Europas Ruf hat gelitten! Das berichtete der nordirisch-amerikanische Hollywoodstar Liam Neeson ironisch auf der Pressetour zur Action-Fortsetzung „96 Hours - Taken 3“. Nachdem sie die ersten beiden Filme gesehen hätten, würden viele amerikanische Eltern ihre Kinder nicht mehr auf Klassenreisen in die Alte Welt schicken wollen - aus Angst vor Entführungen (und womöglich „fiesen Albanern“, die bekanntlich in ganz Europa ihr Unwesen treiben?!). Diese natürlich nicht ganz ernst gemeinte absurde Annahme war indes nicht der Anlass, den Schauplatz der Reihe von Europa (Teil 1: Paris, Teil 2: Istanbul) nach Los Angeles zu verlegen. Vielmehr sollte ein Ansatz gefunden werden, dem eigentlich längst ausgereizten Mini-Franchise neue Impulse zu verleihen. Doch die konzeptionelle Kehrtwende (dieses Mal wird niemand entführt, dafür bietet man mit Forest Whitaker einen Oscarpreisträger als polizeilichen Häscher auf), kann Olivier Megatons „96 Hours - Taken 3“ nicht retten. Die Beteiligten wirken so, als lieferten sie nur pflichtschuldig einen dritten Film ab, den sich das produzierende Studio angesichts der fantastischen Einspielzahlen der ersten beiden Teile (zusammen weltweit 603 Millionen Dollar bei kleinem Budget) nicht entgehen lassen durfte.
Der Personenschützer und Ex-CIA-Agent Bryan Mills (Liam Neeson) knüpft zurück im Alltag in Los Angeles wieder zarte Bande zu seiner Ex-Frau Lenore (Famke Janssen). Aber die ist schließlich immer noch mit Stuart St. John (Dougray Scott) verheiratet. Als er in seiner Wohnung eine Leiche findet und plötzlich mit dem blutigen Messer in der Hand vor hereinstürmenden Polizisten steht, verändert sich Mills‘ Situation radikal. Er überwältigt die Cops und tritt die Flucht an. Offenbar hat jemand ihn gehörig verladen und nun will er auf eigene Faust beweisen, wer für den Mord verantwortlich ist. Die Polizei unter der Führung des akribischen Ermittlers Frank Dotzler (Forest Whitaker) übt unterdessen gehörigen Druck aus und setzt bei der Hatz auf den Verdächtigen alle Mittel ein. Während sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zusammenzieht, versucht Mills, dem Komplott auf die Spur zu kommen. Außerdem ist er um das Wohl seiner Tochter Kim (Maggie Grace) besorgt und nimmt Kontakt zu ihr auf…
Der überraschende Erfolg von Pierre Morels dreckigem B-Movie-Bastard „96 Hours“ kam 2008 aus dem absoluten Nichts. Ein mit dem Wort kompromisslos nur unzureichend drastisch beschriebener Ex-CIA-Familienvater, der seine entführte Tochter heimholen wollte, hinterließ im Nahkampf mit tollwütigen Gangsterschergen eine Spur der Verwüstung – das war politisch höchst unkorrekt und moralisch ausgesprochen fragwürdig, aber auch ein Riesenspaß für Freunde unkonventioneller Action. Bei der unvermeidlichen Fortsetzung „96 Hours - Taken 2“ fiel es weniger ins Gewicht, dass schon wieder jemand gekidnappt wurde, aber indem Nachfolgeregisseur Olivier Megaton („Colombiana“, „Transporter 3“) die Ecken und Kanten abschliff und den Film auf Action-Blockbuster trimmte, ging der ungehobelte Charme des Originals verloren. Anschließend winkten dann sowohl Megaton als auch Hauptdarsteller Liam Neeson im FILMSTARTS- Interview dankend ab, als es um die Aussichten auf eine weitere Fortsetzung ging.
Nun kommt es doch anders und es ist davon auszugehen, dass die Studiobosse gute Argumente gehabt haben, um Star und Regisseur zur Rückkehr zu bewegen. Eines wird aber angesichts des fertigen Films schnell klar: Das Drehbuch war es sicherlich nicht. Was Produzent und Vielschreiber Luc Besson („Lucy“) hier mit seinem Partner Robert Mark Kamen zusammengeschustert hat, ergibt von der Handlungslogik her wenig bis gar keinen Sinn und speist sich überdies aus lahmen Copfilm-Klischees der vergangenen drei Jahrzehnte – von den bösen Russen bis zu den dümmlichen, donutmampfenden Polizisten. Die Inszenierung wiederum erinnert an den zweiten Teil, bei dem Olivier Megaton den Staffelstab von Pierre Morel übernahm. Man merkt dem technisch versierten Franzosen seine Herkunft aus der Regieschmiede von Luc Bessons Produktionsteam an: Hochglanzoptik, rasanter Schnitt, satte Action. Dieser Standard sichert „96 Hours - Taken 3“ (ein kurioser, weil mittlerweile vollkommen sinnloser Titel übrigens) einen gewissen Unterhaltungswert, von der laut Megaton beabsichtigten Rückkehr zu den Wurzeln des ersten Teils ist allerdings nichts zu spüren.
Auch wenn die Entscheidung, nicht schon wieder eine Person entführen zu lassen, ebenso richtig wie logisch war, hakt die Story schon bei der Prämisse. Es ist kaum nachvollziehbar, warum Bryan Mills, der ganz offensichtlich nicht der Täter ist, sich nicht einfach in die Hände der Polizei begibt, um die Sache zu klären. Stattdessen vermöbelt er die Gesetzeshüter reihenweise, verursacht monströse Kollateralschäden an Gangstern, Gebäuden und Fahrzeugen und tritt in einem Zwei-Fronten-Krieg gegen gleich zwei Gegenspieler an. Dabei verkörpert Forest Whitaker („Der letzte König von Schottland“) den ausschließlich mit dem Gehirn ermittelnden Cop Dotzler routiniert im Gestus des Intellektuellen, der zwar weiß, dass Mills unschuldig ist, ihn aber trotzdem jagt (man denkt an „Auf der Flucht“). Den Drahtzieher des ganzen Komplotts wiederum an dieser Stelle zu verraten, verbietet sich aus Gründen der Fairness. Nur soviel: Schwer zu erraten ist er nicht!
Bei dem erst im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere zum Actionstar aufgestiegenen Liam Neeson („Non-Stop“, „Unknown Identity“) zeigen sich indes Abnutzungserscheinungen. Durch den hektischen Schnitt vieler Szenen geht nicht nur oft die Übersichtlichkeit verloren, es wird auch klar, dass Neesons Stuntdouble gut beschäftigt war. Der Star setzt dem seine natürliche Autorität entgegen, auch im Nahkampf zeigt er Präsenz. Von dem Grimm und der Kompromisslosigkeit des Originals, als sich Mills förmlich durch Paris berserkerte, ist allerdings auch in seiner Darstellung nicht mehr viel zu spüren, was allerdings damit zusammenhängt, dass Mills diesmal vom Jäger zum Gejagten wird. Beibehalten wurde dagegen die stereotype Zeichnung der Gangster: Die hier als Hauptschergen auftretenden finsteren Russen sind genauso dumpf porträtiert wie zu ihrer Blütezeit als Hollywood-Bösewichte in den 80er Jahren. Aber immerhin geht Bryan Mills wenigstens mit der Zeit, denn das von der CIA geschätzte Waterboarding hat der Ex-Agent richtig gut drauf…
Fazit: Man soll bekanntlich aufhören, wenn’s am schönsten ist. Diesen Moment haben die Macher der „96 Hours“-Reihe deutlich verpasst – doch nach dem lauen Aufguss „Taken 3“ sollte wirklich alles vorbei sein (obwohl das Ende noch ein Hintertürchen offenstehen lässt).