In seiner niederländischen Heimat ist der multitalentierte Alex van Warmerdam auch als Maler, Theatermacher und Romanschriftsteller bekannt, über die Landesgrenzen hinaus hat er aber vor allem mit seinen Filmarbeiten als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler für Aufmerksamkeit gesorgt. In schwarzen Komödien wie „Noorderlingen“ oder „Die letzten Tage von Emma Blank“ schaute er bereits hinter die Fassaden von Gutbürgerlichkeit und Familienleben, wo er allerlei Skurriles und Abgründe von Boshaftigkeit entdeckte. Mit seinem ungewöhnlichen Thriller „Borgman“ geht van Warmerdam nun noch einen Schritt weiter auf diesem Weg der subversiven Erkundung des alltäglichen Lebens. In diesem modernen Märchen dringt er bis in die finstersten Winkel des Wahnsinns vor und kreiert einen surreal-explosiven Albtraum-Film, der vor verrückten Ideen fast überquillt und das gebannte Publikum mit jeder Menge unbequemer und unbeantworteter Fragen zurücklässt. Dabei hat van Warmerdam, der hier auch wieder eine Nebenrolle als Schauspieler übernimmt, gelegentlich Mühe, seine wüste Story dramaturgisch zusammenzuhalten und auch der Erzählton seiner wilden Genre-Mischung ist nicht immer einheitlich – doch das bleibt bei einem so konsequent unkonventionellen Film nicht aus und tut seiner Wirkung keinen Abbruch.
Der langhaarige und vollbärtige Landstreicher Camiel Borgman (Jan Bijvoet) versucht sein Glück in einer noblen Vorstadtsiedlung. Doch der arrogante TV-Erfolgsproduzent Richard (Jeroen Perceval) hat nur Abscheu für den ungepflegten Mann übrig, der an seiner Haustür klingelt und darum bittet, ein Bad nehmen zu dürfen. Als ihn Borgman daraufhin ein wenig provoziert, landet Richards Faust im Gesicht des ungebetenen Gastes. Seine Frau Marina (Hadewych Minis) hat Mitleid mit dem Geprügelten und holt Borgman später heimlich ins Haus, damit er sich auskurieren kann: Von nun an ist das Leben von Richard, Marina, ihren drei Kindern Isolde (Elve Lijbaart), Rebecca (Dirkje van der Pijl) und Leo (Pieter-Bas de Waard) sowie Kindermädchen Stine (Sara Hjort Ditlevsen) nicht mehr dasselbe wie vorher. Zwischen Malerin Marina und dem weltgewandten Borgman entsteht getrieben durch eine seltsame Anziehungskraft so etwas wie Freundschaft. Als der Gärtner der Familie (Gene Vervoets) verschwindet, stellt sich Borgman als sein Nachfolger vor und bekommt die Stelle. Er engagiert einen Haufen seiner Freunde (u.a. Alex van Warmerdam, Tom Dewispelaere) und arrangiert den gesamten Gartenbereich mit schwerem Gerät neu…
Schon in der ersten Szene setzt Regisseur und Autor Alex van Warmerdam eine kräftige Duftmarke und zeigt, dass hier kein Formelkino zu erwarten ist: Drei wild entschlossene Männer, darunter ein Priester (Pierre Bokma), durchkämen einen Wald und machen Jagd auf einen scheinbar wehrlosen Mann, der sich in einer unterirdischen Grube im Gehölz versteckt hat. Sie wollen ihn töten – mindestens, besser kreuzigen! Warum das energische Trio so versessen darauf ist, den harmlos aussehenden Unbekannten zur Strecke zu bringen, davon erzählt van Warmerdam in der restlichen Spielzeit. Der vermeintliche Landstreicher hat etwas auf dem Kerbholz, soviel ist schnell klar. Aber welche Ziele dieser Borgman verfolgt, als er in das bisher so sorgenfreie Eliteleben von Richard, Marina und ihren Kindern einbricht, ist vorerst nicht zu erahnen, denn Regisseur van Warmerdam arbeitet mit doppeltem Boden. Hinter dem Schein - ein nach Anschluss und Menschlichkeit suchender Vagabund nistet sich im perfekten Leben einer perfekten Vorstadtfamilie ein – lauern ein bösartiger Subtext sowie ganz unterschiedliche Erzählebenen. So entpuppt sich „Borgman“ erst als fiese Satire auf das gutsituierte Spießbürgertum, dann aber auch als perfider Home-Invasion-Thriller, in dem die von der mysteriösen Titelfigur ausgehende Gefahr ständig spürbar ist, und schließlich als surrealer Horrortrip. Je verrückter, düsterer und abgefahrener es hier zugeht, desto besser wird der Film.
Van Warmerdam spielt ein manipulatives Spiel, indem er den letztendlich völlig skrupellosen Borgman erst einmal zum Sympathieträger aufbaut. Jan Bijvoet („The Broken Circle“) lässt unter der dreckverkrusteten Fassade des vermeintlichen Berbers einen charmanten Verführer zum Vorschein kommen, während Familienoberhaupt Richard wenig differenziert als Ekelpaket ausgestellt wird, was der Beziehung des penetranten Eindringlings zu der zwischen Helfersyndrom und Familienbeschützerin schwankenden Hausherrin Marina zusätzliche Spannung verleiht. In zynisch-lakonischem Ton, mit viel grotesk-schwarzem Humor und psychologisch ausgefeilt erzählt van Warmerdam von menschlichen und gesellschaftlichen Abgründen. Dabei demonstriert er, wie leicht auch gute Seelen letztlich zu korrumpieren sind, wie anfällig die Menschen als Einzelpersonen und als Kollektiv dafür sind, einem Kult zu verfallen. Dabei überlässt es der Regisseur dem Betrachter, Borgman und seine kompromisslosen Schergen moralisch oder politisch zu verorten – das gibt dem Werk, durch das mehr als ein Hauch von „Die Körperfresser kommen“ weht, eine universell-allegorische Ebene und zugleich bekommt der Film durch den Verzicht auf einen Schwarzen Peter etwas Perfide-Provokantes. Man wird als Zuschauer mit seinen eigenen Vorurteilen zu Themen wie Ehebruch, Diskriminierung von Minderheiten, Korruption und Klassendenken konfrontiert und fühlt sich im Verlauf des zunehmend abgedrehten Geschehens fast wie hypnotisiert – als wäre man einer der Vorstadtbewohner im Film.
Fazit: Alex van Warmerdams surrealer Home-Invasion-Schocker „Borgman“ ist eine vor Überraschungen sprühende, verstörende Fabel, die unter die Haut geht – ein vielschichtiges, wüstes und ungemein böses Genre-Glanzstück.