Queere Themen und Figuren sind im Hollywood-Mainstream angekommen. Wer das nicht schon längst registriert hat, dem könnte es jetzt dämmern. Mit Roland Emmerich inszeniert nämlich ausgerechnet ein ausgewiesener Blockbuster-Experte mit Hang zur Gigantomanie die Geschichte eines der Schlüsselereignisse für die Lesben- und Schwulenbewegung. Sein Gesellschaftsdrama „Stonewall“ ist die erste Hollywood-Produktion über die gleichnamige Revolte in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969, die als Initialzündung der homosexuellen Selbstbefreiung gilt, und an die beim alljährlich begangenen Christopher Street Day erinnert wird. Für den offen schwul lebenden Emmerich, der hauptsächlich für Katastrophen-Spektakel wie „Independence Day“ oder „2012“ bekannt ist, handelt es sich bei dem Drama um ein Herzensprojekt, das er den „unbesungenen Helden“ von damals widmet. Ein kommerzieller Erfolg war ihm in den USA indes nicht beschieden, das eklatante Scheitern von „Stonewall“ an den dortigen Kinokassen ist wohl auch der reflexartigen Abwehrhaltung der queeren Gemeinde geschuldet, die das Projekt allein schon deshalb vorverurteilte, weil ein attraktiver weißer britischer Jüngling den (fiktiven) Protagonisten spielt, während die historischen Schlüsselfiguren in großer Mehrheit anderen ethnischen Gruppen und Spielarten innerhalb der queeren Community angehörten. Dass auch sie in „Stonewall“ Raum bekommen, steht auf einem anderen Blatt.
1969: Danny (Jeremy Irvine) besucht in einer ländlichen Gegend im US-Bundesstaat Indiana die Highschool. Dass er schwul ist, darf keiner wissen. Als zwei Klassenkameraden ihn bei einem Blow Job erwischen und für sein Outing sorgen, wird Danny von seinem Vater verstoßen und flüchtet in die New Yorker Christopher Street, wo die bunte LGBT-Gemeinde in Bars und Clubs feiert. Hier trifft er die lateinamerikanische Drag Queen Ray (Jonny Beauchamp), die sich mit anderen Street Kids durchschlägt. Leicht haben es die Lesben, Schwulen und Transsexuellen nämlich auch in der Metropole New York nicht. Die homophobe Gesetzgebung und die Willkür der Polizei setzen ihnen tagtäglich zu. Dennoch findet Danny immer mehr zu sich selbst und lernt durch den Aktivisten Trevor (Jonathan Rhys Meyers) auch die aufkommende Schwulenbewegung kennen. Während einer neuerlichen Razzia im beliebten Lesben- und Schwulenclub Stonewall Inn entlädt sich der aufgestaute Frust über die Polizeigewalt schließlich in einer nächtlichen Straßenschlacht mit den Ordnungshütern.
Roland Emmerich liefert kein historisch akkurates Reenactment der „Stonewall“-Geschichte, auch wenn die Schwarzweiß-Bilder vom Anfang eine gewisse Historizität suggerieren. Stattdessen kreiert er mit zahlreichen Nebenfiguren ein gesellschaftliches Panorama, das eher in die Breite als in die Tiefe angelegt ist. Die oft überdeutlichen Dialoge und die glasklare Figurenzeichnung lassen kaum Schattierungen zu, doch daran ist Emmerich auch nicht sonderlich interessiert, er gibt dem Stoff lieber eine ganz klare, eher simple Struktur. Im Zentrum steht der heimat- und orientierungslose Danny, wodurch „Stonewall“ in weiten Teilen zu einem Coming-of-Age-Drama wird. Die Vorgeschichte des Protagonisten wird in prägnanten Rückblenden aufgefächert, auf die unerwiderte Liebe Dannys zu seinem besten Freund, das Mobbing an der Schule oder die väterliche Abwehrhaltung wirft Emmerich jeweils ein Schlaglicht. Den Gegensatz zwischen Indiana und New York unterstreicht der Regisseur auch mit der Musikauswahl: Während eine melancholische Gitarre die Rückblenden begleitet, tanzt man im Big Apple zu ausgelassener Popmusik. Der Kontrast hat etwas Märchenhaftes und Archaisches, was die zahlreichen Verweise auf den „Zauberer von Oz“ (Judy Garland findet gleich mehrfach Erwähnung) noch unterstreichen, die sich leitmotivisch durch den Film ziehen.
Anders als sonst setzt Roland Emmerich bei „Stonewall“ auf eine ruhige Inszenierung, die von klassisch umgesetzten Dialogszenen mit Schuss und Gegenschuss bestimmt wird. Auch die Eskalation am Ende, die erstaunlich schnell abgehandelt wird, stilisiert der Filmemacher nicht zur Actionszene, stattdessen setzt er auf Besonnenheit und Zurückhaltung. In Epen wie „The Day After Tomorrow“ zählen die spektakulären Schauwerte, aber in „Stonewall“ rücken die Schauspieler in den Fokus: Während Jeremy Irvine („Gefährten“) in der Hauptrolle eine grundsolide Leistung zeigt, überzeugt insbesondere der Newcomer Jonny Beauchamp („Penny Dreadful“) als tragische Drag Queen, eine Darbietung, die Erinnerungen an Jared Letos Performance in „Dallas Buyers Club“ wachruft. Aus dem guten Darstellerensemble ragen zudem Jonathan Rhys Meyers („Match Point“) als gemäßigter Aktivist und Ron Perlman („Hellboy“) als mafiöser Clubbetreiber, der noch nicht ahnt, dass er schwul ist, heraus.
Im Internet prasselte schon auf den ersten Trailer zu „Stonewall“ ein veritabler Shitstorm hernieder: Roland Emmerich wurde vorgeworfen, das für die queere Gemeinde zentrale „Stonewall“-Ereignis weichzuspülen. Und ja: Natürlich ist der Film keine messerscharf-ungeschönte Analyse, stattdessen zimmert der Regisseur ein routiniertes Hochglanzdrama, in dem er die gesellschaftliche Stimmung von damals mit einfachen Mitteln vereindeutigt. Er setzt die queere Emanzipation explizit für ein Mainstream-Publikum in Szene, „Stonewall“ ist eben auch ein Film für Zuschauer, die womöglich nicht einmal wissen, auf welches Ereignis der Christopher Street Day Bezug nimmt. So gesehen leistet Emmerich Aufklärungsarbeit und wirbt auf seine Art für die Gleichstellung queerer Lebensentwürfe – und genau das ist es doch, was die Lesben- und Schwulenbewegung von Anfang an wollte.
Fazit: Roland Emmerich verwandelt die Geschichte von Stonewall in ein glattes Coming-of-Age-Drama für ein Mainstream-Publikum.