Der Spagat zwischen Satire und klassischem Sonntagabendkrimi glückte in den vergangenen Jahren zwar nicht immer so gut wie zu Anfangszeiten – doch wenn gelacht werden darf, kommt der „Tatort" in der Regel aus Münster. Das Erfolgsduo Frank Thiel (Axel Prahl) und Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), das zuletzt mit „Summ, summ, summ" wieder eine herausragende Rekordquote auf Länderspielniveau einfuhr, sieht sich mittlerweile aber Konkurrenz ausgesetzt: Auch Saarbrücken versucht sich seit Januar 2013 an einem „Tatort" mit humorvoller Grundausrichtung. „Melinda", in dem Devid Striesow („Die Fälscher") zum ersten Mal als Kommissar Jens Stellbrink zu sehen war, erntete zum Auftakt jedoch ein vernichtendes Medienecho – was den Hauptdarsteller dazu bewog, gebetsmühlenartig den Stolz auf seine skurrile Figur und das gewagte Konzept des Saarländischen Rundfunks zu betonen. So mutig dieser ironische Ansatz sein mag: Auch der Nachfolger „Eine Handvoll Paradies", den wie schon den Vorgänger der mehrfach „Tatort"-erprobte finnische Regisseur Hannu Salonen („Vasha") inszenierte, krankt an einem entscheidenden Problem: Er ist nicht ansatzweise spannend oder witzig.
An einer Landstraße finden die Hauptkommissare Jens Stellbrink (Devid Striesow) und Lisa Marx (Elisabeth Brück) die Leiche von Rüdiger „Rüde" Sutor (Claude-Oliver Rudolph), einem einflussreichen Mitglied der ortsansässigen Rockergang „Dark Dogs". Wurde er das Opfer eines Bandenkriegs? In der Nacht des Mordes wurde das Clubhaus der Biker von einer rivalisierenden Gang beschossen. Stellbrink und Marx beißen bei ihren Nachforschungen auf Granit, denn die Rocker, die von dem skrupellosen Bandenchef „Mutti" (Thomas Kautenburger) angeführt werden, regeln Streitigkeiten lieber unter sich und werden von Rechtsanwalt Johannson (Rainer Furch) schnell aus der Schusslinie manövriert. Zudem wird das ungleiche Ermittlerduo von Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) an die Kette gelegt: Diese hat nämlich ganz andere Ziele, sind ihr die lukrativen Drogengeschäfte der „Dark Dogs" schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Daher hat die Juristin einen verdeckten Ermittler in die Rockerkreise eingeschleust...
„Eine Handvoll Paradies" an gewöhnlichen „Tatort"-Maßstäben zu messen, ist eigentlich kaum möglich, denn die 869. Ausgabe der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe hat mit einem Krimi der klassischen Sorte so viel gemeinsam wie Horst Schimanski mit Charlotte Lindholm. Der Saarländische Rundfunk geht mit seinem aktuellen Ermittlerteam, das 2012 im Zuge einer medialen Schlammschlacht Franz Kappl (Maximilian Brückner) und Stefan Deininger (Gregor Weber) ablöste, einen radikalen neuen Weg: Mit normalem Präsidiumsalltag hat Hauptkommissar Stellbrink herzlich wenig am Hut, die Täterfrage ist zweitrangig, und die Spannungskurve schlägt nur in Ausnahmefällen nach oben aus. Einzig das gewohnte Whodunit-Konstrukt von Drehbuchautor Felice Götze folgt den etablierten Prinzipien des populären Sonntagabendkrimis. Diese ungewöhnliche Neuausrichtung wäre zu verkraften, wenn der als leicht verdauliche Krimikomödie konzipierte „Tatort" zumindest eine Handvoll guter Gags im Petto hätte – doch bissiger Dialogwitz oder sorgfältig vorbereitete Pointen sind von Minute 1 bis 90 schlichtweg nicht vorhanden.
Der clowneske Stellbrink, der schon in „Melinda" mit thailändischen Wickelhosen und Yoga-Übungen für Verwirrung sorgte, ist als Staatsdiener mit Ermittlungsauftrag zu keinem Moment des Films ernst zu nehmen, der konstruierte Konflikt mit seiner Vorgesetzten letztlich völlig bedeutungslos. Der Hauptkommissar ist ohnehin ständig allein unterwegs, stellt die mit Sonnenbrillen und Kutten ausgestatteten Bilderbuch-Biker unbeholfen zur Rede und flitzt mit antikem Schutzhelm auf seinem pinken Roller durch malerische Wald- und Wiesenlandschaften. Lebt der Münsteraner „Tatort" trotz unverkennbarer Verschleißerscheinungen noch immer von seinem sympathischen Figurenkonzept, funktioniert dieses in Saarbrücken von vorne bis hinten nicht: Außer Knalltüte Stellbrink wird kein Ermitler mit nennenswertem Tiefgang unterfüttert. Lara-Croft-Verschnitt Lisa Marx bleibt auch bei ihrem zweiten Einsatz austauschbare Stichwortgeberin. Sandra Steinbach („Das unsichtbare Mädchen"), die nach der Erstausstrahlung von „Melinda" in den sozialen Netzwerken übel abgewatscht wurde, nervt hingegen auch bei ihrem zweiten Auftritt als kühle Staatsanwältin und ist schauspielerisch zudem nicht immer auf der Höhe.
Das Abarbeiten müder Biker-Klischees ist wie schon in den jüngsten Hannoveraner „Tatort"-Folgen „Wegwerfmädchen" und „Das goldene Band" ein zusätzliches Ärgernis. Der hollywooderprobte Claude-Oliver Rudolph („James Bond 007 – Die Welt ist nicht genug"), der in Dieter Wedels sechsteiligem TV-Kiezdrama „Der König von St. Pauli" als Chinesen-Fiete in einer ähnlichen Rolle zu sehen war, wird nach einem charismatischem Kurzauftritt als Auftaktleiche völlig verschenkt und hätte dem „Tatort" als Anführer der Motorradgang deutlich besser zu Gesicht gestanden. So kämpft Thomas Kautenburger, der bereits zum vierten Mal in der Krimi-Reihe zu sehen ist, eineinhalb Stunden lang vergeblich gegen seinen furchtbar dämlichen Spitznamen „Mutti" an und wirkt als Rockerchef auf seiner Bikerschüssel so furchteinflößend wie ein Vorschüler auf einem Fahrrad mit Stützrädern. Den Gipfel der quälend unkomischen Albernheiten bildet eine groteske Alptraumsequenz, in der Stellbrink nach schmerzhaftem Knock-Out als tätowierter Biker mit Lederkutte zu sehen ist, ohne dabei auch nur eine Sekunde lang witzig zu sein.
Fazit: Der Saarländische Rundfunk macht mit „Eine Handvoll Paradies" genau da weiter, wo er mit „Melinda" aufgehört hat. Das Ergebnis ist eine einzige Katastrophe: Auch der zweite Einsatz von Stellbrink und Marx entpuppt sich als entsetzlich witzloses Klamaukfeuerwerk und steigert den Drang zum Umschalten mit jeder Minute. Die Macher bleiben dem Konzept trotzdem treu. Auch für die dritte Folge „Adams Alptraum" – erneut inszeniert von Hannu Salonen – soll wieder Komödie und Krimi gemischt werden.