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    Slow West
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Slow West
    Von Christoph Petersen

    Independent-Filme haben es sowieso schon extrem schwer, ein Publikum zu finden – und dann nennt John Maclean sein Regiedebüt auch noch wenig marketingtauglich „Slow West“, obwohl er darin in knackig-kurzen 84 Minuten radikal mit jeglicher romantisch-verklärten Vorstellung des Wilden Westens aufräumt: Als der 16-jährige Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee) im Jahr 1870 aus Irland nach Amerika kommt, um nach seiner großen Liebe Rose (Caren Pistorius) zu suchen, sieht er schnell ein, dass er in dieser unbarmherzigen Welt mit seiner vertrauensselig-optimistischen Art nicht lange überdauern wird. Und selbst als er den ruppigen Silas (Michael Fassbender) bezahlt, damit ihn dieser sicher an sein Ziel bringt, erhöhen sich seine Überlebenschancen nur minimal, denn der als Führer angeheuerte Kopfgeldjäger verfolgt seine eigene geheime Agenda. Die von Kameramann Robbie Ryan („Fish Tank“) grandios gefilmten Neuseeland-doubelt-Colorado-Panoramen wirken dabei mit ihrer freiheitversprechenden Schönheit fast, als würden sie die vorbeiziehenden Männer verhöhnen wollen.

    In der allerersten Szene des Films liegt Jay nachts Wache und zielt mit seinem Revolver auf Sterne, die daraufhin zu leuchten beginnen. Nur wenige Filmminuten später wird der unbedarfte Träumer mit derselben Waffe einer aus Verzweiflung stehlenden Frau aus kurzer Distanz in den Rücken schießen - und es wird keine große Sache sein, obwohl vor der Tür ihre zwei kleinen Kinder auf sie warten (sowieso gibt es in „Slow West“ keine fairen Duelle, sondern fast ausschließlich heimtückische Morde). Wenn es dann zum großen Finale kommt, hat der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnende John Maclean seinem Publikum genau wie Jay längst alle Illusionen ausgetrieben. Trotzdem gelingt es ihm, mit dem konkreten Ablauf der Ereignisse und vor allem der Rollenverteilung die Erwartungen der Zuschauer noch einmal konsequent zu unterlaufen und damit den letzten Sargnagel in die Idee des romantischen Helden zu schlagen. Achtung Spoiler: Immerhin trifft nicht nur Silas direkt aus der Ferne ein Scharfschützengeschoss, Jay wird sogar versehentlich von seiner Angehimmelten selbst niedergestreckt und sie bemerkt dann lange Zeit noch nicht einmal, wer da eigentlich gerade hinter ihr elendig verreckt. Spoiler Ende.

    Bis es zum finalen Feuergefecht kommt, folgt John Maclean einer klassischen Western-Dramaturgie – es geht von A nach B und zwischendrin gibt es allerlei Begegnungen und Hindernisse. Aber der Regisseur reichert „Slow West“ abgesehen von der atemberaubenden Kameraarbeit mit etlichen kleinen Kniffen an, die seinem Anti-Western eine ganz besondere Note verleihen (vom aschigen Wald nach dem Abbrennen eines Indianerzeltplatzes über die zwischen zwei Pferde gespannte Wäscheleine bis zur Entdeckung eines toten Holzfällers, der wie Wile E. Coyote in einem „Road Runner“-Cartoon mit ausgebreiteten Armen und Beinen unter einem von ihm geschlagenen Stamm zerquetscht wurde). Und mit seiner Besetzung hat der Regiedebütant ebenfalls voll ins Schwarze getroffen: Der schlaksige Kodi Smit-McPhee („Let Me In“) gibt Jay als hoffnungslos verliebten Optimisten, der sich nur eben leider in das falsche Filmgenre verirrt zu haben scheint, und Michael Fassbender legt in Sachen undurchsichtig-raues Charisma im Vergleich zu seinen Magneto-Auftritten in „X-Men: Erste Entscheidung“ und „Zukunft ist Vergangenheit“ sogar noch einen drauf.

    Fazit: Eine knackig-kurze, grandios gefilmte Dekonstruktion des romantisierten Wilden Westens.

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