Es gehört zum Standardrepertoire vieler Komödien, zwischenmenschliche Unbeholfenheit auf die Spitze zu treiben. Dabei ist es stets ein Drahtseilakt, eine unangenehme Situation gleichzeitig humoristisch auszureizen und Mitgefühl zu erzeugen. „Wenn es sich biegt, ist es komisch. Wenn es bricht, dann nicht", wusste Alan Alda in Woody Allens „Verbrechen und andere Kleinigkeiten". Doch es gibt Filmemacher, die den Bruch heraufbeschwören und den Grenzbereich von Komik und Tragik bewusst ausloten. Filme wie Maren Ades „Der Wald vor lauter Bäumen", Martin Scorseses „King of Comedy" oder Ulrich Seidls „Hundstage" gehen dahin, wo es weh tut und überlassen es dem Betrachter, Mitleid für die unbeholfenen Akteure zu empfinden oder eben nicht. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Hanna Doose mit ihrer Tragikomödie „Staub auf unseren Herzen". Trotz eines oft versöhnlichen, sonnigen Tonfalls vergräbt man auch hier sein Gesicht oft vor Scham in den Händen. Ein wenig erzählerische Reduktion hätte dem Film dennoch nicht schlecht zu Gesicht gestanden.
Ein Unglück kommt selten allein und so steht die junge Mutter Kathi (Stephanie Stremler) vor einem unübersehbaren Berg an Problemen. Nicht nur, dass der Traum von der Schauspielerei an ihrer nicht von der Hand zu weisenden Talentlosigkeit zu scheitern droht, sie hat auch unter ihrer Mutter Chris (Susanne Lothar) zu leiden. Chris, Karriere-Coach mit geschultem Blick für die Schwächen und Komplexe ihrer Mitmenschen, tut alles, um die Kontrolle über Kathi und ihren jüngeren Sohn Gabriel (Oskar Bökelmann) zu bewahren und treibt sie aus einem Gefühl emotionaler Ohnmacht heraus in die Abhängigkeit. Während Gabriel das Muttertier stoisch erträgt, droht Kathi an der Einflussnahme zu zerbrechen. Als dann auch noch Chris' Ex-Mann und Kindsvater Wolfgang (Michael Kindl) zurück nach Berlin zieht und versucht, Teil seiner lange vernachlässigten Familie zu werden, eskaliert die Lage.
Hanna Doose verfolgt in ihrem Abschlussfilm an der dffb keinen klaren dramaturgischen Plan. Ein loses Treatment diente als Vorlage für Improvisationen und so sucht man ausformulierte Konflikte oder eine deutliche Moral hier vergebens. Stattdessen ist „Staub auf unseren Herzen" ein Film, der von seinen Figuren, Situationen, kleinen Gesten bestimmt wird. Diese Momente unbehaglicher Stille, ungelenker Emotionen, zweifelnder Blicke und des stetigen Scheiterns an sich selbst, dominieren den Film und machen seine Qualität aus. Für einen solchen Ansatz braucht es gute Beobachter vor und hinter Kamera. Die sind bei „Staub auf unseren Herzen" vorhanden: Doose hat lebensechte Figuren skizziert, deren Marotten nur geringfügig überspitzt sind und sie hat vor allem ein exzellentes Gespür für die Arbeit der Darsteller, auf denen das Hauptaugenmerk ihrer schnörkellosen Inszenierung liegt.
In der Hauptrolle überzeugt Stephanie Stremler (bekannt aus Andres Veiels „Die Spielwütigen"), der man als Kathi jedoch nicht nur Mitleid schenkt. Sie schreckt bei ihrer Interpretation der Rolle nicht vor Extremen zurück und ihre leiernde, sagenhaft quengelige Art ist oft schwer zu ertragen: Wenn man vorher nicht wusste, was passive Aggression ist, weiß man es danach ganz bestimmt. Sie nörgelt praktisch jeden Satz monoton und mit Leidensgestus hervor - dieses affektierte und für Umwelt und Publikum gleichermaßen anstrengende Geflehe ist Ausdruck eines zutiefst gestörten Selbstbewusstseins. Kathi versucht es allen recht zu machen, was sich unter anderem darin äußert, dass sie sich permanent und bei jeder Gelegenheit für Nichtigkeiten entschuldigt. Ihr Wunsch, als Schauspielerin Fuß zu fassen, drückt ihre Gefallsucht aus. Die Szenen, in denen sie bei mehreren Castings brutal scheitert, erinnern indes daran, wie schwer es für eine gute Schauspielerin ist, eine schlechte zu spielen.
Ein Blick auf das emotional erpresserische Muttertier, das die 2012 verstorbene Susanne Lothar („Funny Games", „Das weiße Band") in einer ihrer letzten Rollen verkörpert, macht klar, wie Kathi zu diesem angeknacksten Geschöpf werden konnte. Ganz subtil entwirft Lothar das Bild einer kontrollsüchtigen Mutter, wie man sie seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Als professionelle Menschenkennerin sticht sie immer wieder gezielt in offene Wunden und setzt ihre beruflichen Fähigkeiten zur Manipulation Kathis ein. So werden einfachste und eigentlich unverfängliche Situationen von den beiden Hauptdarstellerinnen gemeinsam bis zur maximalen Unerträglichkeit ausgespielt. Drama-Queens ist noch eine zu schwache Bezeichnung für die Protagonistinnen angesichts der Stärke des Neurosen-Cocktails, den sie in diesen Szenen anrühren.
Während die starken schauspielerischen Leistungen und die zurückhaltende Regie voll überzeugen, gibt es erzählerisch noch einige Schwächen. Das Mutter-Tochter-Drama hätte bei einer stärkeren Konzentration auf eben diese zwei Figuren womöglich noch eine viel größere emotionale Kraft entwickeln können. Stattdessen wurde die Rolle des reuigen Vaters ins Drehbuch geschrieben, was für gewisse Längen sorgt und keine neuen Aspekte hinzufügt. Und auch der Erzählton leidet, denn während Doose sonst vieles in der Schwebe hält, wird alles was mit der Figur des Vaters zusammenhängt, viel zu direkt ausgesprochen.
Doch solche kleinen Schwächen können „Staub auf unseren Herzen" nicht ernstlich schaden, zumal es Doose vermeidet, die Konflikte zu einer aufgesetzten finalen Katharsis zuzuspitzen, sondern sie eher unspektakulär auslaufen lässt. Es kommt zu keiner Katastrophe und keiner großen Aussprache, bei der alles auf den Tisch kommt. Stattdessen macht gerade Kathi ein paar kleine, doch entscheidende Schritte, die man sogar als kleines Happy End verstehen kann.
Fazit: Was die Darstellung von emotionalen Schieflagen und Lebenslügen angeht, ist Hanna Doose ein exzellenter Debütfilm mit zwei starken Hauptdarstellerinnen gelungen. Allein erzählerisch zeigt sie noch Defizite und überfrachtet „Staub auf unseren Herzen" mit allzu vielen Figuren und Nebenhandlungen, was aber nicht entscheidend ins Gewicht fällt.