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    Everest
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Everest
    Von Carsten Baumgardt

    Der Mount Everest ist mit 8.848 Metern der höchste Berg der Welt und übt als solcher eine besondere Faszination auf die Menschen aus. Und so sterben auf keinem anderen Achttausender mehr Bergsteiger als hier, dabei ist der Himalaja-Gipfel nicht einmal der technisch schwierigste – nur ist die schiere Anzahl der Profi- und Hobby-Kletterer, die dem Mythos nicht widerstehen kann, so groß, dass insgesamt schon mehr als 200 Menschen bei diesem Extrem-Abenteuer ums Leben gekommen sind. Das Phänomen des „Massentourismus“ am Rekord-Gipfel spielt in Baltasar Kormákurs („Contraband“) elektrisierendem Bergsteiger-Drama „Everest“ allerdings ebenso wie die hinterher aufgekommenen Kontroversen um die geschilderten Geschehnisse nur eine untergeordnete Rolle. Der isländische Regisseur konzentriert sich bei seiner packenden Schilderung eines der verheerendsten Aufstiege am Mount Everest, bei dem am 10. und 11. Mai 1996 zwölf Menschen ihr Leben ließen, auf den archetypischen Zweikampf zwischen Mensch und Natur.

    Der erfahrene neuseeländische Höhenbergsteiger Rob Hall (Jason Clarke) ist der Kopf des Unternehmens Adventure Consultants, einer kommerziellen Organisation, die Amateur-Bergsteigern gegen die Zahlung von 65.000 Dollar die Besteigung des Mount Everest ermöglichen will. Gemeinsam mit seinen beiden Bergführern Mike Groom (Thomas M. Wright) und Andy Harris (Martin Henderson) sowie einem Team von heimischen Sherpas startet Hall am 30. März 1996 mit einer Gruppe von acht zahlenden Kunden eine Expedition auf das Dach der Welt. Unter den Klienten sind der texanische Pathologe Beck Weathers (Josh Brolin), der Postbote Doug Hansen (John Hawkes), die japanische Fed-Ex-Personalchefin Yasuko Namba (Naoko Mori) und der Journalist Jon Krakauer (Michael Kelly), der für das Outside Magazine einen Bericht über die Expedition schreiben soll. Nach mehreren Wochen der Akklimatisierung will Halls Gruppe am 10. Mai den Gipfelaufstieg bei gutem Wetter über die Südroute aus 7.900 Metern Höhe in Angriff nehmen. Es ist viel Betrieb an jenem Tag, so schließt man sich schließlich mit dem Mountain-Madness-Team von Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) zusammen, um Staus an engen Passagen besser zu entgehen. Doch der Gipfelsturm endet in einer Tragödie.

    „Der Everest ist ohne Zweifel der gefährlichste Ort auf der Erde.“ Das sagte der echte Rob Hall seiner Gruppe von ambitionierten Amateur-Bergsteigern am Anfang der sich später als desaströs erweisenden Expedition. In den 90er Jahren hat sich der vieldiskutierte Everest-Tourismus am Berg etabliert: Zahlungskräftige Hobby-Abenteurer legen zwischen 40.000 und 70.000 Dollar für den Rundum-Service auf den Tisch. Dass die Saison 1996 (das jährliche Zeitfenster für eine Besteigung des höchsten Gipfels der Welt beträgt klimabedingt nur rund zwei Wochen) so schlimm endete wie nie zuvor, hatte eine ganze Kaskade von Gründen – ein fataler Wetterumschwung, falsche Entscheidungen, überforderte Hobby-Bergsteiger und schlichtes Pech. Das mediale Echo auf diese Katastrophe in der sogenannten Todeszone über 8.000 Meter, wo der Sauerstoffanteil so gering ist, dass Menschen dort nicht lange überleben können und jeder Schritt unglaublich beschwerlich wird, war enorm - Dutzende Publikationen wurden ihr gewidmet, das beste und bekannteste Buch steuerte der Journalist und Bergsteiger Jon Krakauer bei, der das Adventure Consultants-Team begleitete. Sein Bestseller „In eisigen Höhen“ dient neben einigen anderen Sachbüchern zu dem Thema als Vorlage für Baltasar Kormákurs Filmversion.

    Wenn man ein Budget von immerhin 65 Millionen Dollar zur Verfügung hat, erwächst daraus auch eine Verpflichtung, sich nicht nur an ein Expertenpublikum zu richten (wer sich speziell für dieses Thema interessiert, schaut die drei Staffeln der grandiosen Doku-Serie „Everest“), sondern auch an jene Zuschauer, die wenig bis gar nichts vom Bergsteigen verstehen. Es ist dem Film anzumerken, dass Kormákur Fachleute wie Laien gleichermaßen begeistern will und dieser Spagat gelingt dem Isländer meist erstaunlich gut. Wenn die Protagonisten hier etwa viel zu oft ihre Sonnenbrillen absetzen, obwohl man nach 20 Minuten ohne Schutz schon schneeblind ist oder sie sich ihrer Sauerstoffmasken entledigen, die sie in der Todeszone über 8.000 Meter tragen müssen, um sich überhaupt fortbewegen zu können, dann sind das kleinere Zugeständnisse an die erzählerische Klarheit, denn immerhin können wir die einzelnen Akteure so viel besser unterscheiden. Aber der Ablauf des Geschehens ist weitgehend getreu der aus mehreren Quellen überlieferten Tatsachen nachgestellt, die dramaturgischen Eingriffe halten sich im Rahmen. Politisch hält sich Kormákur zurück, die nach der Katastrophe entbrannten Kontroversen - vornehmlich um die umstrittene Rolle von Mountain-Madness-Bergführer Anatoli Boukreev, der sich weigerte, künstlichen Sauerstoff zu benutzen, schnell abstieg, aber später bei der Rettungsmission aktiv war – werden angerissen, aber die Filmemacher enthalten sich jeder Schuldzuweisung.

    Das Ur-Problem eines solchen Films (These: Schauspieler können nicht klettern, Bergsteiger nicht schauspielern) hat der Regisseur durch effektive Schnitte gut gelöst: Die Aktionen der Hollywoodstars wirken natürlich, die Szenen am Berg (gedreht in den Alpen, auf Island und am Mount Everest) strahlen eine majestätische Urgewalt aus (das 3D kommt bis auf wenige Ausnahmen eindrucksvoll zur Geltung) und wirken zugleich intim, sodass die Schauspieler zur Geltung kommen können. So kann Kormákur die Dynamik des dramatischen Geschehens Ereignisse von Minute zu Minute entfalten – bis die Nerven des Publikums bis zum Zerreißen gespannt sind. Zum Unglückszeitpunkt befanden sich 34 Bergsteiger auf der Gipfelroute, dieser Figurenfülle kann Kormákur in zwei Stunden Spielfilm natürlich nicht gerecht werden. Er konzentriert sich auf wenige Protagonisten und integriert dafür zwei Ehefrauen der Teilnehmer (Keira Knightley spielt Rob Halls Frau, Robin Wright die von Beck Weathers), die nicht am Berg dabei sind, in die Handlung. Das erweist sich als emotional stimmige Ergänzung, ohne das zentrale Drama in der Wildnis in seiner unmittelbaren Wucht zu beeinträchtigen.

    Die oft dick verpackten Schauspieler holen unter den harten Bedingungen das Beste heraus: Jason Clarke („Zero Dark Thirty“) legt die Hauptfigur Rob Hall als zuverlässigen, gutmütigen und fürsorglichen Bergführer an, der bei seinem fünften Aufstieg zum Everest-Gipfel alles daran setzt, seine Kunden zufriedenzustellen. Scott Fischer nennt den freundlichen Hall etwas spöttisch einen „Händchenhalter“: Der Gegenentwurf des Protagonisten ist in Jake Gyllenhaals („Nightcrawler“) Darstellung so etwas wie ein Rock N‘ Roller der Berge – der größte Star in der Besetzung zeigt in der Nebenrolle Präsenz und Rebellen-Charisma. Auch Josh Brolin („No Country For Old Men“) überzeugt als kletternder Arzt Beck Weathers, der zwischen Schwäche, Angst und großen Träumen pendelt, während der restliche Cast mit Hochkarätern wie Emily Watson („Punch-Drunk Love“), John Hawkes („Winter’s Bone“) und Sam Worthington („Avatar“) in jeweils nur wenigen Szenen gekonnt zu einem stimmigen Gesamtbild beiträgt.

    Fazit: Regisseur Baltasar Kormákur gelingt mit seinem packenden 3D-Bergsteiger-Drama „Everest“ die schwierige Gratwanderung zwischen der realistischen Nachstellung einer Tragödie und einem unterhaltsamen Abenteuerfilm.

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