Quentin Tarantino und Robert Rodriguez schöpfen seit Jahren mit vollen Händen aus dem schier endlosen Fundus alter B-Movies, die in den 70er und 80er-Jahren in den Bahnhofskinos liefen. Vor allem mit ihrem „Grindhouse“-Doppel huldigten sie dem ranzigen Charme der alten Billigproduktionen. Robert Rodriguez hat dies längst noch weitergespannt. Mit „Machete Kills“ driftet er bereits in ein postmodernes Pop-Universum ab, das mit der kruden Ästhetik der alten Filme rein gar nichts mehr zu tun hat – auch wenn er sich offensichtlich weiter mit ironischen Brechungen auf diese bezieht. Dem stellt Ravi Dhar nun „American Muscle“ entgegen. Sei in Testosteron getränkter Actioner ist ein kleiner dreckiger Film, der mit seinem Cocktail aus Sex und Gewalt wohltuend ernst gemeint ist. Damit tritt das Regie-Debüt punktgenau in die Fußstapfen der Filme der alten Schule.
John Falcon (Nick Principe) wird nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Zwei Gedanken haben ihn all die Zeit bei der Stange gehalten: die Sehnsucht nach seiner Ehefrau (Robin Sydney) und der Wunsch nach Rache an denen, die dafür verantwortlich waren, dass er in den Knast kam. Damals lief ein Raubüberfall schwer aus dem Ruder. Johns skrupelloser Bruder Sam (Todd Farmer) erschoss bei der Aktion unnötigerweise drei Menschen. Als die Polizei zum Tatort kam, waren alle Gangmitglieder weg – bis auf John, den sie angeschossen zurückließen und der daher die ganze Zeche für das Verbrechen zahlen musste. Doch nun ist der große Tag der Abrechnung gekommen. Mit einer Pump-Gun bewaffnet fährt John in seinem gelben Boliden durch die Wüste und stattet jedem einzelnen seiner ehemaligen Gangmitglieder einen Besuch ab. Am Ende wartet eine finstere Überraschung auf ihn...
Als Quentin Tarantino und Robert Rodriguez ihr aus „Death Proof“ und „Planet Terror“ bestehendes „Grindhouse“-Projekt vorstellten, sagte Tarantino in einem Interview, dass die alten B-Movies meist tolle Plakate hatten, aber aufgrund ihres geringen Budgets die derart geschürten Erwartungen oft nicht befriedigen konnten. Im Gegensatz dazu würden Rodriguez und er jetzt tatsächlich all das liefern, was man von „Grindhouse“-Filmen erwarten würde. Denn sie machten die „billigen“ Filme mit viel Geld. Regisseur Ravi Dhar hatte diesen Luxus nicht, aber es schadet ihm auch nicht. Er macht sich gar nicht erst die Mühe zu verschleiern, dass „American Muscle“ offenbar mit sehr bescheidenen Mitteln entstanden ist und trotzdem atmet er durchweg den Geist der alten Klassiker. Das fängt mit der knackigen Laufzeit von 75 Minuten an – auch die „Grindhouse“-Filme mussten meist so kurz sein, schließen liefen sie normalerweise im Doppelpack.
Dem Geist der alten B-Movie-Originale verpflichtet ist auch das Drehbuch von Autor und Schauspieler John Fallon („Death Race“), der sich sichtlich die größte Mühe gegeben hat, ein denkbar schlankes Story-Gerüst mit einem absoluten Maximum an Sex und Gewalt aufzufüllen. Dabei bleibt John auf seinem gnadenlosen Rachetrip zumindest für wilden Sex eigentlich denkbar wenig Zeit. Doch zum Glück trifft er immer wieder auf hilfsbereite Damen, die ihn nicht nur mit dem Auto mitnehmen oder spontan verarzten, sondern die sich auch noch für einen schnellen, schweißtreibenden Quickie anbieten. Kein Problem für John Falcon, den die Aura eines bis über beide Ohren mit Anabolika vollgepumpten und aus jeder einzelnen Pore Testosteron ausdünstenden Zuchtbullen umgibt. Im Gegensatz zu stoischen Kampfmaschinen vom Schlage eines Arnold Schwarzenegger ist John jedoch weder körperlich noch seelisch unverwundbar. Dass die Figur des John Falcon vom Drehbuchautor John Fallon mit größerer Liebe entworfen wurde, deutet sich bereits durch die Namensähnlichkeit an.
Autor Fallon ließ es sich zudem nicht nehmen, auch noch ein Gangmitglied zu spielen. Man mag es ihm nicht verdenken, denn „American Muscle“ ist ein Film, der rundum Spaß bereitet. Einfach herrlich ist es, wenn John Falcon bei gleißender Sonne in seiner röhrenden kanariengelben Ami-Kutsche und mit einer Pump-Gun als einzigem Gepäck durch die staubtrockene Wüste brettert. Sein todernster Gesichtsausdruck macht unmissverständlich deutlich, dass John keine Gefangenen macht. Hier werden nicht bloß Köpfe weggepustet, sondern es wird auch schon einmal eine Zunge herausgebissen und anschließend mit groben Boots platt getrampelt. Das ist bereits dermaßen over-the-top, dass man „American Muscle“ nicht wirklich ernst nehmen kann. Aber das besondere Vergnügen besteht darin, dass er trotzdem ernst erzählt ist. Die Macher bemüßigen sich nicht, in jeder Sekunde mit einem dicken Zaunpfahl zu winken, auf dem in fetten Lettern das postmodern-zwinkernde Wörtchen „Ironie“ eingeritzt ist. Dass dieses krude Spektakel natürlich auch schreiend komisch ist, darf der Zuschauer hier selbst entdecken.
Fazit: Der Retro-Actioner „American Muscle“ ist kurz und knackig, hart und dreckig, billig und blöd, völlig überdreht und einfach wahnsinnig gut!