Im zeitgenössischen türkischen Kino spiegelt sich die Realität eines Landes, das politisch wie gesellschaftlich höchst widersprüchlich wirkt: Auf der einen Seite entstehen ideologische Propaganda-Filme wie „Battle of Empires - Fetih 1453“, die unverhohlen in den neo-osmanischen Grundtenor der Politik Recep Erdoğans einstimmen. Auf der anderen Seite hat sich in den vergangenen Jahren ein auch international sehr geschätztes Arthouse-Kino etabliert: Regisseure, die auch immer wieder auf den großen Festivals vertreten sind, prangen mit einer ganz eigenen, ruhigen, aber bildgewaltigen Bildsprache, die Zustände des Landes an. Yeşim Ustaoğlu gehört zu diesem Kreis. Auch in ihrem fünften Spielfilm „Araf – Somewhere In Between“ verbindet die Regisseurin elegische Bilder mit gesellschaftskritischen Tönen.
In einer Raststätte an der Autobahn zwischen Istanbul und Ankara arbeiten die Jugendlichen Zehra (Neslihan Atagül) und Olgun (Barış Hacihan). Olgun ist in Zehra verliebt, aber die hat nur Augen für den geheimnisvollen LKW-Fahrer Mahur (Özcan Deniz), den Zehra auf einer Hochzeit kennenlernt. Als Zehra ungewollt schwanger wird, reagiert Olgun mit Unverständnis und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Wie auch ihre Kollegen Nuri Bilge Ceylan („Drei Affen“) oder Semih Kaplanoğlu („Bal – Honig“) bedient sich auch Yeşim Ustaoğlus Landschaftsaufnahmen, die Rückschlüsse auf das Innenleben der Figuren zulassen. Anders als bei Ceylan oder Kaplanoğlu sind es hier aber keine malerischen Bergpanoramen, sondern versmogte Industriegelände, verschneite Autobahnen und eine triste Raststätte, die das ebenso triste Leben von Zahra und Olgun evozieren. Im Niemandsland leben die Protagonisten, zwischen der Hauptstadt Ankara und der Metropole Istanbul, doch auch wenn ständig Laster vorbeifahren, ist eine Flucht kaum möglich.
Der Wunsch, aus ihrem Leben zu entkommen, eint Zehra und Olgun, die ihr Ziel jedoch auf unterschiedliche Art verfolgen: Olgun träumt davon, beim türkischen Ableger der Fernsehshow „Deal or no Deal“ teilzunehmen, verbringt seine Zeit jedoch meist damit, mit seinem besten Freund durch die Straßen zu ziehen und über Penisgrößen zu philosophieren. Zehra dagegen sucht im Internet nach Jobangeboten und versucht, einen Teil ihres geringen Gehalts zu sparen. Im geheimnisvollen, überaus wortkargen Fernfahrer Mahur sieht sie die Chance, aus ihrem restriktiven Elternhaus zu entkommen.
„Araf“ bedeutet so viel wie „Limbo“ oder „Fegefeuer“. Der Titel bezieht sich einerseits auf den geographischen Zustand der Figuren, vor allem aber auf ihren emotionalen. Nicht umsonst wirkt „Araf“ bisweilen wie ein klasssiches Coming-of-Age-Drama, in dem die Protagonisten sich im Übergang von Kindheit und Erwachsensein befinden. Ustaoğlu zeichnet ein bedrückendes Bild einer Generation, die ihren Platz in der Welt noch finden muss und mehr Probleme als Lösungsansätze zu haben scheint. Vor allem die Rolle der Frau in der Türkei der Gegenwart wird dabei kritisch hinterfragt: Oft wirkt Zehra dabei so offensichtlich als Metapher für das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne in dem sich türkische Frauen heutzutage bewegen, dass jede ihrer Entscheidungen im Film als klares Regisseur-Statement zur aktuellen gesellschaftspolitischen Lage wirkt.
Fazit: Yeşim Ustaoğlus „Araf – Somewhere in between“ ist ein sehenswertes Sozialdrama mit feministischem Ansatz. Unter all dem Pessimismus der Bilder bleibt dabei doch ein Fünkchen Hoffnung für die Figuren übrig. Besonders die kargen, archaisch anmutenden Bilder überzeugen und machen „Araf“ zu einem weiteren interessanten Vertreter des unabhängigen türkischen Kinos.