Als der Schauspieler Pierre Niney vor einigen Jahren einen Anzug für eine Hochzeit brauchte und nicht wusste, was er da nehmen sollte, haben ihm Freunde empfohlen, etwas von „YSL“ zu tragen – das sei der Inbegriff von Klasse und Eleganz. Damals war dem Mode-Muffel Niney das Kürzel und Markenzeichen der 2008 verstorbenen Designer-Legende Yves Saint Laurent nicht geläufig und er glaubte, die Buchstabenfolge stünde für eine Kleidergröße. Das gestand der Jungdarsteller vom renommierten französischen Nationaltheater Comédie-Française in einem Interview. Niney hat seine Wissenslücken inzwischen geschlossen und verkörpert den ihm einst nicht recht bekannten Titelhelden von Jalil Lesperts Biopic „Yves Saint Laurent“ mit ebenso viel Engagement wie Einfühlungsvermögen; diejenigen Zuschauer aber, denen es ähnlich geht wie dem anzugsuchenden Mimen damals, haben auch nach dem Film nur eine sehr vage Idee von der Kunst des porträtierten Modeschöpfers. Etwas klarer zeichnen sich immerhin die inneren Dämonen und die äußeren Widerstände ab, mit denen der homosexuelle Protagonist zu kämpfen hatte – und dieses Ringen ist dann auch der spannendste Part dieser edel ausgestatteten, aber überaus konventionell erzählten Filmbiografie – „Yves Saint Laurent“ ist ein Seherlebnis, das sich zuweilen anfühlt, als würde man etwas achtlos durch ein schickes Hochglanz-Magazin blättern.
Yves Saint Laurent (Pierre Niney), Sprössling einer französischen Familie in Algerien, zeigt schon in jungen Jahren ein gutes Auge und ein tadelloses Stilbewusstsein, was ihn alsbald in die Haute-Couture-Hauptstadt Paris führt, wo er schnell zur rechten Hand des Modezaren Christian Dior (Patrice Thibaud) aufsteigt. Als sein Mentor 1957 überraschend stirbt, wird der erst 21-jährige Saint Laurent an die Spitze des Hauses Dior befördert. Allen Unkenrufen zum Trotz erweist sich seine erste Kollektion als Triumph, zugleich nimmt auch sein Privatleben eine entscheidende Wendung, als er den Künstler-Agenten und Geschäftsmann Pierre Bergé (Guillaume Gallienne) kennenlernt. Yves gibt seine Hochzeitspläne mit dem Model Victoire Doutreleau (Charlotte Le Bon) auf und zieht mit Pierre zusammen. Als er 1960 jedoch den Einberufungsbefehl zum Militärdienst im Algerien-Krieg erhält, erleidet Yves einen Nervenzusammenbruch. Er wird in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert und vom Dior-Management fallengelassen. Pierre indes hält zu seinem Geliebten, verklagt Dior und sucht nach Investoren für ein eigenes Yves-Saint-Laurent- Modeunternehmen…
„Yves Saint Laurent“ basiert in Teilen auf der voluminösen gleichnamigen Biografie von Laurence Benaïm, eine mindestens ebenso wichtige Quelle war aber Pierre Bergé selbst. Saint-Laurents Lebenspartner über Jahrzehnte gab nicht nur sein Einverständnis zu Lesperts Projekt, sondern gewährte auch Einblick in private Dokumente und ermöglichte, dass Original-Kleider (inzwischen echte Museumsstücke) für den Film verwendet werden konnten. Die Liebesgeschichte zwischen dem schüchternen, launenhaften, kreativen Genie mit Drogenproblem und dem selbstbewussten Machertypen und Strippenzieher ist das Herzstück des Films und sie wird vor allem dank der Schauspieler lebendig: Wie Pierre Niney („It Boy – Liebe auf französisch“) Scheu und Arroganz, Hilflosigkeit und Egoismus in einer Darstellung von diskreter Unverblümtheit vereint, ist eindrucksvoll, vor allem die zugleich verlegen und kokett wirkende Sprechweise trifft er genau. Er sorgt dafür, dass aus dem Mythos YSL eine wahrlich schillernde Figur aus Fleisch und Blut wird; ihm steht mit Guillaume Galliennes („Maman und Ich“) Bergé ein scheinbar unerschütterlicher Fels in der Brandung gegenüber, der sich bei einigen unerwarteten Ausbrüchen als tief leidenschaftlicher Gefühlsmensch erweist.
So sehr das intime Porträt der beiden Figuren im Zentrum der Handlung zumindest streckenweise überzeugt (mit Glanzpunkten wie einer Kuss-Szene am Ufer der Seine und den Momenten von Wut, Eifersucht und Enttäuschung rund um eine „Indiskretion“ Pierres), so unbefriedigend fällt die Darstellung der Kunst Saint Laurents aus. Im Dialog sagt der Protagonist selbst einmal, was er tue, sei keine Kunst, aber egal wie man seine schöpferische Arbeit bezeichnet, von dem was sie befördert oder beflügelt hat, ist hier wenig zu spüren. Da fällt sein Blick einmal auf ein Bild von Piet Mondrian und nach dem Schnitt sehen wir die berühmte Kreation, die von dem Maler inspiriert wurde. Zugleich gibt uns Lespert kaum eine Gelegenheit die Kleider wirklich zu betrachten, auch nicht in den großen Modenschau-Sequenzen. Dort wird zwar bis zum etwas willkürlich gesetzten finalen Höhepunkt, der Präsentation der berühmten „Ballets russes“-Kollektion 1976, nach der nur noch ein knapper Epilog mit dem sterbenden Saint Laurent folgt, viel Aufwand getrieben und sogar der Original-Musikauswahl gefolgt, aber wenn Lespert YSL zu den klagenden Klängen der Callas im Schlaglicht der Scheinwerfer zur Leidensfigur stilisiert, verschleiert er mehr als er enthüllt.
Mit solchen oberflächlichen Zuspitzungen entwertet der Regisseur auch die aufwendige historische Recherche und die minutiöse Arbeit des Ausstattungsteams ein wenig. Aus dem hübsch anzusehenden Bilderbogen wird viel zu selten so etwas wie filmische Wirklichkeit, dafür ist „Yves Saint Laurent“ zu unfokussiert und sprunghaft erzählt. So ist der Film nur eine eilige kleine Stilgeschichte für besonders Aufmerksame: Sonnenbrillen, Badehosen, Hüte, Frisuren, Möbelstücke, alle möglichen Accessoires und natürlich YSLs Schöpfungen, wohin man blickt, dazu Luxus-Appartements in Paris sowie Residenzen in Oran und Marrakesch. Fehlende Opulenz lässt sich dem Film wirklich nicht vorwerfen, aber kaum einmal kommen die Dekors und Ausstattungsstücke wirklich zu sich selbst, entwickeln Charakter oder Eigenleben – sie bleiben immer tote Kulisse und das ist fatal in einem Film über einen Mann, dem die Eleganz gleichsam zur zweiten Haut wurde. Dass Lespert wiederum den politischen Veränderungen in den zwei Jahrzehnten der Handlung ähnlich unentschieden bis gleichgültig gegenüber zu stehen scheint wie sein Protagonist (der den protestierenden 68ern schicke Arbeiteruniformen schneidern will) und dass er auch auf die Kunst- und Modeszene, in der Saint Laurent verkehrt (Warhol huscht einmal durchs Bild und Nicolai Kinski als Karl Lagerfeld sieht man immerhin im Hintergrund das Tanzbein schwingen) nicht ernsthaft eingeht, gibt dem sehr beliebig wirkenden Film auch kein deutlicheres Profil.
Fazit: Das weitgehend leblose Biopic „Yves Saint Laurent“ wird seiner Titelfigur trotz einer fulminanten Performance von Hauptdarsteller Pierre Niney nur zu sehr kleinen Teilen gerecht.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.