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    The Sacrament
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Sacrament
    Von Tim Slagman

    Found-Footage ist schon länger der Erfolgstrend im Horrorgenre. „Blair Witch Project“ von 1999 war damals der Auslöser und ist auch weiter die nur selten erreichte Blaupause. Mit dem reduzierten Einsatz der damals noch ungewöhnlichen Inszenierungsstrategie für Schockeffekte und vor allem der konsequenten Verweigerung erlösender oder erklärender Bilder gelang es den Regisseuren Daniel Myrick und Eduardo Sanchez das Publikum grundlegend zu verstören. So desorientierend wie in dem modernen Klassiker war Found-Footage-Horror davor wie danach kaum wieder zu erleben. Der ursprünglich auch ästhetisch motivierte Inszenierungskniff wird heute vor allem eingesetzt, um das Budget zu senken und erzählerische Schwächen zu übertünchen. Doch Ti West („The House of the Devil“) macht es besser. Sein ohne übernatürlichen Schnickschnack auskommender Psychothriller „The Sacrament“ ist ein richtig guter Found-Footage-Film – unheimlich und ziemlich drastisch.

    Die Journalisten Sam (AJ Bowen), Jake (Joe Swanberg) und Patrick (Kentucker Audley) verschlägt es aus unterschiedlichen Motiven zur Kommune Eden Parish, wo einige Menschen, darunter auch Patricks Schwester Caroline (Amy Seimetz), friedlich ihren Garten bestellen und scheinbar in Harmonie und Gleichheit leben. Ein wenig gleicher als die anderen ist lediglich „Vater“ (Gene Jones), der Begründer der Gemeinschaft, der Reporter Sam in einem Interview vor allen seinen Anhängern auflaufen lässt – scheinbar sanft, aber mit einer latenten Grausamkeit. Mit der Zeit finden die Besucher heraus, dass sich wohl doch nicht alle Mitglieder von Eden Parish so ganz freiwillig dort aufhalten. Und dann müssen sie lernen, wozu der ach so barmherzige Vater in Wahrheit fähig ist.

    Ti West lehnt sich an ein bestimmtes, erschütterndes historisches Ereignisse an, das zu nennen und zu kennen, allerdings einen Spoiler zum Handlungsverlauf darstellt. Wobei dieser hier immerhin nicht so stark ins Gewicht fällt, weil es der Regisseur nicht auf eine Wendung mit Knalleffekt abgesehen hat. Er beschreitet nämlich gerade nicht den klassischen dramaturgischen Weg von schleichender Eskalation oder bombastischer Überraschung – auch wenn die Bildsprache dies zu Beginn andeutet. Es fängt mit genre-typischen Establishing Shots an, bei denen sich noch die Zeit genommen wird, die Schönheit der Landschaft zu feiern. Doch umso unsicherer die Kamera zu wackeln beginnt, umso gefährlicher wird es. Das Bedrohliche ist diesem Idyll von Anfang an eingeschrieben, in all den kleineren und größeren Dissonanzen, die West ins Bild rückt. Es gibt Wachen mit Gewehren, die den Weg nach Eden Parish kontrollieren. Es gibt Kinder, die gerne mit den Neuankömmlingen sprechen möchten, es aber irgendwie nicht dürfen. Es gibt die Spitzen, die Vater im Interview in die Richtung des Fragestellers feuert. Es gibt seltsame, womöglich verpflichtende Besuche junger Gemeindemitglieder in seinem Wohnbereich zu später Stunde…

    Wer will, kann auch schon den Verweis auf das VICE-Magazin, den Auftraggeber der Journalisten im Film, als düstere Vorahnung verstehen. Das berühmte Lifestyle- und Jugendmagazin - wie Horror-Guru Eli Roth („Hostel“) an der Produktion von „The Sacrament“ beteiligt – wird auf der firmeneigenen Website als „definitive guide to enlightening information“ angepriesen. Da steckt natürlich eine ganze Menge Ironie drin. Wenn dann Journalisten, die diese Firmenpolitik verkörpern, mit einem handfesten Abgrund an Verbohrtheit und mörderischem Starrsinn konfrontiert werden, kann das nicht gut ausgehen. Und im Horrorfilm weist ein solches Aufeinandertreffen natürlich direkt gen tödlichen Abgrund. Die Kulmination inszeniert West dann drastisch und auch etwas zu spekulativ, was aber zu seinen Protagonisten passt. Denn schließlich gebietet es die Chronistenpflicht der Reporter niemals den Blick abzuwenden. Höhepunkt ist dann eine grandiose Szene, in der – ohne zu viel verraten zu wollen – der grausam-quälend intensive Kampf mit falscher Liebe und dem Tod auf eine Weise präsentiert wird, wie er im Kino selten zu sehen war.

    Fazit: Ti West entfernt sich mit „The Sacrament“ thematisch wie ästhetisch weit von seinen bisherigen Arbeiten. Die unterschwellige Bedrohung in einer sektenähnlichen Außenseiter-Gemeinschaft inszeniert er meisterhaft und bringt sie in einem bisweilen etwas spekulativen Finale dann zur Explosion.

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