (sie ist so etwas wie der Jürgen Klinsmann des „Cars“-Universums) dazu auffordert, er solle doch bitte jedem seiner Reifen einen eigenen Namen geben. Sowieso ist Cruz eine überzeugende Ergänzung an Lightnings Seite, selbst wenn der ihre Figur betreffende Twist im Finale zwar dramaturgisch Sinn ergeben mag, aber rein rennregeltechnisch dann doch mehr als nur ein paar Fragezeichen zurücklässt (da hätten sich die Drehbuchautoren ruhig ein wenig mehr Mühe geben können, etwa indem sie mit einem gewissen Augenzwinkern ein abgefahrenes Schlupfloch aus dem Regelwerk zaubern). Und warum ein Pixar-Film in der Regel mindestens 175 Millionen Dollar verschlingt, während etwa die Konkurrenz von Illumination Entertainment für einen Film wie „Ich – Einfach unverbesserlich 3“ nicht einmal halb so viel ausgibt, zeigt sich am besten in den Kollagen der Reisen quer durch Amerika von einer Rennstrecke zur nächsten – der hier erreichte Fotorealismus der verschiedenen animierten Landschaften ist schlicht atemberaubend.
Fazit: In „Cars 3: Evolution“ ist Lightning McQueen nicht länger ein junger Flitzer, sondern ein (zumindest für Spitzensportlerverhältnisse) alter Sack – das mag weniger Bettbezüge verkaufen, aber dem Film tut das jedenfalls nur gut.