Dass „Zwei Leben“ der deutsche Beitrag für den Oscar in der Kategorie des Besten nicht-englischsprachigen Films bei der nächsten Verleihung des begehrten Filmpreises 2014 ist, scheint auf den ersten Blick offensichtlich: Ein von historischen Tatsachen inspirierter Film, der sowohl die Nazizeit als auch die DDR und die Stasi behandelt, ist dafür schlicht und einfach prädestiniert – könnte man als Zyniker sagen. Aber das Thriller-Drama von Regisseur Georg Maas („NeuFundLand“) hat es auch voll verdient. Trotz aufzeigten suspekten Arierzuchtanstalten und geheimen Machenschaften der ostdeutschen Staatssicherheit ist „Zwei Leben“ kein Betroffenheitsdrama um die immer gleichen wunden Punkte der jüngeren deutschen Vergangenheit. Maas und seine Co-Regisseurin Judith Kaufmann machen deutlich, dass die Wirklichkeit komplex ist, dass sich die Grenzen zwischen Gut und Böse in der Realität oftmals nicht leicht ziehen lassen. Richtig kompliziert wird es, wenn die Demarkationslinie zwischen Wahrheit und Lüge irgendwo innerhalb der eigenen Psyche verläuft, wenn man gleichzeitig „Zwei Leben“ lebt.
Die Norwegerin Ase Evensen (Liv Ullmann) hatte während des Zweiten Weltkriegs eine Beziehung mit einem deutschen Soldaten, der später an der Ostfront fiel. Wie viele der Frauen, die ein Verhältnis mit dem Feind hatten, wurde Ase lange von ihren eigenen Landsleuten in einem Lager interniert. Doch nicht nur das: Ihr wurde auch die aus der Verbindung mit dem Deutschen hervorgegangene Tochter weggenommen und in Deutschland in ein Heim des von Himmler eingerichteten Lebensborn-Vereins gesteckt. Jahre später kommt Katrine (Juliane Köhler) nach Norwegen und behauptet die einst abgeschobene Tochter zu sein. Sie trifft nicht nur ihre Mutter wieder, sondern findet mit Marineoffizier Bjarte Myrdal (Sven Nordin) ihr Eheglück. Doch viele Jahre später als Katrine schon Großmutter ist, gerät das Familienidyll in einem an einem malerischen See gelegenen Holzhaus ins Wanken gerät. Denn Katrine droht von den dunklen Schatten aus ihrer Vergangenheit eingeholt und ihr Geheimnis gelüftet zu werden…
Mit „Zwei Leben“ lotet Georg Maas einige dunkle Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte aus. Dabei kleidet er den historischen Stoff in das Gewand eines Thrillers ohne vollends die Genre-Spielregeln zu befolgen. Die durchweg hohe Spannung stellt sich dabei trotz eines behäbigen Tempos schnell ein, was vor allem an der clever ausgearbeiteten Figurenkonstellation liegt. Im Vordergrund steht das innere Drama der von Juliane Köhler „Anonyma – Eine Frau in Berlin“) beeindruckend vielschichtig gespielten Katrine, wobei mit fortschreitender Laufzeit die Beziehungen zu ihrer von Liv Ullmann („Persona“) überzeugend verkörperten Mutter und ihrem von Sven Nordin („Elling“) nuanciert dargestellten Ehemann eine immer größere Rolle spielen. Letzterem kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Weil die Geschichte aus der Perspektive von Katrine erzählt ist und damit einer Frau, bei der sich bald zeigt, dass sie mehr Täter als Opfer ist, bildet der fröhlich-naive Norweger ein gutes Gegengewicht. Während Katrine mit allen Mitteln versucht, dass ihr dunkles Geheimnis nicht ans Licht kommt, sieht er sich mit dem zunehmend immer schwerer erklärbaren Verhalten seiner Frau konfrontiert und vermutet sogar eine Affäre dahinter.
Die Geschichte von „Zwei Leben“ wird in einer geschickt komponierten Rückblendenstruktur enthüllt. Diese wird durch das Auftauchen eines jungen Anwalts (Ken Duken), der die Geschichte von Katrine und ihre Mutter Ase aufarbeiten will, in Gang gesetzt. Auf diese Weise werden immer neue Geheimnisse enthüllt – wobei nach und nach eine neue Ebene ans Licht kommt. Mache grobkörnige Rückblende, die man bereits beim ersten Sehen grob einordnen zu können glaubte, steht bei ihrem erneuten Auftauchen in einem ganz anderen Zusammenhang als ursprünglich vermutet. Der Anwalt, der eine Sammelklage gegen den norwegischen Staat auf Wiedergutmachung einleiten will, bohrt immer wieder und immer tiefer in einer Vergangenheit, die Katrine aus sehr guten Gründen lieber ruhen lassen will. So setzt sich für den Zuschauer nach und nach wie ein sich veränderndes Puzzle ein immer neues Bild der Wahrheit zusammen. Am Ende des in kühlen und zugleich atmosphärischen Bildern eingefangen Thriller-Dramas bleibt schließlich nichts als die Frage, ob es auch ein richtiges Leben im falschen gegeben haben kann.
Fazit: „Zwei Leben“ ist ein nuanciertes Psychodrama, das deutlich macht, dass auch wer die Wahrheit im Sinne der tatsächlichen Begebenheiten kennt, noch längst keinen Klarheit über die den Ereignissen zugrunde liegende innere Realität haben muss.