Solange es Männer, Frauen und das Kino gibt, wird auf der Leinwand der Geschlechterkampf toben - und in der romantischen Komödie wird Frieden geschlossen. Die Filmgeschichte hat immer wieder gezeigt, dass die Regeln dieses Genres nahezu die eherne Gültigkeit eines Naturgesetzes haben und dass lediglich der Zeitgeist für kleine modische Abweichungen sorgt. Das ist nun auch am Beispiel von Marco Kreuzpaintners „Coming In“ zu beobachten. Wenn sich hier ein schwuler Star-Stylist in eine charmant-rustikale Kiezfriseurin verliebt und seine sexuelle Identität überdenkt, dann finden sich zwar einige traditionelle Geschlechterrollen zunächst einmal scheinbar auf den Kopf gestellt, aber am Ende wird einmal mehr das ewig gleiche Lied von der romantischen Liebe gespielt. Und das ist auch durchaus gut so, wenn die Protagonisten so prächtig harmonieren wie Kostja Ullmann und Aylin Tezel. Denn das ist in diesem Genre der Wunscherfüllung das Wichtigste: dass die Chemie zwischen den Leinwand-Liebenden stimmt.
Tom Herzner (Kostja Ullmann) ist nicht nur der Inhaber des angesagtesten Salons der Stadt und der Star-Coiffeur der Berliner Promi-Szene, sondern als offen homosexuell lebender Erfolgsmensch auch eine Ikone der Schwulenbewegung - was sein Kumpel Salvatore (August Zirner) als Herausgeber eines Queer-Magazins gern für sich nutzt. Als der Hair-Stylist eine neue Männer-Haarproduktlinie auf den Markt bringt, ist der Erfolg so durchschlagend, dass bald eine Serie für Frauen folgen soll - dazu rät ihm jedenfalls sein Manager und Lebensgefährte Robert (Ken Duken). Doch es gibt ein Problem: Tom hat nicht die blasseste Ahnung vom weiblichen Geschlecht. Zur Feldforschung heuert er also bei der deftigen Kiezfriseurin Heidi (Aylin Tezel) im „Bel Hair“ in Berlin-Neukölln an. Mit fieser Perücke auf dem Kopf und im Union-Berlin-Fußball-Trikot hilft er dort undercover aus und als schwuler Horst (so sein Tarnname) lernt er so viel über Frauen, dass er doch glatt zärtliche Gefühle für die chaotische, aber charmante Heidi entwickelt.
Regisseur Marco Kreuzpaintner („Krabat“) hat sein eigenes Coming Out schon lange hinter sich. So bekannte er 2004 bei der Premiere seines Films „Sommersturm“ auf dem Münchner Filmfest: „Ich bin selber schwul. ‚Sommersturm‘ ist aber nicht autobiographisch. Es gibt allerdings Schlüsselmomente, die ich eingebracht habe.“ Nach dem feinfühligen und ernsthaften Coming-Of-Age-Drama wechselt der Regisseur nun das erzählerische Fach und beschert uns eine federleichte Komödie über ein „spiegelverkehrtes“ Coming Out. Dabei trifft Kreuzpaintner den richtigen Ton und porträtiert die schwule Schickeria der Hauptstadt mit diversen Spleens und Macken, dabei bleibt aber auch die überdrehteste Klischeefigur immer charmant und behält einen Hauch von Bodenhaftung. Kreuzpaintner spielt ganz bewusst mit den gängigen Schwulenstereotypen und destilliert daraus eine Menge witzig-scharfer Dialoge voller Selbstironie sowie eine gute Portion klassischer Situationskomik. Genüsslich und mit Anlauf lässt der Regisseur die Universen von Schwulen und Heteros zusammenkrachen und amüsiert sich über die Kollateralschäden.
Das humoristische Herzstück des Films ist dabei die komplette Ulk-Episode um den Undercover-Friseur Horst. Wenn sich die Bilderbuchschwulen des Szene-Magazins über das zwischen hip und heruntergekommen wankende Neukölln („Warum nicht gleich Afghanistan?“) lustig machen oder ein köstliches Quantum Selbstironie („Der ist so schwul, dass er mit der Hand bügeln kann“) zeigen, dann ist „Coming In“ ein pures Vergnügen. Nur bei der Figur von Heidis Prollfreund Didi (Frederick Lau) schießen Autor Kreuzpaintner und seine Co-Autorin Jane Ainscough („Die Wolke“) deutlich über das Ziel hinaus. Das Klischee vom dumpfbirnigen Fußball-Fan wird hier so überzogen, dass niemand mehr auch nur ansatzweise nachvollziehen kann, warum Heidi mit dem Typen zusammen ist und ihn noch nicht längst entsorgt hat. Und als es auf der ausgedehnten erzählerischen Schlussgerade darum geht, die unvermeidlichen Komplikationen auf dem Weg zum ebenso unvermeidlichen glücklichen Ende abzuklappern, geht dem Film zunehmend der Schwung verloren.
Unterhaltsam ist „Coming In“ dennoch bis zum Ende und das liegt vor allem an Kostja Ullmann („Groupies bleiben nicht zum Frühstück“) und Aylin Tezel („Almanya - Willkommen in Deutschland“), die ein wunderhübsches Paar abgeben. Ullmanns Tom ist (auch sexuell) selbstbewusst, aber nicht arrogant. Er wirkt wie jemand, den nichts erschüttern kann, doch seine Begegnung mit dem Kiez-Original Heidi bringt seine Welt ins Wanken – und das ist kein Wunder, wenn man das Energiebündel Aylin Tezel erlebt (die im Übrigen nicht nur äußerlich ein wenig an „Keinohrhasen“-Star Nora Tschirner erinnert). Sie sprüht nur so vor Charme und scheint niemals stillzustehen: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Tom die Waffen streckt. Von den Nebenfiguren steuert vor allem August Zirner („Die Fälscher“) als überdrehter Chef des Schwulen-Szene-Magazins einiges an Schrulligkeit bei, Ken Duken („Northmen“) wiederum steht als Toms Partner für schleimige Seriosität (und schlägt sich als krasser komödiantischer Kontrapunkt zur lebenslustigen Sympathieträgerin Heidi tapfer), während Katja Riemann („Der bewegte Mann“) in ihrer kleinen Rolle als eisige Salon-Managerin gefällt.
Fazit: Marco Kreuzpaintners „Coming In“ ist eine charmante romantische Komödie mit viel Witz und prächtig harmonierenden Hauptdarstellern, aber die Möglichkeiten der spannenden Ausgangssituation werden nur ansatzweise ausgespielt.