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    Les Salauds - Dreckskerle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Les Salauds - Dreckskerle
    Von Michael Meyns

    Blutige Maiskolben als Überreste sexuellen Missbrauch – dies ist eines der bedrückendsten Bilder, die aus Claire Denis „Les Salauds - Dreckskerle“ zurückbleiben. Das neue Werk der Regisseurin ist ein vielschichtiges Drama, irgendwo zwischen Neo-Noir und düsterer Gesellschaftskritik, aber vor allem durch und durch ein Claire-Denis-Film. Mit etlichen ihrer Stammschauspieler, vor allem aber gemeinsam mit ihrer langjährigen Kamerafrau Agnès Godard („Zusammen ist man weniger allein“), taucht Denis tief in die Dunkelheit einer Gesellschaft ein, in der Moralvorstellungen für genug Geld jederzeit aufgegeben werden.

    Marco (Vincent Lindon), Kapitän eines Frachtschiffes, kehrt überstürzt nach Paris zurück: Der Mann seiner Schwester Sandra (Julie Bataille) hat Selbstmord begangen, scheinbar wegen Geldschwierigkeiten. Die hat laut Sandra der Geschäftsmann Laporte (Michel Subor) verursacht, der sich mit Raphaelle (Chiara Mastroianni) eine schöne Geliebte hält, mit der er auch einen kleinen Sohn hat. Marco quartiert sich in der Wohnung über Raphaelle ein, wird bald ihr Geliebter und verfolgt undurchsichtige Pläne. Seine Absichten werden durch das Schicksal seiner Nichte Justine (Lola Créton) allerdings verkompliziert. Diese wurde nach dem Selbstmord ihres Vaters nur mit Stöckelschuhen bekleidet, mit verstörtem Blick und blutigen Schenkeln auf der Straße aufgelesen.

    Es dauert eine ganze Weile, bis man in Claire Denis jüngstem Film zu ahnen beginnt, in welch dunkle Abgründe die französische Regisseurin diesmal blickt. Denn Denis erzählt einmal mehr keine lineare Geschichte, in der Motive, Motivationen und Hintergründe klar ausgearbeitet sind, sondern überlässt dem Zuschauer viel Raum für eigene Interpretationen. Dass etwa der weißhaarige Geschäftsmann Laporte gewisse Ähnlichkeiten zum französischen Politiker Dominique Strauss-Kahn hat, der durch einen Vergewaltigungsvorwurf in Ungnade gefallen ist, lässt manche Andeutung noch prägnanter werden: Da reicht dann schon ein Blick, eine betont zärtlich aufgelegte Hand von Laporte, um Bilder von Strauss-Kahns kolportiertem Sexualleben hervorzurufen.

    Doch ist dieser Laporte, der schon mal zu seiner Geliebten ins Bett steigt und ihr befiehlt „Hol mir einen runter“, der einzige Dreckskerl dieser Geschichte? Anfangs wirkt der schweigsame Marco wie ein rächender Engel, der seinen Job aufgibt, in seine Heimatstadt zurückkehrt, um seiner Schwester beizustehen und seine Familie und den Familienbetrieb zu retten. Doch welche Ziele Marco eigentlich verfolgt, vor allem auch welche Geheimnisse in seiner eigenen Vergangenheit ruhen, kann man nur ahnen. Nicht zufällig sind dann auch alle drei weiblichen Rollen mit Schauspielerinnen besetzt, die sich sehr ähneln, was für Momente der Irritation sorgt, vor allem aber inzestuöse Verbindungen andeutet.

    Es ist eine amorale Welt, die Denis entwirft, von Kamerafrau Agnès Godard in präzise, dunkle Bilder getaucht, in denen kaum einmal Licht oder gar Sonne die finstere Geschichte erhellt. Die melancholische Musik der britischen Band Tindersticks – ebenfalls häufiger Kollaborateur von Denis – trägt ihren Teil zur soghaften Wirkung einer Geschichte bei, die sich nur langsam entwickelt, doch mit jedem mehr oder weniger versteckt eingefügten Hinweis weitere Komplexität gewinnt. „Les Salauds - Dreckskerle“ ist das Porträt einer vollkommen dysfunktionalen Familie, ebenso aber auch eine schonungslose Darstellung einer Welt, in der Macht und Geld die Möglichkeit nach sich ziehen, praktisch zu tun und lassen was man will. Am Ende wird schließlich deutlich, dass in dieser Welt nicht nur die Männer Dreckskerle sind, sondern – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Justine (=der Gerechten) - auch die Frauen.

    Fazit: In ihrem düsteren, brillant gefilmten Drama „Les Salauds - Dreckskerle“ wirft Claire Denis einen skeptischen Blick auf die moderne Welt und seziert auf schonungslose Weise Machtstrukturen, zerstörte Familienverhältnisse und sexuelle Obsessionen.

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