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    The Program - Um jeden Preis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Program - Um jeden Preis
    Von Carsten Baumgardt

    Er hat unglaubliche Leistungen in seiner Disziplin vollbracht, aber heute ist er fast nur noch als der größte Betrüger der Sportgeschichte in Erinnerung: Lance Armstrong. Und so interessiert sich auch Regisseur Stephen Frears in seinem stimmigen biografischen Spielfilm „The Program – Um jeden Preis“ wesentlich mehr für die Täuschungen und Manipulationen des einstigen Superstars als für den Radsport, den dieser durch seine Machenschaften so nachhaltig in Verruf gebracht hat. Armstrong hat systematisch und professionell gedopt, die Öffentlichkeit mit einer schamlos erlogenen Erfolgsstory hinters Licht geführt und seine Machtposition ausgenutzt, um seine Fahrerkollegen unter Druck zu setzen. Als schließlich doch elf seiner ehemaligen Teamkameraden gegen den Texaner aussagten, wurde die Mauer des Schweigens endgültig zertrümmert. Wesentlich an den Enthüllungen beteiligt war auch der preisgekrönte irische Sportjournalist David Walsh, dessen Buch „Seven Deadly Sins“ Frears als Grundlage für seinen Film dient. Die persönliche Geschichte des Reporters wird in „The Program“ parallel zu Armstrongs Karriere erzählt und so wird aus dem Sportdrama über Aufstieg und Fall eines Helden immer stärker die Chronik eines Skandals und seiner Auswirkungen.

    Sportreporter David Walsh (Chris O‘Dowd) berichtet für die Londoner Sunday Times über die Tour de France, die bedeutendste Rad-Rundfahrt der Welt. 1993 trifft er erstmals auf Lance Armstrong (Ben Foster), einen 21-jährigen US-Fahrer mit großen Ambitionen, dem Walsh viel zutraut. Tatsächlich wird Armstrong schon im selben Jahr Straßenweltmeister, doch 1996 trifft ihn die Schockdiagnose: Hodenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Mit unbändigem Willen und einer extrem aggressiven Chemotherapie übersteht er die lebensbedrohliche Erkrankung und kämpft sich langsam in den Radsport zurück. 1999 gewinnt der Texaner seine erste Tour de France, diesen Triumph wiederholt er in den folgenden sechs Jahren. Walsh ist einer der wenigen, die der wundersamen Leistungssteigerung Armstrongs nicht trauen und stichelt immer wieder gegen den Superstar. Im eigenen Team US Postal wird Armstrong vor allem Floyd Landis (Jesse Plemons) gefährlich: Der Sohn einer mennonitischen Familie bekommt Gewissensbisse…

    „Die Story war so lange so perfekt. Du überlebst diese Krankheit, gewinnst die Tour sieben Mal, hast eine glückliche Ehe und Kinder. Das ist eine mythische, perfekte Geschichte. Sie war aber nicht echt.“ (Lance Armstrong)

    Mit dem Radsport hatte Regisseur Stephen Frears („Die Queen“, „Philomena“) eigentlich nicht viel am Hut – doch eines Tages stieß er auf ein Buch des Ex-Rad-Stars Tyler Hamilton, der einst mit Lance Armstrong in einem Team fuhr, und war sofort gebannt von dessen Geschichte. Der Filmemacher begann zum Thema zu recherchieren und landete schnell beim Journalisten David Walsh, der sich lange Zeit ausschließlich mit Armstrongs Weg befasste. Der Laie Frears hat sich akribisch in die Materie eingearbeitet, doch interessiert ihn vor allem das Beispielhafte von Armstrongs Aufstieg und Fall, die hier biblisch-monumentale Dimensionen bekommen: Der Texaner wird als dominantester, härtester und machthungrigster Radfahrer der Historie dargestellt, bei diesem Porträt einer in jeder Hinsicht extremen Figur spielen die sportlichen Details der dopingunterstützen Erfolge nur eine untergeordnete Rolle, die Rennen und ihre taktischen Feinheiten werden etwas stiefmütterlich behandelt. Frears arbeitet sich chronologisch von den ersten Profijahren Armstrongs über die furchtbare Krebserkrankung bis zum großen Comeback und zu den anschließenden Triumphjahren vor, die Charakterzeichnung des wahnsinnig ehrgeizigen Helden lässt die Entscheidung für das professionell aufgezogene Doping als plausibel erscheinen.

    Mit gutem Gespür für die festgefahrenen Machtstrukturen innerhalb des dopingverseuchten US-Postal-Teams macht Frears den Druck spürbar, unter dem die Fahrer standen – sowohl die Doper aus eigenem Antrieb, als auch die Kollegen, die zum Mitmachen genötigt wurden. Es herrschte eine ohrenbetäubende Stille im Fahrerfeld, ein auf Angst und Gier aufgebautes millionenschweres Unrechtssystem regierte den Sport. Wie dieses über lange Zeit erstaunlich effektive Kartell des Täuschens und Schweigens funktionierte, bringt uns der Film genauso nahe wie seinen allmählichen Zusammenbruch durch eine Lawine von Geständnissen und Enthüllungen, die schließlich auch den mächtigen König Armstrong stürzte. Seitdem steht der Radsport endgültig unter Generalverdacht und womöglich wird er sich nie so ganz von dem vergifteten Erbe seines einstigen Aushängeschilds befreien können: Wenn der Tour-de-France-Sieger von 2015, Chris Froome, die Berge in einem höheren Durchschnittstempo hochrast als die Doping-Heroen der 1990er und 2000er Jahre um Armstrong, macht das viele skeptisch – obwohl Froome nicht positiv getestet wurde.

    Die Handlung von „The Program“ erstreckt sich über anderthalb Dekaden, da gilt es, Schwerpunkte zu setzen. Frears widmet sich nur den wichtigsten Stationen von Armstrongs Werdegang und konzentriert sich bald auf dessen Betrüger-Geschichte und die Verstrickungen um Doping-Arzt Michele Ferrari (Guillaume Canet). Den größten dramatischen Sprengstoff liefern in dem zuweilen fragmentarisch wirkenden Film dann auch die Folgen von Armstrongs Handeln für andere und nicht das Schicksal der etwas unzugänglichen Hauptfigur selbst, der Ben Foster („Todeszug nach Yuma“) mit einer nahezu perfekten Verwandlung hauptsächlich äußerlich nahekommt. Mitfiebern und mitleiden lässt sich dagegen mit dem Journalisten Walsh (Chris O'Dowd als hartnäckiger Überzeugungstäter), der nach seinen Anschuldigungen zum Aussätzigen der Szene wird, und vor allem mit Armstrongs Mannschaftskollegen und Landsmann Floyd Landis. Der im Nachhinein wegen Dopings disqualifizierte Tour-de-France-Sieger von 2006 will das Richtige tun und hat schwer mit seinem Gewissen zu ringen, aber er verliert diesen Kampf und fällt ins Bodenlose. Jesse Plemons („Battleship“) verleiht seiner verzweifelten Figur, die Täter und Opfer zugleich ist, eine tragische Note – durch ihn bekommt der sonst etwas nüchterne Film eine nachfühlbare menschliche Dimension.

    „Ja, ich finde, ich habe diese Rennen gewonnen. Ich weiß, dass das keine populäre Antwort ist. Die Realität ist aber: Es war eine schlimme Zeit, ein Wettrüsten. Und wir haben alle dieses Spiel gespielt." (Lance Armstrong)

    Fazit: Er ist der Sportheld, der den Krebs besiegt hat und zum Superstar wurde – leider ist die märchenhafte Erfolgsgeschichte von Lance Armstrong erstunken und erlogen – das protokolliert Regisseur Stephen Frears in seinem Sportfilm „The Program“ mit Verve und Akribie.

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