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    Dr. Ketel - Der Schatten von Neukölln
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Dr. Ketel - Der Schatten von Neukölln
    Von Michael Meyns

    Es ist immer wieder erfreulich, wenn sich ein Absolvent einer deutschen Filmhochschule bei seinem Abschlussfilm etwas Besonderes traut und keine Nabelschau oder das gewöhnliche Selbstfindungsdrama, vielleicht auch noch mit angeberischen Selbstdarstellungen, macht. So wie Linus de Paoli, Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, in seinem wilden Genremix „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“, der düsteres Noir-Drama und Sozialstudie zugleich ist und dazu auch ein bisschen philosophisch angehaucht ist. Rundum gelungen ist das Langfilmdebüt zwar nicht, doch das ambitionierte Wagnis gegen Sehgewohnheiten zu verstoßen, macht den in Berlin-Neukölln spielenden Film trotzdem sehenswert.

    Bei Tag ist Ketel (Ketel Weber) Hausmeister, der in einer verfallenen Bude irgendwo in –Berlin-Neukölln ein geradezu asketisches Dasein fristet. Seine eigentliche Berufung, die aus widrigen Umständen aber nicht sein Beruf ist, lebt Ketel abends und nachts aus: Mit geklauten Medikamenten und als Pfleger aufgeschnapptem Wissen, hilft er den Ausgestoßenen und denen, die sich keinen Arzt leisten können. Vom bloßen Verschreiben von Medikamenten bis zu kleinen Operationen reicht Ketels Arbeit, die nicht nur seinem ehemaligen Mentor Dr. Wissmann (Lou Castel) Sorgen bereitet, sondern auch die amerikanische Sicherheitsexpertin Louise Llewllyn (Amanda Plummer) auf den Plan ruft. Die Gastdozentin ist sie so fasziniert vom mysteriösen Ketel, dass sie bald aber versucht, den jungen türkischen Detektiv Ercan (Burak Yigit) von Ketels Spur abzubringen. Und dann ist da noch die Apothekerin und verhinderte Opernsängerin Karo (Franziska Rummel), mit der Ketel eine Nacht verbringt, die jedoch seinen halbseidenen Aktivitäten nur bedingt Sympathie entgegenbringt. Die Schlinge um Ketel scheint sich zuzuziehen…

    Nicht im hippen Neuköllner Norden spielt „Dr. Ketel“, sondern weiter südlich, entlang der Sonnenallee, in Britz, in Gegenden, wo Neukölln noch so heruntergekommen ist, wie sich Außenstehende das oft vorstellen. Es wird zwar behauptet, dass die Geschichte in naher Zukunft spielen würde, doch einen Unterschied zur Gegenwart ist in den Bildern von Kameramann Nikos Welter nicht festzustellen. Und nicht nur dieser Versuch, sich an ein Genre anzuhängen, bleibt inkonsequent: Auch die Verweise auf den Film Noir, die in erster Linie durch die schwarz-weiß Bilder entstehen (leider ein sehr verwaschenes, kontrastarmes Schwarz-weiß, wie es entsteht, wenn in der Postproduktion einfach die Farbe rausgedreht wird) laufen oft ins Leere.

    Doch so sehr man Linus de Paolis Film, der in Teamarbeit mit seiner Frau Anna entstand, die geringen finanziellen Möglichkeiten ansieht, so sehr manche Szenen improvisiert, manche Darsteller wenig professionell wirken – man muss die erzählerische Ambition bewundern. Ist der erste Teil noch sehr stringent und ganz auf die Figur Ketels konzentriert, ändert sich im zweiten Teil der Blick. Nun steht die von „Pulp Fiction“-Star Amanda Plummer gespielte Figur der Louise im Mittelpunkt, aus deren Perspektive man Szenen aus dem ersten Teil erneut sieht. Dieser clevere Kunstgriff verleiht dem Film eine erzählerische Komplexität, die anfangs nicht zu erwarten war und die sich vor allem im dritten Teil, in dem die beiden Hauptfiguren zusammenfinden, endgültig auszahlt.

    Diverse Aspekte bleiben dabei immer nur angedeutet. Linus de Paoli verzichtet darauf, die sozialen Missstände Neuköllns explizit anzuprangern oder die mangelnde medizinische Versorgung mancher Bevölkerungsschichten zu stark zu thematisieren. Doch gerade weil der Regisseur solche offensichtlichen Linien nicht einschlägt und sich für eine komplexere, ambitioniertere Erzählform entscheidet, hebt er „Dr. Ketel“ über eine bloß anklagende Sozialstudie hinaus. Ganz kann er diese Ambitionen zwar weder stilistisch noch inhaltlich einlösen, dennoch ist Linus de Paoli mit seinem Hochschulabschlussfilm und Langfilmdebüt ein ausgesprochen interessantes Stück deutsches Kino gelungen.

    Fazit: Mit geringsten Mitteln auf den Straßen Neuköllns entstanden, erzählt Linus de Paoli in „Dr. Ketel“ von sozialen Missständen und persönlichen Ambitionen in Berlin. Kein ganz runder, aber ein unbedingt sehenswerter Film.

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